Ausgabe April 1992

Chronik vom 6. Februar bis 5. März 1992

6.2. - U n g a r n / B R D. Ministerpräsident Antall und Bundeskanzler Kohl unterzeichnen in Budapest einen "Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa". In Artikel 8 sind jährliche Konsultationen auf der Ebene der Regierungschefs sowie der Außenminister vorgesehen. Kohl erklärt auf einer Pressekonferenz am 7.2., die Bundesrepublik werde für eine baldige Aufnahme Ungarns in die Europäischen Gemeinschaften eintreten.

7.2. - J u g o s l a w i e n. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beauftragt in New York den Generalsekretär, die "Vorbereitungen für den Einsatz einer friedenserhaltenden Operation" in Jugoslawien zu beschleunigen und die Gruppe der militärischen Verbindungsoffiziere von 50 auf 75 zu erhöhen (vgl. "Blätter", 3/1992, S. 260f.). - Am 21.2. beschließt der Sicherheitsrat auf der Grundlage eines Berichts des UN-Generalsekretärs, eine Friedenstruppe in verschiedenen Krisengebieten des Landes zu stationieren. Der Truppe sollen 10 400 Militärs, 530 Polizisten und 519 zivile Mitarbeiter angehören. Der Einsatz ist zunächst auf zwölf Monate befristet. - Am 27.2. verteidigt Präsident Milosevic auf einer Sondersitzung des serbischen Parlaments in Belgrad seine bisherige Politik gegen die zunehmende Kritik aus den eigenen Reihen. Milosevic erklärt, die von ihm angestrebte Bewahrung der Kontinuität Jugoslawiens sei die beste Option. Der Einsatz der UN-Friedenstruppen schaffe die Voraussetzung für eine friedliche Lösung der Krise, für eine Überwindung der Agonie und ein Ende der Gewalt. - E G. Die Außen- und Finanzminister der zwölf Mitgliedstaaten unterzeichnen im Namen ihrer Staatsoberhäupter in der niederländischen Stadt Maastricht den "Vertrag über die Europäische Union" (vgl. "Blätter", 2/1992, S. 133. Zu den beigegebenen Protokollen gehören die "Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank" sowie die "Satzung des Europäischen Währungsinstituts". Das Vertragswerk muß von den Parlamenten aller Mitgliedstaaten ratifiziert werden. - Am 17.2. legt Ratspräsident Pinheiro (Portugal) nach einem Treffen der Außenminister in Lissabon ein Grundsatzpapier über die Beziehungen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) vor. Die EG wolle sich mit zunächst 50 Mill. ECU an der Errichtung eines Wissenschafts- und Technologiezentrums in der Russischen Föderation beteiligen, um Wissenschaftlern und Ingenieuren aus der ehemaligen Sowjetunion den Übergang von militärischen auf zivile Forschungen zu erleichtern. Von diesem Prozeß betroffen seien 3000 bis 4000 Wissenschaftler, die bisher an atomaren, biologischen und chemischen Waffensystemen arbeiteten.

- F r a n k r e i c h / R u ß l a n d. Die Präsidenten Mitterrand und Jelzin unterzeichnen in Paris einen "Vertrag zwischen Frankreich und Rußland", der auf Wunsch der russischen Seite die früher benutzten Vokabeln "Freundschaft" und "Zusammenarbeit" in der Überschrift nicht mehr enthält. Der Vertrag ersetzt das französisch-sowjetische Abkommen vom Oktober 1990, das eine Laufzeit von zehn Jahren hatte (vgl. "Blätter", 12/1990, S. 1420). Auf einer Pressekonferenz der beiden Präsidenten wird ein gemeinsames Dokument veröffentlicht, in dem es u.a. heißt: "Gemäß den Erklärungen ihrer Präsidenten nehmen Rußland und die USA tiefgreifende Reduzierungen ihrer Nuklearwaffen nach einem festgelegten Zeitplan vor. Wenn bei den strategischen Waffen ein erheblicher Fortschritt auf diesem Weg erreicht ist und die Reduzierungen eine bestimmte Qualität und ein bestimmtes Niveau innerhalb einer festgelegten Frist erreicht haben, kann sich Frankreich diesen Verhandlungen anschließen."

9.2. - A l g e r i e n. Der mit Sondervollmachten ausgestattete Staatsrat (vgl. "Blätter", 3/1992, S. 260) verhängt für zunächst ein Jahr den Ausnahmezustand und kündigt Maßnahmen gegen die Islamische Heilsfront (FIS) an. Die Regierung errichtet Internierungslager, eine große Anzahl von Personen wird in Schnellverfahren wegen "bewaffneter Zusammenrottung und Körperverletzung" abgeurteilt. Der amtierende Präsident Boudiaf gibt am 16.2. die Zahl der Inhaftierten mit 6000 an; wer gegen die öffentliche Ordnung verstoße, werde festgenommen. Das Verwaltungsgericht in Algier verfügt am 4.3. die Auflösung der Heilsfront.

