Ausgabe März 2000

Bericht über die Lage der Ausländer in Deutschland vom 9. Februar 2000 (Auszüge)

Seit 1979, als das Amt des/der Ausländerbeauftragten eingerichtet wurde, ist es gewissermaßen

Tradition, daß der/die jeweilige Amtsinhaberin „seiner“/“ihrer“ Bundesregierung mit

Berichten und Denkschriften mahnende Worte ins Stammbuch schreibt (vgl. etwa das letzte

Memorandum von Cornelia Schmalz-Jacobsen mitten im Wahlkampf 1998, dokumentiert in:

„Blätter“, 10/1998, S. 1270-74). Nun war mit dem regulären Bericht, der laut Ausländergesetz

alle zwei Jahre erarbeitet werden muß, erstmals eine Bestandsaufnahme der Ausländerpolitik

unter Rot-Grün fällig. Einen Schwerpunkt des fast 300 Seiten starken Werk von Marieluise Beck

bildet die Darstellung der „historischen“ Reform des Staatsangehörigkeitsrechts (vgl. dazu den

Beitrag von Eberhard Seidel in „Blätter“, 8/1999). Weiter trägt der Bericht der zunehmenden

Bedeutung der europäischen Ebene für migrationspolitische Fragen Rechnung. Erstmals werden

außerdem ausführlich flüchtlingspolitische Themen behandelt. Und hier finden sich auch

die deutlichsten Worte der Kritik an bestehenden Praktiken wie dem Flughafenverfahren oder

der Zuteilung von weniger als dem Existenzminimum nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Wir dokumentieren zwei dieser brisanten Unterabschnitte. – D. Red.



Notwendige Änderungen am Flughafenverfahren



Angesichts der schwierigen Zustände am Flughafen Frankfurt am Main ist es zu begrüßen,

dass inzwischen mit nachhaltigen Verbesserungen der dortigen sozialen Standards begonnen

wurde. Es sind jedoch darüber hinaus auch Änderungen im Flughafenverfahren selbst erforderlich.

Aus diesem Grund initiierte die Beauftragte einen Arbeitskreis auf Koalitionsebene mit

dem Ziel, entsprechende Verbesserungen zu erwirken.

Dieser Änderungsbedarf betrifft nach Auffassung der Beauftragten insbesondere folgende

Punkte:

- Herausnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aus dem Flughafenverfahren

Schon in der vergangenen Legislaturperiode hatte sich die Beauftragte gemeinsam mit Wohlfahrts-

und Menschenrechtsorganisationen sowie dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten

Nationen dafür ausgesprochen, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus dem Flug

hafenverfahren herauszunehmen. Auch während des Berichtszeitraumes hatte diese Forderung

Priorität, da die Bedingungen, unter denen das Verfahren stattfindet, kaum geeignet sind,

das Kindeswohl angemessen zu berücksichtigen und weder der psychischen noch der physischen

Konstitution von Minderjährigen hinreichend Rechnung zu tragen.

Im Jahr 1998 sind von 57 asylsuchenden unbegleiteten Minderjährigen unter 16 Jahren am

Flughafen Frankfurt am Main 53 eingereist und vier zurückgewiesen worden. Über Zurückweisungen

ausserhalb des Flughafenverfahrens liegen keine Zahlen vor.

§ 18 a Asylverfahrensgesetz gibt keine Altersgrenze für diejenigen Personen vor, die das

Flughafenverfahren durchlaufen müssen; im Asylverfahrensgesetz wird die Handlungsfähigkeit

Minderjähriger grundsätzlich mit Vollendung des 16. Lebensjahres angesetzt (§ 12 Asyl-

VfG). Dem Ausländergesetz zufolge gelten Minderjährige ab dem Alter von 16 Jahren als

handlungsfähig, allerdings „steht die mangelnde Handlungsfähigkeit eines Minderjährigen

seiner Zurückweisung und Zurückschiebung nicht entgegen“(vgl. § 68 AuslG). Der ehemalige

Bundesinnenminister verwies auf dieser Grundlage im Jahr 1994 per Erlass darauf, dass

auch minderjährige Asylsuchende im Alter von weniger als 16 Jahren nach der Regelung des

§ 18a AsylVerfG grundsätzlich nicht vom Flughafenverfahren ausgenommen sind. Dieser Erlass

wird unter der neuen Bundesregierung zwar nur in wenigen Fällen angewandt, er wurde

während des Berichtszeitraumes aber auch nicht außer Kraft gesetzt. Dies gilt, obwohl es sich

bei den Betroffenen um Minderjährige handelt, die allein aus einem völlig fremden Kulturkreis

hierher kommen, häufig belastende Vorerfahrungen zu bewältigen haben und schon

aufgrund ihres niedrigen Lebensalters besonders schutzbedürftig sind. Nicht umsonst wird

die Altersgrenze im „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ (UN-Kinderkonvention)

bei 18 Jahren angesetzt.

