Ausgabe September 1998

US-Gewerkschaften im Umbruch

Vor einem Jahr feierten amerikanische Gewerkschafter den erfolgreichen Streik der Teamsters-Transportarbeiter gegen den Paketzusteller UPS als Symbol der Wiederbelebung der Arbeiterbewegung. Vergangenen Herbst brachten die Gewerkschaften Clintons Fast-Track-Freihandelsgesetz zu Fall. Die Wähler von Kalifornien sprachen sich vor kurzem gegen ein hart umkämpftes gewerkschaftsfeindliches Volksbegehren aus. Und im Juni und Juli haben militante Arbeiter den weltgrößten Autohersteller General Motors mit einem achtwöchigen Streit lahmgelegt. Auch Zweifler geben inzwischen zu: Es tut sich etwas bei den amerikanischen Gewerkschaften.

Fast könnte man sagen, daß in den USA in Abwesenheit einer linken Bewegung die Gewerkschaften noch am ehesten organisierten Widerstand gegen das neoliberale Modell zum Ausdruck bringen. In den Gewerkschaften sei man zunehmend zu einer „grundsätzlichen“ Kritik des Wirtschaftssystems bereit, erklärte kürzlich Bill Fletcher, der Ausbildungsdirektor (education director) des nationalen Gewerkschaftsverbandes AFL-CIO. An der Basis bemerke er auch eine „fortschrittliche Strömung“. Amerika befinde sich in einer „Übergangsperiode“. Wenn die Gewerkschaften jetzt nicht mitgestalteten, werde das Fenster der Gelegenheit zufallen und möglicherweise lange nicht mehr aufzukriegen sein.

Jammern und Wehklagen

Wer in den USA über die moderne Gewerkschaftgeschichte schreibt, könnte in Jammern und Wehklagen biblischen Ausmaßes versinken. Sind doch der AFL-CIO und die meisten Mitgliedsgewerkschaften bis vor kurzem immer tiefer in den Sumpf der Bedeutungslosigkeit gerutscht. Die langjährigen Präsidenten George Meany und Lane Kirkland, gestandene Kalte Krieger, haben wohl mehr für (antikommunistische) Gewerkschaften im Ausland getan als für amerikanische. Trotz der seit zwanzig Jahren fallenden Reallöhne begnügte man sich, „Partner“ der Unternehmen zu sein und ein Dienstleistungsbetrieb für die Arbeiter, dessen Direktoren – die Gewerkschaftsfunktionäre – sechsstellige Gehälter bezogen. Mitte der 50er Jahre war ein Drittel der amerikanischen Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert gewesen, zu Beginn der 80er Jahre 23 Prozent, heute sind es knapp 15 Prozent […]

 

Leider ist dieser Beitrag in der HTML-Ansicht nur in Auszügen verfügbar. Den gesamten Text finden Sie in der PDF-Datei, die auf dieser Seite zum Download angeboten wird.

 

 

 

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo