Ausgabe September 1997

Chronik des Monats Juli 1997

1.7. - C h i n a. Auf einer Feier zur Eingliederung der britischen Kronkolonie Hongkong in die Volksrepublik China (vgl. "Blätter", 8/1997, S. 902) erklärt Staatspräsident und Parteichef Jiang Zemin, es sei der "glühende Wunsch jedes Chinesen", daß die Taiwan-Frage ebenfalls nach dem Prinzip "Ein Land - zwei Systeme" erfolgreich und möglichst schnell gelöst werde. Jiang fordert die "Autoritäten" in Taipeh auf, "endlich aufrichtig zur Ein-ChinaPolitik zurückzukehren" und "konkrete Schritte" zur nationalen Wiedervereinigung zu unternehmen

. 2.7. - U S A. Unter der Wüste von Nevada beginnt eine neue Testreihe zur Überprüfung der Funktionstüchtigkeit der amerikanischen Kernwaffen. In Washington heißt es dazu, die unterirdischen Versuche stünden nicht im Widerspruch zu den entsprechenden internationalen Vereinbarungen. - Am 3.7. nennt Präsident Clinton in einer Rede vor Kriegsveteranen in Washington vier Gründe für die geplante "Osterweiterung" der NATO: die Erweiterung werde das Bündnis stärken, zur "Sicherung der Errungenschaften der Demokratie in Europa beitragen", mögliche Mitglieder "zur friedlichen Beilegung ihrer Meinungsverschiedenheiten ermutigen" und "die von Stalin am Ende des Zweiten Weltkriegs gezogene künstliche Trennlinie ausradieren".

3.7. - J u g o s l a w i e n. Die seit dem formellen Rücktritt von Radovan Karadzic (vgl. "Blätter", 9/1996, S. 1030) amtierende Präsidentin der Serbischen Republik in Bosnien-Herzogowina, Biljana Plavsic, verfügt an ihrem Amtssitz Banja Luka die Auflösung des Parlaments und setzt Neuwahlen für den 1. September d.J. an. Über diese Anordnung kommt es zum Konflikt mit der regierenden Serbischen Demokratischen Partei (SDS). Das Parlament widersetzt sich der Auflösung und wirft der Präsidentin Verfassungsbruch vor, weil sie die Zustimmung des Parlamentspräsidenten und des Ministerpräsidenten nicht eingeholt habe. Ein Antrag zur Absetzung der Präsidentin findet auf einer Parlamentssitzung in Pale am 5.7. jedoch nicht die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit. Frau Plavsic wird am 19.7. aus der Regierungspartei SDS ausgeschlossen. - Am 10.7. nimmt eine britische Einheit der von der NATO geführten "Stabilisierungskräfte" (Stabilisation Force/SFOR) in Bosnien erstmals einen vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag Beschuldigten fest. Ein weiterer Beschuldigter wird bei der Aktion getötet. Der russische Außenminister Primakow bezeichnet am 14.7. gegenüber dem in Moskau weilenden britischen Außenminister Cook das Vorgehen der NATO als kontraproduktiv. Moskau sei darüber nicht im Voraus informiert worden, die SFOR habe ihr Mandat überschritten. In einer am 16.7. verbreiteten Erklärung des russischen Außenministeriums ist von einem "Cowboy-Überfall" die Rede, der den Friedensprozeß von Dayton gefährde. - Am 15.7. wählt das Parlament der "Bundesrepublik Jugoslawien" (Serbien und Montenegro) Slobodan Milosovic zum Staatsoberhaupt. Milosovic, der die serbische Präsidentschaft nach zwei Amtsperioden abgeben mußte, löst das bisherige Staatsoberhaupt Zoran Lilic ab.