Um die Altersgrenze für die Asylmündigkeit der UN-Kinderkonvention anzupassen und

entsprechend anzuheben, wäre eine Gesetzesänderung notwendig, für die sich absehbar keine

Mehrheit im Bundestag findet. Für die strikte Einhaltung der Altersgrenze von 16 Jahren

aber bedarf es der Rücknahme des Kanther-Erlasses durch den Bundesinnenminister. Die Beauftragte

hält dies für absolut unerlässlich. Sie fordert, dass der Erlass zurückgenommen und

durch eine Regelung sichergestellt wird, dass unbegleitete Kinder und Jugendliche unter 16

Jahren aus dem Flughafenverfahren herausgenommen werden. Eine solche Regelung wäre

geboten und ohne gesetzliche Änderung möglich. Das Schnellverfahren am Flughafen ist ersichtlich

nicht auf unbegleitete Minderjährige unter 16 Jahren ausgelegt. Schon aus diesem

Grund könnte nach dem Gesetz eine Einreise in diesen Fällen gestattet werden. Das Grenzschutzamt

Frankfurt am Main ist mit Zustimmung des BMI in der Vergangenheit bei den Unbegleiteten

unter 14 Jahren auch so verfahren, weil eine Unterbringung am Flughafen Frankfurt

am Main nicht möglich war.

Eine generelle Herausnahme von unbegleiteten Minderjährigen unter 16 Jahren aus dem

Flughafenverfahren durch eine Weisung sei nach Auffassung des BMI nach der geltenden

Rechtslage nicht möglich. Zudem erfolge die Bestellung eines Pflegers, die für die unter 16

jährigen zur Asylantragstellung notwendig sei, in der überwiegenden Zahl der Fälle innerhalb

von ein bis zwei Tagen ab der Äußerung des Schutzgesuches.

- Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG

Nach Auffassung des Bundesinnenministeriums nimmt das Bundesamt für die Anerkennung

ausländischer Flüchtlinge unter Hinweis auf seine umfassende Sachaufklärungspflicht auch

eine Prüfung von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 Abs. 6 AuslG (erhebliche konkrete

Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit) vor. Erkenntnissen des UNHCR zufolge, die durch Vertreter

des Bundesamtes bestätigt wurden, hat es jedoch am Flughafen Frankfurt am Main bisher

keinen Fall gegeben, in dem Abschiebungshindernisse aufgrund einer Gefahr für Leib und Leben

festgestellt worden wären.

Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang § 60 Abs. 5 AuslG, der es seinem Wortlaut

nach nicht zulässt, dass bei der Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts

über die Zurückweisung an der Grenze Abschiebungshindernisse wegen einer Gefahr für Leib

und Leben nach § 53 Abs. 4 AuslG berücksichtigt werden. Erfreulicherweise hat das Bundesministerium

des Innern in einem Schreiben vom 25. Oktober 1999 die Grenzschutzbehörden jetzt

ermächtigt, in diesen Fällen gem. § 58 Abs. 2 AuslG die Einreise zu gestatten.

gen in bestimmten Fällen übermäßige Gewalt angewendet worden oder es zu Misshandlungen

durch Beamte des Bundesgrenzschutzes gekommen sei, aufgrund der Schwere des Vorwurfes

und verschiedener Ermittlungsverfahren, die seit einiger Zeit schon anhängig sind, zu Recht

breiten Raum ein. Entsprechende Vorwürfe waren auch Anlass für den Besuch der Delegation

am Flughafen gewesen. Im Berichtszeitraum kam es erneut zu einem Todesfall. Während eines

Abschiebeversuches vom Flughafen Frankfurt am Main verstarb am 28. Mai 1999 ein sudanesischer

Asylbewerber.

In der Folge wurde die „Durchführung von Rückführungsmaßnahmen“ neu geregelt.

Nach Auffassung der Beauftragten sind aber nicht nur klare Handlungsanweisungen für den

Umgang des Bundesgrenzschutzes mit abzuschiebenden Personen unbedingt notwendig.

