Ausgabe Januar 1995

Chronik des Monats November - Dezember 1994

6.11. - A l b a n i e n. Der Entwurf einer neuen Verfassung wird von der Bevölkerung mit 54% der abgegebenen Stimmen abgelehnt. Die Opposition hatte vor allem die vorgesehene zu starke Stellung des Präsidenten angefochten. Präsident Berisha kündigt am 10.11. vorgezogene Parlamentswahlen für das Frühjahr 1995 an.

7.11. - F i n n l a n d. Der Reichstag verschiebt die endgültige Entscheidung über den Beitritt des Landes zur Europäischen Union, um den Ausgang eines entsprechenden Referendums in Schweden (13.11.) abzuwarten. - Am 18.11. ratifiziert das Parlament mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit (152 gegen 45 Stimmen) den Beitritt Finnlands zur Europäischen Union zum 1. Januar 1995 (zur Volksabstimmung vgl. "Blätter", 12/1994, S. 1418).

K o r e a. Die Republik Korea (Südkorea) hebt das seit fast 50 Jahren bestehende Handels- und Investitionsembargo gegen die Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) auf. Der Beschluß wird von der südkoreanischen Regierung als erster Schritt zur Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem kommunistischen Norden bezeichnet.

8.11. - U S A. Bei Teilwahlen zum Kongreß muß die Demokratische Partei von Präsident Clinton eine schwere Niederlage hinnehmen. Erstmals seit 40 Jahren verfügen die Republikaner künftig in Senat (100 Mitglieder) und Repräsentantenhaus (435 Abgeordnete) über eine Mehrheit. Das Verhältnis im Senat beträgt 52:48. - Am 2.12. kündigt Clinton eine Erhöhung der amerikanischen Militärausgaben um 25 Mrd. Dollar in den nächsten sechs Jahren an. Ein Sprecher der Republikaner im Kongreß begrüßt die Ankündigung als "ersten Schritt".

9.-10.11. - E u r o p a r a t. Das Ministerkomitee verabschiedet auf einer Sitzung in Straßburg eine Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten, die jedoch erst nach der Ratifizierung durch zwölf der 33 Mitgliedstaaten in Kraft treten kann. Als neues Mitglied wird Andorra in den Europarat aufgenommen.

10.11. - B u n d e s t a g. Der 13. Deutsche Bundestag (zur Wahl vgl. "Blätter", 12/1994, S. 1417) tritt im Reichstagsgebäude in Berlin zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Die Eröffnungsrede als Alterspräsident hält der PDS-Abgeordnete Stefan Heym (Text in "Blätter", 12/1994, S. 1518 ff.). Nach der Wiederwahl von Rita Süßmuth (CDU) zur Bundestagspräsidentin werden Hans Klein (CSU), Hans-Ulrich Klose (SPD), Burkhard Hirsch (FDP) und Antje Vollmer (Grüne) zu Vizepräsidenten bestimmt. Die Grünen sind damit erstmals im Parlamentspräsidium vertreten.

N a h e r O s t e n. Der irakische Präsident Hussein unterzeichnet in Bagdad ein Gesetz, das die Souveränität des Staates Kuwait und seine territoriale Integrität im Rahmen der von den Vereinten Nationalen festgelegten Grenzen anerkennt (vgl. "Blätter", 12/1994, S. 1416). - Am 29.11. fordert der Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde, Arafat, auf einer Konferenz in Brüssel die Weltgemeinschaft zu finanzieller Hilfe für die Palästinenser auf. Nur eine rasche und deutliche Verbesserung des Lebensstandards in den Autonomiegebieten könne Extremisten und Terroristen Einhalt gebieten. - Am 1.12. übernimmt die Palästinensische Autonomiebehörde von Israel die Hoheit über die Steuerverwaltung und das Gesundheitswesen im besetzten Westjordanland. Beide Seiten unterzeichnen in Ramallah ein entsprechendes Abkommen.

11.11. - Ö s t e r r e i c h. Der Nationalrat ratifiziert mit 141 gegen 40 Stimmen das Vertragswerk über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union (zur Volksabstimmung vgl. "Blätter", 8/1994, S. 905). An der Parlamentssitzung in Wien nehmen als Ehrengäste die Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments, Delors und Haensch, teil. 

