Am 28. April d. J. stellte die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik auf einer Pressekonferenz in Bonn ihr jährliches „Gegengutachten“ zur Politik der Bundesregierung und der regierungsnahen Expertenkreise vor. Es trägt den Titel „Massenarbeitslosigkeit und kein Ende? Beschäftigungspolitik und gerechtere Einkommensverteilung gegen soziale Zerstörung“. Die „Memorandum-Gruppe“ besteht aus Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftlern sowie Vertretern und Vertreterinnen der Gewerkschaften. Seit 1977 erscheinen ihre Memoranden alljährlich im Wortlaut oder auszugsweise in den „Blättern“. Im folgenden dokumentieren wir die Lageanalyse (Kap.I) und den Schluß (Kap.V) der diesjährigen Kurzfassung. Die Buchfassung des Memorandum ’97 erscheint im PapyRossa Verlag Köln. D. Red.
1. In Deutschland wird gegenwärtig der Umbau des Sozialstaates gefordert und sein Abbruch betrieben. Bundesregierung und Unternehmer wollen mehr Marktradikalität zu Lasten demokratischer und sozialer Grundrechte durchsetzen. Gleichzeitig wird die Einkommens- und Vermögensspaltung vorangetrieben. Die wirtschaftliche und politische Grundlage für diese gesellschaftliche Veränderungsstrategie ist die anhaltende Massenarbeitslosigkeit. Sie ist längst nicht mehr nur persönliches Schicksal, Ursache von permanenten Haushaltslücken und gesamtwirtschaftliche Verschwendung. Arbeitslosigkeit ist darüber hinaus zum massiven politischen Instrument geworden, das Unternehmen, Verbände und Regierung nutzen, um die Ansprüche der auf Arbeitseinkommen angewiesenen Menschen auf ein Leben in materieller Sicherheit, sauberer Umwelt sowie sozialer Gerechtigkeit zurückzudrängen. Obwohl die Produktivität der menschlichen Arbeit und damit die Möglichkeit persönlichen und gesellschaftlichen Wohlstands Jahr für Jahr steigen, behaupten sie, schon der bisher erreichte Lebensstandard lasse sich nicht mehr halten. Mit Hinweis auf die Globalisierung der Wirtschaft fordern sie Verzicht im Namen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Wird ein solcher Verzicht durchgesetzt, verschafft er den Unternehmen zwar zusätzliche Weltmarktanteile und Profite, aber hiervon hat die große Mehrheit der Bevölkerung nichts. Im Gegenteil, die schrumpfende Inlandsnachfrage führt zu neuer Arbeitslosigkeit, sinkenden Realeinkommen und zu weiterer Schwächung der politischen Widerstandskraft von Beschäftigten und Gewerkschaften. Die Umverteilung von Einkommen, Vermögen und politischer Macht zugunsten großer Konzerne und kleiner Eliten schreitet rapide voran. Das in mühsamen Auseinandersetzungen erreichte System der sozialen Sicherheit ist zunächst in breiter Kampagne diffamiert und sodann drastisch beschnitten worden. Nun hat der Einstieg in seine Privatisierung begonnen, die den Versicherten mehr Risiken und Unsicherheit, den Versicherungskonzernen und Investmentfonds aber neue Anlagefelder mit guten Gewinnaussichten in Aussicht stellt.
Es gibt allerdings Zeichen, daß diejenigen, die von diesem Abbruch betroffen werden, sich nicht länger alles gefallen lassen, sondern die politische Herausforderung erkennen und annehmen. Die Bundesregierung hat sich mit ihrer rechthaberischen marktradikalen Prinzipienreiterei mehrfach in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht; Beispiele hierfür sind die Gesetzgebung zum Ladenschluß, die mittlerweile von Arbeitgeberseite demontiert wird, sowie die Streichung des Schlechtwettergeldes, die mittlerweile teurer geworden ist, als dieses selbst es je war. Mit dem Gesetz, das es ermöglichen soll, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu kürzen, hat sie die Schmerzgrenze für die ArbeitnehmerInnen überschritten und heftigen Protest hervorgerufen. Dessen Erfolg zeigt, daß es möglich ist, ArbeitnehmerInneninteressen gegen die Angriffe von Unternehmen und Regierung zu verteidigen. Ähnliche Proteste entwickeln sich im europäischen Ausland. Dies ist vor allem im Hinblick auf die europäische Integration wichtig und eröffnet die Perspektive eines gemeinsamen Vorgehens für ein vereinigtes Europa, das nicht von den fehlgeleiteten Phantasien der Deutschen Bundesbank schikaniert wird, sondern sich vorrangig auf gemeinsame Politik für mehr Beschäftigung, soziale Sicherheit, intakte Umwelt und solidarischen Ausgleich gründet. […]
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