Darüber hinaus sollten für die Beamten auch Möglichkeiten geschaffen werden, ihre Arbeitsbedingungen,

die an sie gestellten Anforderungen und ihr eigenes Verhalten in kritischen

Situationen unter professioneller Anleitung, d.h. mit Supervision, zu reflektieren. Ein

solches zweigleisiges Verfahren ist erforderlich, um so weit wie irgend möglich sicherzustellen,

dass Abschiebungen von abgelehnten Asylsuchenden unter menschenwürdigen Umständen

erfolgen.



Asylbewerberleistungsgesetz



Bereits im Juni 1993 wurde mit der Verabschiedung eines eigenen Gesetzes über die Regelung

sozialer Mindeststandards für Asylbewerberinnen und Asylbewerber eine substantielle Einschränkung

des Fürsorgegedankens vorgenommen, der das Sozialhilferecht bis dahin geleitet

hatte. Das Asylbewerberleistungsgesetz nimmt bestimmte Personengruppen grundsätzlich aus

dem Regelungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) heraus und schränkt ihre Leistungsansprüche

nachhaltig ein. Die wesentlichen Bestimmungen lauten:

- Der Wert der zu gewährenden Grundleistung wurde um rund 20% gegenüber dem Regelsatz

des BSHG gekürzt;

- der notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und

Körperpflege sowie an Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushaltes wird vorrangig

durch Sachleistungen gedeckt. Nur „soweit es nach den Umständen erforderlich ist“ können

anstelle der vorrangig zu gewährenden Sachleistungen Wertgutscheine oder vergleichbare

unbare Abrechnungen oder Geldleistungen gewährt werden;

- der monatlich zur Verfügung gestellte Bargeldbetrag beträgt bis zur Vollendung des 14.

Lebensjahres monatlich 40.- DM, vom Beginn des 15. Lebensjahres an 80.- DM;

- medizinische Hilfen – ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung

mit Arznei- und Verbandsmitteln – sowie sonstige Leistungen, die zur Besserung oder

Linderung von Krankheiten bzw. zur Genesung erforderlich sind, werden lediglich zur Behandlung

akuter Erkrankungen und Schmerzzustände gewährt;

- Ausweitung des Personenkreises, der vom AsylbLG erfasst wird (Novelle 1997).

Aufgrund dieser massiven Einschränkungen und der grundsätzlichen gesellschaftspolitischen

Bedeutung, die der Ausgliederung der Sozialleistungen an Asylsuchende und andere

Gruppen von Ausländerinnen und Ausländern aus dem Bundessozialhilfegesetz zukommt,

war das Asylbewerberleistungsgesetz vom Beginn seines Inkrafttretens an rechtlich und politisch

äußerst umstritten. Fachleute aus dem medizinischen Bereich, die Wohlfahrtsverbände,

Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen dokumentieren seither immer wieder Fälle,

die die negativen Folgen der restriktiven Leistungsgewährung deutlich machen und fordern

die Rücknahme des Gesetzes. Faktisch wurde demgegenüber im Laufe der vergangenen Jahre

sowohl die Dauer der Leistungskürzungen auf nunmehr drei Jahre verlängert, als auch der betroffene

Personenkreis erweitert: „Leistungsberechtigt“ sind nunmehr sowohl Personen, die

sich (nach erfolgter Einreise oder am Flughafen) im Asylverfahren befinden und geduldete

bzw. vollziehbar ausreisepflichtige Flüchtlinge, als auch Flüchtlinge, die wegen eines Krieges

in ihrem Heimatland eine Aufenthaltbefugnis nach § 32 oder § 32a des Ausländergesetzes besitzen

(§ 1 Abs. 1 AsylbLG). Im Berichtszeitraum einigten sich Bundestag und Bundesrat auf eine

weitere Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes.



Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes 1998



Im September 1997 legte das Land Berlin dem Bundesrat einen Gesetzentwurf vor, dem zufolge

Ausländerinnen und Ausländer, „die illegal einreisen und trotz entsprechender Beratung

keinen Asylantrag stellen“, von dem Anspruch auf volle Leistungsgewährung ausgeschlossen

werden sollten. Dieser Entwurf wurde im Zuge der sich anschliessenden politischen Auseinandersetzung

um die Bekämpfung eines angeblichen massenhaften Missbrauchs von Sozialleistungen

durch Flüchtlinge und andere Ausländer erweitert.