- B u n d e s r e p u b l i k / F r a n k r e i c h. Der neue französische Außenminister Hubert Védrine (vgl. "Blätter", 8/1997, S. 900) kommt zu seinem Antrittsbesuch nach Bonn. Nach Konsultationen mit Bundesaußenminister Kinkel wird eine gemeinsame Erklärung über die weitere Verstärkung der außenpolitischen Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten veröffentlicht. Zu den Vorhaben gehören "gemeinsame Reisen in dritte Staaten" und eine entsprechende "Abstimmung unserer Reiseplanungen". Eine deutschfranzösische Botschafterkonferenz soll sich im kommenden Jahr mit dem Thema "Transatlantische Beziehungen" beschäftigen.

5.-8.7. - O S Z E. Die Parlamentarische Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa tagt in Warschau. Der amtierende OSZE-Ratsvorsitzende, der dänische Außenminister Petersen, weist vor den Abgeordneten auf die finanziellen Schwierigkeiten der Organisation hin und appelliert an die Mitgliedstaaten, mehr Mittel bereit zu stellen.

6.7. - A l b a n i e n. Nach dem zweiten Wahlgang (zum ersten Wahlgang vgl. "Blätter", 8/1997, S. 902) steht der Wahlsieg der bisherigen Opposition fest: die Sozialistische Partei (PPSH) und ihre Koalitionspartner verfügen künftig über eine Mehrheit von 118 der 155 Parlamentssitze. Die Partei von Präsident Sali Berisha, die Demokratische Partei (PDA), erhält nur 24 Mandate Berisha tritt unmittelbar vor der konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments am 23.7. zurück. Zum Nachfolger wählt das Parlament am 24,7. den Sozialisten Rexhep Mejdani mit 122 gegen drei Stimmen bei zwei Enthaltungen. Die Abgeordneten der Demokratischen Partei nehmen an der Abstimmung nicht teil.

8.7. - G r i e c h e n l a n d / T ü r k e i. Vertreter beider Staaten unterzeichnen im Rande des NATO-Gipfels in Madrid eine Vereinbarung über gutnachbarliche Beziehungen. Eine gemeinsame Erklärung des griechischen Ministerpräsidenten Simitis und des türkischen Präsidenten Demirel enthält die gegenseitige Verpflichtung, die Souveränität des anderen Staates zu respektieren und Meinungsverschiedenheiten ohne die Androhung oder den Einsatz von Gewalt zu lösen.

8.-9.7. - N A T O. Die Staats- bzw. Regierungschefs der 16 Mitgliedstaaten der Nordatlantischen Vertrags-Organisation (NATO) kommen in der spanischen Hauptstadt zu einem "Gipfel" zusammen. Über das Ergebnis wird eine "Erklärung von Madrid zur euro-atlantischen Sicherheit und Zusammenarbeit" (Madrid Declaration on Euro-Atlantic Security and Cooperation) veröffentlicht, in der es u.a. heißt: "Heute laden wir die Tschechische Republik, Ungarn und Polen ein, Beitrittsgespräche mit der NATO zu beginnen. Unser Ziel ist es, die Beitrittsprotokolle auf den Ministertagungen im Dezember 1997 zu unterzeichnen und den Ratifikationsprozeß so rechtzeitig beendet zu sehen, daß die Mitgliedschaft zum 50jährigen Jubiläum des Washingtoner Vertrages im April 1999 wirksam werden kann." In Presseberichten heißt es, eine Mehrheit der europäischen Mitgliedstaaten, darunter Frankreich und Italien, habe sich vergeblich dafür eingesetzt, auch Rumänien und Slowenien in der ersten Erweiterungsrunde aufzunehmen, was vor allem von den USA abgelehnt worden sei. Im Anschluß an die Gipfelkonferenz findet am 9.7. ein "Treffen der Bündnispartner und Partnerstaaten unter der Schirmherrschaft des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrates" statt (vgl. "Blätter", 7/1997, S. 743). Ebenfalls am 9.7. wird in Madrid eine " Charta über eine ausgeprägte Partnerschaft zwischen der Nordatlantikvertrags-Organisation und der Ukraine" (Charter on a Distinctive Partnership between the North Atlantic Treaty Organization and Ukraine) unterzeichnet. Präsident Clinton und die Mitglieder der amerikanische Delegation besuchen auf der Rückreise mehrere osteuropäische Staaten: Clinton reist nach Polen und Rumänien, Außenministerin Albright trifft sich in St. Petersburg mit dem russischen Außenminister Primakow, führt anschließend in Vilnius Gespräche mit den Außenministern Estlands, Lettlands und Litauens und hält sich später in der Tschechischen Republik auf; Verteidigungsminister Cohen besucht Ungarn und die Ukraine.

