Es ist mir eine große Ehre, heute hier den Adorno-Preis entgegennehmen zu dürfen. Ich möchte heute Abend über eine Frage Adornos sprechen, die uns auch weiterhin angeht. Ich werde auf diese sich stets neu stellende Frage wiederholt zurückkommen. Es gibt auf sie keine einfache Antwort und ihrem Anspruch an uns ist nicht leicht zu entgehen. In seinen „Minima Moralia“ sagt Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ – aber das ließ ihn keineswegs an der Möglichkeit der Moral verzweifeln.
Vielmehr stehen wir damit vor der Frage: Wie kann man ein gutes Leben im schlechten führen? Adorno betont die Schwierigkeit, für sich selbst und als man selbst, nach einem guten Leben zu streben inmitten einer Welt voller Ungerechtigkeit, Ausbeutung und allen möglichen Formen der Auslöschung. Dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass sich diese Frage, indem ich sie für Sie umformuliere, mit dem geschichtlichen Zeitpunkt wandelt, an dem sie gestellt wird.
Wir stehen also von Anfang an vor zwei Problemen bzw. Fragen: Die erste Frage lautet: Wie können wir unser eigenes Leben so führen, so dass wir sagen können, wir führen ein gutes Leben in einer Welt, die vielen ein gutes Leben strukturell oder systematisch unmöglich macht? Das zweite Problem ist, welche Gestalt diese Frage heute für uns annimmt.