Ausgabe Oktober 1992

Chronik vom 6. August bis 5. September 1992

6.8. - B a l t i k u m. Die Außenminister Manitski (Estland), Jurkans (Lettland) und Saudargas (Litauen) verhandeln in Moskau mit dem russischen Außenminister Kosyrew über den Abzug der noch im Baltikum verbliebenen rund 200 000 Soldaten der ehemaligen Sowjetarmee. Es wird beschlossen, einen für beide Seiten akzeptablen Zeitplan auszuarbeiten.

7.8. - J u g o s l a w i e n. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ermächtigt die UN-Schutztruppe in Jugoslawien (UNPROFOR; vgl. "Blätter", 8/1992, S. 900), Einwanderungs- und Zollaufgaben an den Grenzen der Schutzzonen (Protection Areas) wahrzunehmen. Am 13.8. fordert der Sicherheitsrat die Mitglieder der Vereinten Nationen auf, selbständig oder im Rahmen regionaler Bündnisse "alle notwendigen Maßnahmen" zu ergreifen, um die Lieferung humanitärer Güter nach Sarajewo oder andere Landesteile von BosnienHerzegowina zu ermöglichen. Die entsprechende Resolution wird mit zwölf Stimmen bei drei Enthaltungen (China, Indien und Simbabwe) angenommen. In Presseberichten heißt es, die Resolution ermächtige die UN-Mitglieder notfalls auch zur Anwendung militärischer Gewalt. - Am 10.8. beschließt die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf auf einer außerordentlichen Sitzung (13.-10.8.), den früheren polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki mit der Untersuchung von Berichten über zunehmende Verletzungen der Menschenrechte im jugoslawischen Bürgerkrieg, insbesondere in Bosnien-Herzegowina, zu beauftragen. - Am 25.8. tritt EG-Vermittler Lord Carrington (Großbritannien) zurück und äußert sich vor der Presse enttäuscht über den Verlauf seiner Mission (vgl. "Blätter", 11/1991, S. 1280 f.). Nachfolger wird der ehemalige britische Außenminister David Owen. - Vom 26.-27.8. findet unter dem gemeinsamen Vorsitz der Vereinten Nationen und der Europäischen Gemeinschaft in London eine Internationale Jugoslawien-Konferenz statt. Zur Eröffnung sprechen Premierminister Major als gegenwärtiger EG-Ratspräsident und UN-Generalsekretär Boutros Ghali. In einer Erklärung ("Statement of Principles on Former Yugoslavia") formuliert die Konferenz 13 Grundsätze "für eine Verhandlungslösung der Probleme des früheren Jugoslawien". Dazu gehören "die Nichtanerkennung jeglicher durch Gewalt oder die Schaffung vollendeter Tatsachen erlangter Vorteile oder daraus resultierender rechtlicher Konsequenzen" (2. Grundsatz), "die uneingeschränkte Verurteilung von gewaltsamen Vertreibungen, illegaler Internierungen und von Versuchen, die ethnische Zusammensetzung von Bevölkerungen zu verändern..." (6. Grundsatz) sowie "die grundsätzliche Verpflichtung zur Respektierung der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialer Integrität aller Staaten dieser Region..." (8. Grundsatz). Eine "endgültige Lösung" der sich aus der Auflösung "der früheren Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien" ergebenden Fragen könne nur "im Konsens oder durch Schiedsspruch" erfolgen (9. Grundsatz). Ein gesondertes Dokument ("Specific Decisions by London Conference on Yugoslavia") sieht die Aufhebung sämtlicher Belagerungen von Städten und Ortschaften und die internationale Bewachung schwerer Waffen und deren Registrierung vor und verpflichtet alle Staaten, sich der direkten oder indirekten militärischen Unterstützung der Kontrahenten zu enthalten. Die Konferenz setzt sechs Arbeitsgruppen sowie eine Schiedskommission (Arbitration Commission) ein und errichtet ein kleines Sekretariat mit Sitz in Genf, dessen Personal von den Vereinten Nationen und der Europäischen Gemeinschaft gestellt werden soll. Die Koordinierung der künftigen Arbeiten übernimmt ein Lenkungsausschuß (Steering Committee, in dem u.a. die "Troika" von EG und KSZE, die fünf ständigen Mitglieder des UNSicherheitsrates sowie die Islamische Konferenz-Organisation vertreten sind. Den Vorsitz führen die Beauftragten des UN-Generalsekretärs sowie der EG-Präsidentschaft. Der Lenkungsausschuß nimmt seine Arbeit am 3.9. in Genf auf.

- M o s a m b i k. Vertreter der Regierung und des Nationalen Widerstandes Mosambiks (RENAMO unterzeichnen in Rom ein erstes Abkommen zur Beendigung des langjährigen Bürgerkrieges; ein Friedensvertrag soll bis zum 1. Oktober d.J. folgen. Vorgesehen sind u.a. ein Waffenstillstand und die Vorbereitung von Wahlen, an denen sich mehrere Parteien beteiligen können. Die Vereinten Nationen werden aufgefordert, den Friedensprozeß zu überwachen.