12.7. - T ü r k e i. Die Nationalversammlung in Ankara spricht dem neuen Kabinett von Regierungschef Mesud Yilmaz (Mutterlandspartei/ANAP; vgl. "Blätter", 8/1997, S. 901 f.) mit 281 gegen 256 Stimmen das Vertrauen aus. Die Minderheitsregierung verfügt im Parlament nur über 217 der 550 Sitze.

14.7. - U N O. Das Tribunal der Vereinten Nationen zur Verfolgung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien verkündet in Den Haag ein weiteres Urteil (vgl. "Blätter", 1/1997, S. 4). Das Gericht verhängt eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren gegen den bosnischen Serben Dusko Tadic, dem die Beteiligung an "ethnischen Säuberungen" gegen muslimische Zivilisten zu Beginn des Konflikts in Bosnien vorgeworfen wird. - Am 15.7. nimmt die Generalversammlung in New York ihre 10. Notstandssondertagung wieder auf (vgl. "Blätter", 6/1997, S. 645). In einer Resolution, die mit 131 gegen drei Stimmen (Israel, Mikronesien, USA) bei 14 Enthaltungen angenommen wird, wendet sich die Versammlung gegen die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten. Die Bundesrepublik enthält sich als einziges Mitglied der Europäischen Union erneut der Stimme. - Am 16.7. legt Generalsekretär Annan der Generalversammlung einen umfangreichen Bericht mit dem Titel "Erneuerung der Vereinten Nationen: Ein Reformprogramm" vor. Der erste Teil gibt einen thematischen Überblick und erläutert die angestrebte neue Führungs- und Managementstruktur. Der zweite Teil enthält Empfehlungen an die Mitgliedstaaten, die das Reformprogramm noch billigen müssen.

15.7 - U k r a i n e. Das Parlament in Kiew lehnt einen von Kommunisten, Sozialisten und Agrariern eingebrachten Antrag ab, NATO-Manöver auf dem Territorium der Ukraine zu untersagen. Sprecher der Opposition kritisieren in der Debatte die am 9.7. in Madrid unterzeichnete "Charta über eine ausgeprägte Partnerschaft" zwischen der NATO und der Ukraine. 16.7. - E U. Kommissionspräsident Santer legt dem Europäischen Parlament in Straßburg eine "Agenda 2000" über die Entwicklung der Politik der Union in den nächsten Jahren, über die geplante Erweiterung und den künftigen Finanzrahmen vor. Die Kommission schlägt dann die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zunächst mit Estland, Polen, Slowenien, der Tschechischen Republik, Ungarn und Zypern vor. Die neuen Mitglieder müßten in der Lage sein, "nach einem Übergangszeitraum ohne Ausnahmen in der Union mitwirken zu können". Der luxemburgische Außenminister Poos erklärt als amtierender Ratspräsident vor dem Parlament, eine seiner ersten Aufgaben werde es sein, im Anschluß an die Regierungskonferenz und den Gipfel von Amsterdam (vgl. "Blätter", 8/1997, S. 901) den dort verabschiedeten Text in eine endgültige Form zu bringen und seine Umsetzung sicherzustellen. Außerdem müsse die Präsidentschaft die notwendigen Entscheidungen für die Beitrittsverhandlungen vorbereiten.

18.7. - R u ß l a n d. Ministerpräsident Tschernomyrdin erklärt nach einem Treffen mit der EU-Kommission in Brüssel vor der Presse, Rußland unternehme alle Anstrengungen, um später einmal Mitglied der Europäischen Union zu werden: "Es kann keine andere Perspektive als die des Beitritts geben."