12.2. - U N O. Vor der Menschenrechtskommission in Genf schlägt der russische Außenminister Kosyrew die Schaffung eines "Weisenrates" und einer "internationalen Polizei" zur Überwachung der Menschenrechte vor. Staaten, die die internationalen Abkommen verletzten, sollten vermehrt mit ökonomischen Sanktionen bestraft werden. In Zukunft müsse der präventiven Diplomatie größere Bedeutung zukommen. - Am 2.3. nimmt die Generalversammlung in New York acht Nachfolgestaaten der UdSSR (Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan) sowie San Marino in die Weltorganisation auf. Damit gehören den Vereinten Nationen 175 Mitglieder an.

14.2. - G U S. Die Präsidenten Rußlands, Weißrußlands, der fünf zentralasiatischen Republiken sowie Armeniens einigen sich auf einer Zusammenkunft in der weißrussischen Hauptstadt Minsk auf eine gemeinsame Führungsstruktur mit einheitlichem Oberkommando ihrer Streitkräfte für eine Übergangszeit von zwei Jahren. Die Ukraine, Moldawien und Aserbaidschan schließen sich der Vereinbarung nicht an. - Am 19.2. verlangt der ukrainische Präsident Krawtschuk vor der Auslandspresse in Kiew eine Beteiligung seines Landes an den Verhandlungen mit den USA über atomare Abrüstung. Rußland habe nicht das Recht, im Namen auch "der anderen drei Atommächte" auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zu sprechen. Alle vier Republiken (Rußland, Ukraine, Weißrußland, Kasachstan) sollten gleichberechtigt an den Verhandlungen teilnehmen. - Am 22. 2. erklärt Präsident Nasarbajew während eines Besuches in Neu-Delhi, Kasachstan werde die strategischen Atomwaffen auf seinem Territorium nicht einseitig abrüsten. Sein Land fühle sich u.a. durch die USA, China und Rußland bedroht.

16.-17.2. - E C O. Die im Jahre 1985 von Iran, Pakistan und der Türkei gegründete Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Economic Cooperation Organization/ECO) hält in Teheran ein Gipfeltreffen ab. Die bisherigen Sowjetrepubliken Aserbaidschan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan werden als neue Mitglieder aufgenommen; Kasachstan erhält einen Beobachterstatus.

19.2. - K o r e a. Mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden treten der "Aussöhnungsvertrag" sowie die Gemeinsame Erklärung zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Kraft (vgl. "Blätter", 2/1 992, S. 134). Die Zeremonie findet in Anwesenheit der Regierungschefs der beiden koreanischen Staaten in der nordkoreanischen Hauptstadt Pyongyang statt.

21.2. - N A T O. Im Hauptquartier der Nordatlantischen Allianz in Brüssel tagt eine "Hochrangige Arbeitsgruppe" (High Level Working Group/HLWG), der Vertreter der Mitgliedstaaten der NATO und des ehemaligen Warschauer Vertrages angehören. Die Teilnehmer einigen sich auf einen Zeitplan zur Inkraftsetzung des im Rahmen der KSZE abgeschlossenen Vertrages über Konventionelle Streitkräfte in Europa vom 19. November 1990 (Auszüge in "Blätter", 1/1991, S. 116 ff.). Dabei sollen die GUS-Staaten als Rechtsnachfolger die Verpflichtungen der UdSSR aus diesem Vertrag übernehmen. - Vom 24.-25.2. besucht Generalsekretär Wörner die Russische Föderation. Wörner konferiert u.a. mit Außenminister Kosyrew, mit dem Befehlshaber der GUS-Streitkräfte Marschall Schaposchnikow und wird am 25.2. von Präsident Jelzin empfangen. Im Mittelpunkt stehen Fragen der Rüstungskontrolle und die Gefahr der Weitergabe sowjetischen Fachwissens auf atomarem Gebiet an Drittländer.

- U S A / C h i n a. Die amerikanische Regierung hebt die gegen die VR China verhängten Rüstungssanktionen auf. In Presseberichten heißt es, die chinesische Regierung habe schriftlich zugesagt, sich an internationale Vereinbarungen über die Kontrolle der Raketentechnologie zu halten.

