Bei den Grünen galt es lange als selbstverständlich, daß Regierungsmitglieder nicht zugleich ein Parlamentsmandat wahrnehmen dürfen. Doch nach der Bildung der rot-grünen Bundesregierung hat man schnell erkannt, daß die vielbeschworene Trennung von Amt und Mandat Probleme nach sich zieht: Eine Fraktion ohne Joschka Fischer und Jürgen Trittin, während deren Parlamentarische Staatssekretäre zwangsläufig Fraktionsmitglieder sind? Dies schien auch der grünen Basis grotesk, und daher erlaubten die Delegierten auf dem Parteitag im Oktober ihren Ministern, Abgeordnete zu bleiben. Allerdings darf dieser "Sündenfall" vor grünen Grundsätzen vorerst nur zwei Jahre währen, womit auch das Selbstbild, doch noch ein klein wenig mehr der Basis verpflichtet zu sein als die anderen Parteien, intakt blieb. Einst als "Antiparteien-Partei" angetreten, hatten sich die Grünen zur Abgrenzung von Erscheinungsformen etablierter Politik entschieden. Die Stichworte sind bekannt: Rotation, imperatives Mandat, Öffentlichkeit der Sitzungen, konsequente Einrichtung kollektiver Führungsgremien, Frauenquote und Diätenbegrenzung.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.