Ausgabe Juni 2024

Schöffen: Russisch Roulette mit Verfassungsfeinden

Eine Figur der Justitia im Amtsgericht Köln, 4.1.2024 (IMAGO / Christoph Hardt)

Bild: Eine Figur der Justitia im Amtsgericht Köln, 4.1.2024 (IMAGO / Christoph Hardt)

Es ist der Albtraum jeder Richterin und jedes Richters: Nach einer mühsam über zehn Verhandlungstage terminierten Hauptverhandlung der Strafkammer beim Landgericht ziehen sich die zwei Berufsrichterinnen mit den beiden Schöffen zur Urteilsfindung zurück. Angeklagt sind mehrere Angehörige einer als zumindest rechtspopulistisch bekannten Partei, die einen Deutschen mit Migrationshintergrund auf einem Dorffest so massiv zusammengeschlagen haben sollen – „weil dieser nicht dazugehört“ –, dass er bleibende Schäden davontrug.

Die Hauptverhandlung hat aus Sicht der Berufsrichterinnen aufgrund der Opferaussage einen sicheren Schuldnachweis ergeben. Doch vor der geheimen Abstimmung über das Urteil äußert plötzlich der erste Schöffe: „Diesem Ausländer kann man doch nicht glauben, der kann doch gar nicht die Täter wiedererkannt haben.“ Der zweite Schöffe fällt ein: „Ja, ich bin auch nicht überzeugt, solche Leute wollen doch nur in die Medien, indem sie die Deutschen anschwärzen!“ Die beiden Schöffen stimmen für einen Freispruch, der gemäß Paragraf 263 Strafprozessordnung erfolgen muss.

»Blätter«-Ausgabe 6/2024

Sie haben etwa 8% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 92% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1.00€)
Digitalausgabe kaufen (11.00€)
Druckausgabe kaufen (11.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Politik vor Recht: Die Aushöhlung der liberalen Demokratie

von Miguel de la Riva

Als der FPÖ-Chefideologe und heutige Parteivorsitzende Herbert Kickl im Januar 2019 in einem ORF-Interview darauf angesprochen wurde, dass seine Asylpläne an die Grenzen von EU-Recht, Menschenrechtskonvention und Rechtsstaat stoßen, antwortete der damalige österreichische Innenminister, „dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“.

Ernst, aber nicht hoffnungslos

von Thorben Albrecht, Christian Krell

Spätestens seit Ralf Dahrendorfs berühmt gewordener These vom „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ gehören SPD-Niedergangsprognosen zu den Klassikern der parteibezogenen Publizistik. Die Partei hat diese Prognose bisher um 42 Jahre überlebt. Aber das konstituiert keine Ewigkeitsgarantie.