24.2.-4.3. - N a h e r O s t e n. Eine weitere Runde der bilateralen Friedensgespräche, die in Washington stattfindet, führt wiederum nicht zu einer Annäherung in den gegensätzlichen Standpunkten (vgl. "Blätter", 3/1992, S. 260). Die israelische Delegation unterbreitet Vorschläge für die "Selbstverwaltung" der Palästinenser in den besetzten Gebieten, die eine Antwort auf den schon früher vorgelegten Plan der palästinensischen Delegation für die "Selbstbestimmung" darstellt. Die Konferenz wird von neuen Militäraktionen Israels in der beanspruchten "Sicherheitszone" im Südlibanon überschattet. - Am 27.2. protestiert der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York gegen die Weigerung des Irak, die Zerstörung der Anlagen für die Produktion von Scud-Raketen unter Aufsicht von UN-Inspekteuren fortzusetzen. Eine entsprechende Erklärung gibt der Ratspräsident im Namen aller 15 Mitglieder ab. - Am 3.3. vertagt der amerikanische Senat die Entscheidung über eine von Israel gewünschte Kreditgarantie in Höhe von 10 Mrd. Dollar auf unbestimmte Zeit.

26.2. - K a n a d a. Die Regierung unterrichtet das NATO-Hauptquartier in Brüssel über einen Beschluß, die in Europa stationierten kanadischen Truppen vorfristig und vollständig bis zum Jahre 1994 zurückzuziehen. Die Maßnahme, die mit drastischen Kürzungen im Verteidigungshaushalt begründet wird, betrifft auch Garnisonen in Lahr und Baden-Sollingen auf dem Territorium der Bundesrepublik.

27.2. - T s c h e c h o s l o w a k e i / B R D. Präsident Havel und Bundeskanzler Kohl setzen in Prag ihre Unterschriften unter den "Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit". Der Vertrag bestätigt noch einmal die "Nichtigkeit des Münchner Abkommens vom 29. September 1938" und nimmt dabei Bezug auf den Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit der Tschechoslowakei aus dem Jahre 1973 (Text in "Blätter", 7/1973, S. 790 ff.). In einem begleitenden Briefwechsel erklärt die tschechoslowakische Regierung, daß die "Eingliederung der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik in die Europäischen Gemeinschaften in wachsendem Maße die Möglichkeit schaffen wird, daß sich auch Bürger der Bundesrepublik Deutschland in der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik niederlassen können".

- F i n n l a n d. Gegen die Stimmen von zwei Kabinettsmitgliedern einigt sich die Regierung darauf, einen Antrag auf Vollmitgliedschaft in den Europäischen Gemeinschaften zu stellen. Eine entsprechende Botschaft wird dem Parlament zugeleitet.

28.2. - K a m b o d s c h a. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschließt in New York, eine Übergangsverwaltung für Kambodscha (United Nations Transitional Authority in Cambodia/UNTAC) zu errichten. Es handelt sich um die bisher größte Friedensoperation der Vereinten Nationen. Mehr als 22 000 Militär- und Zivilpersonen sollen die Bürgerkriegsparteien entwaffnen, das Land für eine Übergangszeit verwalten und Wahlen für Mai 1993 vorbereiten.

2.3. - N o r d i s c h e r R a t. Die Regierungschefs Dänemarks, Finnlands, Islands, Norwegens und Schwedens beschließen in Helsinki zum Auftakt einer Tagung des Nordischen Rates ein dreijähriges Investitionsprogramm für die drei baltischen Staaten in Höhe von rund 200 Mill. DM. Bundeskanzler Kohl erklärt am 5.3. in einer Rede vor dem Rat, die Bundesrepublik werde sich dafür einsetzen, die EG-Beitrittsverhandlungen mit Österreich, Schweden und Finnland schon Anfang des nächsten Jahres zu beginnen.

4.3. - K S Z E. Die 48 Teilnehmerstaaten der im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geführten Verhandlungen über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen (zur Eröffnung vgl. "Blätter", 4/1989, S. 516) verabschieden in der österreichischen Hauptstadt ein "Wiener Dokument 1992", das das "Wiener Dokument 1990" ergänzt und erweitert. Nach den Worten des österreichischen Delegationsleiters Vukovich sieht das neue Dokument, das dem bevorstehenden KSZE-Folgetreffen in Helsinki vorgelegt werden soll, erstmals echte Beschränkungen militärischer Aktivitäten vor: Manöver mit mehr als 40 000 Mann dürfen in einem Land künftig nur noch einmal alle zwei Jahre stattfinden. Der polnische Botschafter Nowak erklärt, die jetzt getroffenen Regelungen seien darauf angelegt, das Risiko lokal begrenzter Konflikte zu verringern. Ein Großkonflikt sei mit der Auflösung des Warschauer Vertrages und dem Zerfall der Sowjetunion unwahrscheinlich geworden.

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo