Ausgabe Dezember 1990

Besuch des Präsidenten der Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland am 9. Und 10. November 1990:

Ansprache von Bundeskanzler Kohl anläßlich des Empfangs auf dem Petersberg am 8. November 1990 (Auszüge), Ansprache des Präsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow, auf dem Petersberg am 9. November 1990 (Auszüge)

(...) Mit ihrer weitsichtigen und mutigen Reformpolitik sind Sie dabei, Ihr Land neu zu gestalten.

Sie haben in der Außen- und Sicherheitspolitik Ihres Landes „Neues Denken" durchgesetzt und entscheidend dazu beigetragen, zwischen Ost und West eine neue Partnerschaft zu entwickeln. Neues Vertrauen ist entstanden. Wir alle haben es heute beim Abschluß der Verträge gespürt.

Das war auch die unerläßliche Voraussetzung dafür, daß wir jetzt die Teilung Europas endgültig überwinden können, im Geiste des Friedens, der Selbstbestimmung und der Menschenrechte.

Mit großer Dankbarkeit wissen gerade wir Deutschen Ihren sehr persönlichen Beitrag zu einer glücklichen Wende unserer Geschichte zu würdigen. Heute vor einem Jahr fiel die Berliner Mauer. Und vor wenigen Wochen, am 3. Oktober, hat unser geteiltes Land und Volk seine Einheit in Freiheit und im Einvernehmen mit allen Nachbarn und Partnern vollendet. Die Tatsache, Herr Präsident, daß Sie als erstes ausländisches Staatsoberhaupt gerade heute unser geeintes Land besuchen, erhöht unsere Hochschätzung.

In einer dichten Folge von Begegnungen konnten wir gemeinsam den Weg zur deutschen Einheit ebnen. Der Ertrag unserer Treffen ist - ich glaube, das dürfen wir sagen- in der langen Geschichte unserer Völker ohne Vorbild:

- Ich erinnere an Ihren letzten Besuch in Bonn im Juni 1989. Damals haben wir in unserer Gemeinsamen Erklärung das Prinzip der Selbstbestimmung bekräftigt und unser sehr persönlich begründetes Vertrauen vertiefen können.

- Bei meinem Besuch in Moskau im Februar dieses Jahres haben wir Einverständnis erzielt, daß die Deutschen selbst die Frage der Einheit der Nation lösen, daß sie selbst ihre Wahl treffen müssen, in welchen staatlichen Formen, mit welchem Tempo und in welchen Fristen sie diese Einheit verwirklichen werden. Mit unserer Einigung wurde zugleich der Weg zu den konstruktiven Gesprächen, die wir dann Zwei-plus-Vier-Gespräche nannten, frei. Wir haben allen Grund, allen Partnern für diesen Erfolg zu danken.

- Bei unserer denkwürdigen Begegnung im Kaukasus ist es uns gemeinsam gelungen, die schwierigsten Fragen der deutschen Einheit zu lösen. Nunmehr ist gesichert, daß das geeinte Deutschland zu einem Zugewinn für Sicherheit und Stabilität in ganz Europa wird. Es ist das Atlantische Bündnis eingebunden, das sich selbst wandelt.

Heute, Herr Präsident, wenden wir uns entschlossen der Zukunft zu. Getreu der besonderen Verantwortung, die wir beide als Angehörige der gleichen Generation empfinden, wollen wir unseren Beitrag leisten, einen Schlußstrich unter die leidvollen Kapitel der Vergangenheit zu ziehen und das Zusammenleben unserer Völker und unserer Länder dauerhaft und friedlich zu gestalten.

In diesem Geist haben wir heute den Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit unterzeichnet. Er bringt die Verständigung unserer Länder voran. Er gibt der Versöhnung unserer Völker neue, starke Impulse. Ab heute ist es verbrieft: die deutsch-sowjetischen Beziehungen haben eine neue, eine zukunftsgewandte Qualität, die weit in das kommende Jahrhundert reicht.

Gleichfalls unterzeichnet wurde heute der Vertrag über die Entwicklung einer umfassenden Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Technik, der Wirtschaft, der Wissenschaft. Dieser Vertrag hat Schlüsselbedeutung angesichts der tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Reformen, die Sie unter dem Leitbild der Marktwirtschaft ins Werk gesetzt haben.

Angesichts schmerzhafter, aber unvermeidlicher Übergänge sind wir, die Bundesrepublik Deutschland, bereit, mit Rat und Tat weiterzuhelfen. Wir haben das bereits in den vergangenen Monaten immer wieder bewiesen.

Wir bringen in diese Zusammenarbeit unseren guten Willen und unsere über vierzigjährige Erfahrung mit einer erfolgreichen Sozialen Marktwirtschaft ein. Wir bringen ein unsere feste Verankerung in der Europäischen Gemeinschaft und auch unsere bedeutende Rolle beim Weltwirtschaftsgipfel und in den internationalen Wirtschafts- und Finanzinstitutionen: Wie bisher, wollen wir dort Sachwalter auch der Interessen Ihres Landes sein! [...]

 

--

Leider ist dieser Beitrag in der HTML-Ansicht nur in Auszügen verfügbar. Den gesamten Text finden Sie in der PDF-Datei, die auf dieser Seite zum Download angeboten wird.

 

 

 

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo