Mehr Zukunft wagen
Das vielleicht wirkmächtigste Merkmal der Moderne war, dass sie von einer imaginierten Zukunft getrieben war: Die Gesellschaft würde sukzessive bessere Lebensbedingungen für alle ihre Bewohnerinnen und Bewohner bereithalten.
Harald Welzer, geb. 1958 in Bissendorf/Osnabrück, Dr. phil., Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg und Geschäftsführender Vorstand der Stiftung „Futurzwei“.
Im Folgenden finden Sie sämtliche »Blätter«-Beiträge von Harald Welzer.
Das vielleicht wirkmächtigste Merkmal der Moderne war, dass sie von einer imaginierten Zukunft getrieben war: Die Gesellschaft würde sukzessive bessere Lebensbedingungen für alle ihre Bewohnerinnen und Bewohner bereithalten.
»Google wacht über uns wie ein Gott,
und wenn wir etwas suchen,
dann gibt er uns nur unsere Reime darauf.«
– Katja Petrowskaja, Vielleicht Esther
Moderne, demokratische und freiheitlich verfasste Gesellschaften sind ohne die Vorstellung, dass Menschen autonom entscheidungsfähig sind, nicht denkbar. Gleichzeitig können wir zivilisatorische Standards, die einmal erreicht worden sind, nicht einfach als unveränderlich voraussetzen.
Wer wie ich das Glück hatte, irgendwann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einem kapitalistischen Land geboren worden zu sein, ist in einer Welt aufgewachsen, die von der Vorstellung beseelt ist, dass alles immer verfügbar ist und zu sein hat.
Jede Wachstumsvorstellung setzt voraus, dass sich ein künftiger Zustand durch irgendein „mehr“ gegenüber der Gegenwart auszeichnet. Die Vorstellung vom Wachstum erfordert also eine Vorstellung von Zukunft. Das aber ist eine Kategorie, die – so seltsam das heute erscheinen mag – bis in das 17. Jahrhundert hinein weitgehend inexistent war.
Am 22. Juni 1941 griff das nationalsozialistische Deutschland die Sowjetunion an. Vom ersten Tag an führte die Wehrmacht den Kampf mit großer Brutalität. Gleichwohl darf bezweifelt werden, dass die Soldaten, die am frühen Morgen des 22. Juni ihre Anordnungen erhielten, begriffen, welch ein Krieg ihnen bevorstehen würde.
Fragen des Verkehrs sind in modernen Menschen tief verwurzelt. Kein Mensch, der in Europa aufgewachsen ist, käme heute mehr auf die Idee, dass Dinge wie Einbahnstraßen, Zebrastreifen, Autobahnen, Ampeln, Parkuhren usw.
Ein halbes Jahr nach dem Scheitern der Klimakonferenz von Kopenhagen und ein halbes Jahr vor dem nächsten Weltklimagipfel in Cancún ist das dringend benötigte Kyoto-Nachfolgeprotokoll weit und breit nicht in Sicht. Stattdessen sehen die politischen und ökonomischen Eliten ihr Heil unverändert in der Erzeugung von wirtschaftlichem Wachstum.
Wie sehr man sich auch auf die schier unbegrenzt belastbare Gabe der Selbsttäuschung verlassen kann: Wenn man in der academia einen Artikel zum Geburtstag geschrieben bekommt, muss man unweigerlich einsehen, dass man kein junger Mann mehr ist.
Wie umweltfreundlich ist Demokratie, und wie demokratiefreundlich ist der Klimawandel? Lange schien sich diese Frage von selbst zu beantworten: Die Regierungspraxis, aber auch die Forschung zur Umweltpolitik ließen zu dem beruhigenden Schluss kommen, „dass Demokratie die besseren Voraussetzungen für Umweltpolitik bietet als Autoritarismus […].
Ein leises Klirren hinter mir ließ mich den Kopf drehen. Sechs Schwarze gingen hintereinander und quälten sich den Pfad hinauf. Sie schritten aufrecht und langsam, balancierten kleine Körbe mit Erde auf dem Kopf, und das Klirren begleitete jeden Schritt.
Wenn Politiker sich über Geschichte äußern, betreiben sie unweigerlich Geschichtspolitik.