In Jerusalem kann man gleich um die Ecke vom levantinischen Orient in den europäischen Okzident - und umgekehrt - gelangen. Es ist bestimmt nicht der einzige Ort, an dem kulturgeschichtlich heteronome Lebenswelten derart eng beieinander liegen - Macao, New York, das Algier der auslaufenden französischen Kolonialzeit oder das Shanghai der 20er Jahre mögen einem als vergleichbare Städte einfallen. Dennoch bietet dieses Fleckchen Erde, auf dem drei monotheistische Religionen um die Nähe zum Himmel wetteifern und politische wie kulturelle Gegensätze sich gegenseitig hochschaukeln, wie kaum ein anderer Beobachtungspunkt die Möglichkeit, das Problem der Identitätsbildung vor dem Hintergrund derart unterschiedlicher Wirklichkeiten zu betrachten.
Nach israelischem Recht besitzt Jerusalem den Status der Landeshauptstadt, ohne daß dies völkerrechtlich anerkannt wäre. Zudem soll es die Hauptstadt eines zukünftigen Staates werden - Palästinas. Verwaltet wird Jerusalem wie eine moderne westeuropäische Kapitale. Zusammengesetzt ist es aber nach dem Muster arabischer Städte - als Vernetzung von Milieus, die, weil sie der Erhaltung traditionaler Solidargemeinschaften dienen, ganz auf sich und nicht auf den öffentlichen Raum bezogen sind. Deshalb ist die Unterscheidung zwischen dem Ost- und dem Westteil der Stadt für die Orientierung auf dem Stadtplan gerade gut genug.