10.-11.8. - N a h e r O s t e n. Der amerikanische Präsident Bush empfängt auf seinem Landsitz Kennebunkport den israelischen Ministerpräsidenten Rabin zu einem Meinungsaustausch. Nach dem Treffen gibt Bush bekannt, er werde den Kongreß auffordern, Israel die bisher verweigerte Kreditgarantie in Höhe von 10 Mrd. Dollar zu gewähren. Rabin erklärt gegenüber einem israelischen Radiosender, die Grundlage für die Einigung mit Bush über die Kreditgarantien sei Verständnis für die Position beider Seiten gewesen. In Presseberichten heißt es, Bush habe die von Rabin gemachte Unterscheidung zwischen sicherheitsrelevanten und politischen Siedlungen in den besetzten Gebieten akzeptiert. - Vom 24.8.-3.9. wird die Friedenskonferenz nach längerer Unterbrechung mit einer weiteren Runde in Washington fortgesetzt (vgl. "Blätter", 6/1992, S. 645). Die Delegationen tauschen Positionspapiere aus. In Presseberichten heißt es, in einer verbesserten Atmosphäre sei es zu einer gewissen Annäherung zwischen Israel und Syrien gekommen. - Am 26.8. kündigt Präsident Bush die Einrichtung einer Flugverbotszone für irakische Flugzeuge über dem Südirak mit Wirkung vom 27.8. an. Flugzeuge der USA "und ihrer Koalitionspartner" sollten das Verbot überwachen. Bush begründet die Entscheidung mit der anhaltenden Repression der Regierung in Bagdad gegen die im Südirak lebende schiitische Bevölkerung und weist auf die Resolution 688 des UN-Sicherheitsrates vom 5. April 1991 hin (Text in "Blätter", 5/1991, S. 640). Die irakische Regierung protestiert bei den Vereinten Nationen und bezeichnet die vorgesehenen Maßnahmen als einen Anschlag auf ihre Souveränität; sie behalte sich das Recht auf Widerstand vor. Präsident Hussein spricht am 30.8. in einer Fernsehansprache von Plänen der USA und ihrer Alliierten zur Zerstörung des Irak. - Am 31.8. beginnt die israelische Armee mit der Freilassung von 600 palästinensischen Gefangenen, die wegen "Sicherheitsvergehen" verurteilt wurden. Die Freilassung erfolgt mit bestimmten Auflagen.

12.8. - N A F T A. Die USA, Mexiko und Kanada einigen sich nach 14monatigen Verhandlungen auf die Bildung einer Nordamerikanischen Freihandelszone. Ein entsprechendes Abkommen (North American Free Trade Agreement / NAFTA) soll nach der Ratifizierung durch die beteiligten Staaten am 1. Januar 1994 in Kraft treten und weiteren Ländern zum Beitritt offenstehen. In Presseberichten heißt es, bei der neuen Freihandelszone werde es sich um den größten Binnenmarkt der Welt mit 360 Mio. Einwohnern handeln.

14.8. - K S Z E. Der Ausschuß Hoher Beamter der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa erklärt in Prag die Bereitschaft der KSZE, sich unter dem Dach der Vereinten Nationen an militärischen Aktionen in Bosnien-Herzegowina zu beteiligen. Die Vertreter der 51 KSZE-Staaten richten einen entsprechenden Brief an UN-Generalsekretär Boutros Ghali.

17.8. - S ü d a f r i k a. Auf Empfehlung von UN-Generalsekretär Boutros Ghali entsendet der Sicherheitsrat 30 Beobachter der Vereinten Nationen nach Südafrika, um bei der Verwirklichung des Nationalen Friedensabkommens und bei der Demokratisierung des Landes zu helfen. Der entsprechende Beschluß fällt einstimmig und wird von Außenminister Roelof Botha ausdrücklich begrüßt.

19.8. - I n d i e n / P a k i s t a n. Beide Staaten verpflichten sich gegenseitig, keine Chemiewaffen zu entwickeln, herzustellen oder zu erwerben und solche Waffen niemals anzuwenden. Ein gemeinsames Dokument ("Joint Declaration on Complete Prohibition of Chemical Weapons") wird von den Außenministern in Neu Delhi unterzeichnet und am 20.8. der Abrüstungskonferenz in Genf vorgelegt.

23.8. - U S A. Außenminister James Baker verläßt das State Department und wechselt als Stabschef ins Weiße Haus. Präsident Bush, der das Revirement am 13.8. ankündigt, erklärt dazu vor der Presse, er habe Baker mit der Leitung seiner Kampagne zur Wiederwahl sowie mit der Erarbeitung eines Programms für eine zweite Amtszeit beauftragt. Die Leitung des Außenministers übernimmt geschäftsführend Bakers bisheriger Stellvertreter Lawrence Eagleburger.