J u g o s l a w i e n. In Washington wird eine Anordnung von Präsident Clinton an die zuständigen Militärstellen bekannt, sich künftig nicht mehr an der Überwachung des von den Vereinten Nationen gegen Bosnien und Kroatien verhängten Waffenembargos zu beteiligen. Die in der Adria stationierte US-Marine werde künftig Waffentransporte für Kroatien und Bosnien auf dem Seeweg passieren lassen. Die Entscheidung der USA stößt bei europäischen Regierungen auf Kritik. Der britische Außenminister Hurd erklärt, das Embargo beruhe auf einer bindenden Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Der Generalsekretär der Westeuropäischen Union (WEU), der Niederländer van Eekelen, warnt vor einer Ausweitung der Kämpfe in Bosnien. Im russischen Außenministerium heißt es, man nehme die Nachricht aus Washington mit Beunruhigung zur Kenntnis. - Am 21.11. greifen Flugzeuge der NATO auf Anforderung der Schutztruppen der Vereinten Nationen (UNPROFOR) erstmals seit Ausbruch des Krieges im ehemaligen Jugoslawien militärisches Ziel außerhalb Bosniens an. Bombardiert wird ein Flugplatz bei Udbina in einem von Serben gehaltenen Gebiet der Krajina (Kroatien). Später erfolgen Luftangriffe auf Raketenstellungen der Serben am nordöstlichen Rand der Enklave von Bihac. Ein Sprecher des russischen Außenministeriums äußert sich am 23.11. besorgt über die NATO-Aktionen. Es bestehe die Gefahr einer Kettenreaktion, was notwendigerweise in eine Fortsetzung des Blutvergießens münden müsse. Rußland setze sich weiterhin für eine diplomatische Lösung des Konflikts ein. - Am 24.11. verurteilen die NATO-Botschafter in Brüssel den anhaltenden Vorstoß der bosnischen und kroatischen Serben auf Bihac und fordern einen sofortigen Waffenstillstand sowie den Rückzug der Truppen. Ein amerikanischer Antrag, weitere Luftschläge anzudrohen, findet jedoch keine Zustimmung. - Am 28.11. erklärt NATO-Generalsekretär Claes in Brüssel, die Allianz sei zum sofortigen Eingreifen in Bosnien-Herzegowina bereit, habe aber noch keinen entsprechenden Auftrag von den Vereinten Nationen. - Am 2.12. nimmt die BosnienKontaktgruppe auf einer Sitzung in Brüssel Modifizierungen an ihrem Friedensplan vor, die der serbischen Seite die Zustimmung erleichtern sollen. Die Außenminister Hurd (Großbritannien) und Juppé (Frankreich) reisen anschließend nach Belgrad (4.12.), um dem serbischen Präsidenten Milosevic die Änderungen des Plans zu erläutern. Hurd vertritt in einem Rundfunkinterview die Ansicht, sollte der internationale Friedensplan scheitern, wäre der Abzug der UN-Schutztruppen aus Bosnien wie auch die Aufhebung des Waffenembargos nicht mehr zu verhindern.

13.11. - S c h w e d e n. Die Bevölkerung stimmt in einem Referendum mit 52,2% gegen 46,9% dem Beitritt des Landes zur Europäischen Union zu; Enthaltungen werden 0,9% gezählt. Die Stimmbeteiligung liegt bei 82,4%. - Am 23.11. verabschiedet das Parlament mit 293 Stimmen bei 17 Enthaltungen die für den EU-Beitritt notwendigen Verfassungsänderungen.

14.11. - B u n d e s r e g i e r u n g. Die Parteivorsitzenden Kohl (CDU, Waigel (CSU) und Kinkel (FDP) erläutern auf einer Pressekonferenz m Bonn das Ergebnis ihrer Koalitionsverhandlungen und legen dazu eine Vereinbarung für die kommende Legislaturperiode vor. - Am 15.11. wählt der Bundestag (672 Abgeordnete) in Bonn Helmut Kohl (CDO erneut zum Bundeskanzler. Kohl erhält 338 Stimmen, die Koalition verfügt über 341 Stimmen. Dem um zwei Ressorts verkleinerten Kabinett, das am 17.11. im Parlament vereidigt wird, gehören neben dem Bundeskanzler zehn Vertreter der CDU, vier der CSU und drei der FDP an. Vizekanzler bleibt Bundesaußenminister Kinkel. 

R u ß l a n d. Präsident Jelzin erklärt in einer Rede vor russischen Militärs, nach dem Wahlsieg der Republikaner in den USA rechne man in Moskau mit einer gewissen Verhärtung der russischamerikanischen Beziehungen. Um die Beziehungen zu Washington im Gleichgewicht zu halten, werde man die Kontakte mit den Republikanem intensivieren. - Am 17.11. sagt Außenminister Kosyrew nach einem Treffen mit seinem französischen Amtskollegen Juppé in Paris, es müsse eine neue Sicherheitsformel für Europa gefunden werden. Die bestehenden Sicherheitsstrukturen seien den Herausforderungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht mehr gewachsen. - Am 23.11. weist Jelzin bei einem Besuch im Gebiet von Pskow die von Estland vorgebrachten Gebietsforderungen an die Russische Föderation zurück: "Diese Grenze war und ist russisch und wird es bleiben." In keinem Falle werde Rußland auch nur einen Fußbreit Boden abtreten, wer auch immer darauf Anspruch erhebe.