20.7. - G r o ß b r i t a n n i e n / I r l a n d. Die Führung der illegalen Irisch-Republikanischen Armee (IRA) ruft einen neuen Waffenstillstand aus und folgt damit einem Aufruf der ihr nahestehenden Sinn-Fein-Partei. Die neue britische Regierung hatte den Gewaltverzicht der IRA zur Vorbedingung für die Teilnahme von Sinn Fein an der im September d. J. beginnenden neuen Gesprächsrunde über die Zukunft Nordirlands gemacht (vgl. "Blätter", 8/1997, S. 900). Der irische Premierminister Ahern bezeichnet am gleichen Tag in einem Rundfunkinterview die Wiedervereinigung Irlands mit friedlichen und demokratischen Mitteln als ein Fernziel der Regierung, dessen Erreichung aber in weiter Zukunft liege.

22.7. - N a h e r O s t e n. Palästinenserpräsident Arafat und der israelische Außenminister Levi erörtern in Brüssel die Möglichkeiten für eine Wiederaufnahme der unterbrochenen Friedensverhandlungen. Die Begegnung der beiden Politiker findet unter Teilnahme des EU-Ratspräsidenten, des luxemburgischen Außenministers Poos, statt. - W E U. Der Rat der Westeuropäischen Union (WEU) berät in Brüssel über eine stärkere "Verzahnung" zwischen WEU und Europäischer Union (EU). In einer Erklärung wird das Verteidigungsbündnis als "integraler Bestandteil der Entwicklung der EU" bezeichnet. Die Bundesrepublik hatte am 1.7. die Präsidentschaft für das zweite Halbjahr 1997 übernommen.

23.7. - A b r ü s t u n g. Die 30 Mitgliedstaaten des Vertrages über Konventionelle Streitkräfte in Europa einigen sich im Rahmen ihrer Gemeinsamen Beratungsgruppe in Wien auf "Grundelemente" (Basic Elements) für die Anpassung des Vertrages. Darin ist vorgesehen, die "blockbezogene Struktur" (bloc-to-bloc structure) durch ein "System nationaler und territorialer Obergrenzen für durch den Vertrag begrenzte Waffen und Ausrüstungen" zu ersetzen. Die Festlegung nationaler Obergrenzen solle "den legitimen Sicherheitsanliegen aller Vertragsstaaten" Rechnung tragen und "gleiche Sicherheit für alle Vertragsstaaten unabhängig von ihrer Mitgliedschaft in einem politisch-militärischen Bündnis" gewährleisten. Der KSE-Vertrag (Auszüge in "Blätter", 1/1991, S. 116 ff.) war im November 1990 zwischen den Mitgliedstaaten der NATO und den damaligen Mitgliedern des Warschauer Vertrages abgeschlossen worden.

25.7. - I n d i e n. Der ehemalige Vizepräsident Kocheril Raman Narayanan wird als neues Staatsoberhaupt vereidigt. Narayanan war am 14.7. von einem Wahlmännerpremium mit 4231 von 4833 Stimmen zum 10. Präsidenten seit der Unabhängigkeit Indiens gewählt worden.

29.-31.7. - F r a n k r e i c h. Verteidigungsminister Richard besucht den Tschad, Gabun und die Zentralafrikanische Republik. Der Minister erläutert in den drei Hauptstädten die Pläne der französischen Regierung zur Reduzierung ihrer Militärpräsenz in Afrika. In Presseberichten heißt es, Frankreich werde seine in sechs afrikanischen Ländern permanent stationierten Truppen in den nächsten Jahren von gegenwärtig 8000 auf 5000 Mann verringern. Zwei militärische Stützpunkte in der Zentralafrikanischen Republik sollten geschlossen werden. Premierminister Jospin wolle später auch die bestehenden Verteidigungsabkommen mit acht Ländern (Djibouti, Elfenbeinbüste, Gabun, Kamerun, Komoren, Senegal, Togo, Zentralafrikanische Republik) überprüfen.

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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