- C h i n a / K o r e a. Der südkoreanische Außenminister Lee Sang Ock kommt zu einem offiziellen Besuch nach Peking, um mit seinem chinesischen Kollegen Qian Qichen die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten zu vereinbaren. Die Regierung von Taipei ordnet daraufhin den Abbruch ihrer Beziehungen zur Republik Korea (Südkorea) an.

27.-28.8. - B u n d e s r e g i e r u n g. Zu Beginn einer Kabinettssitzung verurteilt Bundeskanzler Kohl in einer Erklärung "die Ausschreitungen gegen Ausländer" in Rostock und fordert erneut eine Ergänzung des Asyl-Artikels im Grundgesetz. Die "dazu notwendigen Gespräche" mit der SPD müßten "zügig vorangetrieben werden".

1.9. - B l o c k f r e i e B e w e g u n g. Der indonesische Präsident Suharto eröffnet in Jakarta das 10. Gipfeltreffen der Blockfreien Bewegung (1.-6.9. ; zum 9. Gipfeltreffen vgl. "Blätter", 10/1989, S. 1164 und 11/1989, S. 1290). Suharto erneuert die Forderungen der Dritten Welt nach Erleichterung der Schuldenlast verbunden mit Zollvergünstigungen und wendet sich gegen eine Verknüpfung von Hilfen der Industriestaaten mit Menschenrechtsfragen. Die "neue Weltordnung" dürfe sich "nicht als neue Version alter Muster der Herrschaft der Starken über die Schwachen und der Reichen über die Armen" herausstellen. In einer "Botschaft von Jakarta" bekräftigt die Staatengemeinschaft ihre Aufgabe, auch nach dem Ende des Kalten Krieges für eine Beilegung aller Konflikte in der Welt einzutreten. Schwelende Streitigkeiten, Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen, religiöse Intoleranz und engstirniger Nationalismus seien eine Gefahr für alle Menschen und Völker. Ein bis zuletzt umstrittener Passus in der Abschlußerklärung verurteilt Serbien "scharf für seine verabscheuungswürdige Politik der ethnischen Säuberungen in BosnienHerzegowina". Der vor allem von den islamischen Staaten unterstützte Antrag nach Ausschluß der Delegation Jugoslawiens findet auf der Konferenz keine Mehrheit. Neu in die Bewegung aufgenommen werden die ehemalige Sowjetrepublik Usbekistan sowie Brunei, die Philippinen und Burma, die damit 108 Mitglieder zählt. Für die nächsten drei Jahre übernimmt Indonesien (bisher Jugoslawien) den Vorsitz.

2.9. - N A T O. Der Nordatlantikrat begrüßt nach einer Sitzung in Brüssel die Ergebnisse der Londoner Jugoslawien-Konferenz (26.-27.8.). Die NATO sei bereit, den Vereinten Nationen zusätzliche Unterstützung zur Sicherung der humanitären Hilfe und bei der Kontrolle schwerer Waffen im Kampfgebiet zu leisten.

- U S A / C h i n a. Präsident Bush stimmt der Lieferung von 150 Kampfflugzeugen des Typs F-16 an Taiwan zu. Der Auftrag hat einen Wert von vier Mrd. Dollar. Die Regierung der VR China verurteilt die Ankündigung und erklärt, Washington müsse für die "schweren Konsequenzen" die Verantwortung übernehmen. Ein Sprecher in Peking deutet an, die chinesische Regierung könne sich aus der Gruppe der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates zu Fragen der Rüstungsbeschränkung zurückziehen.

3.9. - A b r ü s t u n g. Nach einer Verhandlungsdauer von fast 25 Jahren verabschiedet die 39-Staaten-Abrüstungskonferenz in Genf den Entwurf eines Vertrages über das vollständige Verbot chemischer Waffen. Das Verbot und die Zerstörung der vorhandenen Vorräte innerhalb von zehn Jahren soll von einer besonderen Behörde (1000 Mitarbeiter) mit Sitz in Den Haag überwacht werden. Der Vertragsentwurf geht zunächst an die UN-Generalversammlung, die formelle Unterzeichnung ist für Januar 1993 in Paris vorgesehen.

- U N O. Generalsekretär Boutros Ghali trifft zu einem mehrtägigen Besuch der Russischen Föderation in Moskau ein. In Gesprächen u.a. mit Präsident Jelzin erläutert der Generalsekretär seinen Plan zur Aufstellung einer schnellen Eingreiftruppe ("Rapid Deployment Force") zur Unterstützung von Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Die für diesen Zweck von einzelnen Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Truppenkontingente sollten "auf Abruf" innerhalb von 24 oder 48 Stunden einsatzbereit sein.

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