16.11. - U k r a i n e. Das Parlament ratifiziert den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Kernwaffensperr-Vertrag) aus dem Jahre 1968. In Presseberichten heißt es, die Ukraine mache jedoch den endgültigen Beitritt zu diesem Vertrag von weiteren Sicherheitsgarantien der Großmächte abhängig. 20.11. - A n g o l a. Außenminister de Moura, als Vertreter der Regierung, und Generalsekretär Kola, als Vertreter der Oppositionsbewegung UNITA, unterzeichnen in der sambischen Hauptstadt Lusaka ein Abkommen, mit dem der langjährige Bürgerkrieg in Angola beendet werden soll (vgl. "Blätter", 12/1994, S. 1418). An der Zeremonie nehmen die Repräsentanten von 29 Staaten teil. Anwesend ist auch der angolanische Präsident Dos Santos. UNITA-Chef Savimbi, der kurzfristig abgesagt hatte, erklärt sich zu einem späteren Treffen mit Dos Santos bereit.

21.11. - F r a n k r e i c h. Ministerpräsident Balladur wendet sich in Paris gegen eine "vorschnelle" Erweiterung der NATO und der Westeuropäischen Union (WEU) um die Staaten Ostmitteleuropas. Eine überhastete Aufnahme dieser Länder könne Europa eher Instabilität als mehr Stabilität bringen. Frankreich warne davor, Rußland durch Sicherheitsgarantien für die baltischen Staaten, die Ukraine und die Slowakische Republik zu isolieren. 23.11. - USA/Kasachstan. Der amerikanische Verteidigungsminister Perry und Außenminister Christopher unterrichten die Öffentlichkeit auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Washington über eine bisher geheimgehaltene Operation. Unter dem Codenamen Projekt "Saphir" seien mit zwei Frachtflugzeugen der US-Streitkräfte rund 600 kg hochangereichertes Uran aus Kasachstan in die USA gebracht worden, um dieses waffenfähige Material, das zur Herstellung von mindestens 20 Atombomben ausreichen würde, vor unbefugter Verwendung zu sichern. Rußland sei über die Aktion informiert worden.

25.11. - K u b a. Zum Abschluß eines mehrtägigen Solidaritätstreffens in Havanna erklärt Präsident Castro, Kuba werde am Sozialismus festhalten und nicht zum Kapitalismus zurückkehren. Castro wirft den USA vor, mit dem seit 32 Jahren bestehenden Handelsembargo einen Krieg zur Destabilisierung seines Landes zu führen. 27.-28.11. - Norwegen. Mit 52,3 gegen 47,7% der Stimmen lehnen die Wähler einen Beitritt des Landes zur Europäischen Union ab; die Differenz beträgt rund 120 000 Stimmen. Die Beteiligung an der Abstimmung liegt bei 89%.

30.11. - T h ü r i n g e n. Der Landtag in Erfurt (vgl. "Blätter", 12/1994, S. 1417 f.) wählt Bernhard Vogel (CDU) mit 67 von 87 Stimmen erneut zum Ministerpräsidenten. Nach der Einigung von CDU und SPD über die Bildung einer "Großen Koalition" tritt der bisherige SPD-Fraktionsvorsitzende Schuchardt als stellvertretender Regierungschef in das Kabinett ein, dem fünf Vertreter der CDU und vier der SPD angehören. Einzige Oppositionspartei im Landtag ist die PDS.

1.-2.12. - N A T O. Unter Vorsitz von Generalsekretär Claes halten die Außenminister der Mitgliedstaaten eine Sitzung in Brüssel ab (1.12.), der sich eine Zusammenkunft des Nordatlantischen Kooperationsrates anschließt (2.12.). Wichtigste Themen sind der Krieg im ehemaligen Jugoslawien sowie die umstrittene "Osterweiterung" der Allianz. Überraschend lehnt es der russische Außenminister Kosyrew ab, das vorbereitete Arbeitsprogramm zur "Partnerschaft für den Frieden" zu unterzeichnen. Zur Begründung erklärt Kosyrew, das Kommuniqué der Außenminister schaffe Unklarheiten über die weitere Strategie des Bündnisses in Osteuropa, weitere Klärungen seien nötig. In Bonn wird am 1.12. mitgeteilt, der amerikanische NATO-Oberbefehlshaber General Joulwan habe die Bundeswehr gebeten, sich mit Tornado-Kampfflugzeugen an Einsätzen im früheren Jugoslawien zu beteiligen.

3.-4.12. - D i e G r ü n e n. Die Bundesversammlung bestimmt in Potsdam eine neue Parteispitze. Zu Sprechern werden Jürgen Trittin (Niedersachsen) und Krista Sager (Hamburg) gewählt.

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo