Ausgabe November 1995

Die türkische Krise

Die gegenwärtige innenpolitische Krise in der Türkei kam nicht unerwartet. Sie ist lediglich der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die spätestens 1993 begann. Der unerwartete Tod von Turgut Özal im April 1993 hatte Süleyman Demirel die Chance eröffnet, nicht länger hinter seinem ehemaligen Schützling und späteren Erzrivalen Özal zurückzustehen und selbst Staatspräsident der Republik Türkei zu werden. Demirel, der nach der Absetzung als Ministerpräsident beim Militärputsch von 1980 beharrlich sein Comeback betrieben hatte, war 1991 an der Spitze einer Koalition seiner konservativen "Partei des Rechten Weges" (DYP) und der "Sozialdemokratischen Volkspartei" erneut Ministerpräsident geworden. Nach seinem Ausscheiden aus Partei und Regierung 1993 trat Frau Tansu Ciller die Nachfolge als Parteivorsitzende und Ministerpräsidentin an. Sie setzte die Koalition mit der SHP fort. Die Koalitionsvereinbarungen stellten die Privatisierung von staatseigenen Unternehmen als Anliegen der DYP und die Demokratisierung als Anliegen der SHP in den Vordergrund.

Die Wirtschaftsprofessorin Ciller, erst seit 1990 politisch aktiv, Vorzeigefrau der DYP im Wahlkampf 1991 und anschließend für Wirtschaftsfragen zuständige Staatsministerin, zeigte als Ministerpräsidentin wenig politisches Geschick.

November 1995

Sie haben etwa 8% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 92% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Politik vor Recht: Die Aushöhlung der liberalen Demokratie

von Miguel de la Riva

Als der FPÖ-Chefideologe und heutige Parteivorsitzende Herbert Kickl im Januar 2019 in einem ORF-Interview darauf angesprochen wurde, dass seine Asylpläne an die Grenzen von EU-Recht, Menschenrechtskonvention und Rechtsstaat stoßen, antwortete der damalige österreichische Innenminister, „dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“.

Ernst, aber nicht hoffnungslos

von Thorben Albrecht, Christian Krell

Spätestens seit Ralf Dahrendorfs berühmt gewordener These vom „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ gehören SPD-Niedergangsprognosen zu den Klassikern der parteibezogenen Publizistik. Die Partei hat diese Prognose bisher um 42 Jahre überlebt. Aber das konstituiert keine Ewigkeitsgarantie.