Zum 1. September 1998 trat mit der Missbrauchsklausel des § 1a AsylbLG die bislang letzte

Neuregelung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Kraft. Der jetzt gültigen Regelung zufolge

sollen Personen, „die in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, um Leistungen nach

dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen“, oder „bei denen aus von ihnen zu vertretenden

Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können“ Leistungen

nach diesem Gesetz nur noch erhalten, „soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar

geboten ist“.

Die noch restriktiveren Anwendungskriterien, die zwischenzeitlich bei den Ressortabstimmungen

zur Debatte gestanden hatten – dies betraf die weitgehende Streichung von Leistungen

allein aufgrund einer illegal erfolgten Einreise oder in Fällen, in denen Flüchtlinge, „nicht

freiwillig ausreisen, obwohl ihrer Ausreise (...) keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse

entgegenstehen“ – konnten nicht zuletzt durch die Intervention der Beauftragten und einer

Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen verhindert werden. Die Praxis zeigt jedoch, dass die im

Gesetz fixierten Generalklauseln zur Anspruchseinschränkung immer wieder von Sozialämtern

flächendeckend und ohne Berücksichtigung von Einzelfallumständen herangezogen werden,

um Flüchtlingen die Gewährung elementarer Leistungen zu verweigern.

So berichten Berliner Beratungsstellen, dass insbesondere für neu ankommende Flüchtlinge

aus dem Kosovo und anderen Teilen der Bundesrepublik Jugoslawien im Herbst/Winter

1998/99 in einigen Bezirken die Anwendung des §1a AsylbLG eher die Regel als die Ausnahme

gewesen sei. Durch die Verweigerung von Sozialleistungen sollten die Flüchtlinge veranlasst

werden, Asylanträge zu stellen, weil damit die Umverteilungsregelung des Asylverfahrensgesetzes

greift und auch andere Bundesländer für die entstehenden Kosten zuständig würden.

In manchen Bezirken wurde Kosovo-Flüchtlingen darüber hinaus unterstellt, sie seien

deshalb in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und nicht in einem der als sichere

Drittländer geltenden Transitstaaten geblieben, weil sie hier Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz

beziehen wollten. Mit dieser Begründung wurde die Anwendung

des § 1a AsylbLG auch in einigen Entscheidungen verschiedener Kammern des VG Berlin

gerechtfertigt.

Die Beauftragte begrüßt den Grundsatzbeschluss des Oberverwaltungsgerichtes Berlin

(OVG 6 SN 230.98 vom 4. Februar 1999) zu den Voraussetzungen für die Anwendung der Missbrauchsregelung,

durch den das in diesem Fall betroffene Bezirksamt zur Zahlung von Leistungen

zum Lebensunterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verpflichtet wurde: Allein

die Tatsache, dass jemand, der sein Heimatland aus prägenden Gründen nichtwirtschaftlicher

Art verlassen hat, um sich in die Bundesrepublik Deutschland zu begeben, auf dem

Landweg durch andere Staaten reist, in denen er vor einer Zurückschiebung vorläufig sicher

ist, rechtfertigt noch nicht die Annahme, er sei hier eingereist, um im Sinne von § 1a Nr. 1 AsylbLG

Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen.



Empfehlungen



Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde unter der alten Bundesregierung, aber mit Unterstützung

auch der SPD-regierten Bundesländer eingeführt und in den letzten Jahren zweimal verschärft.

Eine Rücknahme der Verschärfungen des Gesetzes durch die beiden Novellen ist nicht

in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen worden. Gleichwohl sind nach Auffassung der

Beauftragten eine Reihe von Verbesserungen dringend geboten, deren Realisierung auch bei

Fortbestand der derzeit gültigen rechtlichen Regelungen durchaus möglich ist:

- In vielen Fällen könnten die Leistungen statt als Sachleistungen in Form von Wertgutscheinen,

anderen unbaren Abrechnungen oder auch als Geldleistungen gewährt werden. Entsprechender

politischer Wille vorausgesetzt, können die Länder dies auf der bestehenden Geset

zesgrundlage ggf. durch Erlass sicherstellen. Die Flüchtlinge würden damit die Grundlage einer

selbstgestalteten Lebensführung zurückerhalten.

- Im Gesetz ist vorgesehen, dass die Höhe der zu gewährenden Leistungen jeweils zum 1. Januar

eines Jahres neu festgesetzt wird, „wenn und soweit dies unter Berücksichtigung der

tatsächlichen Lebenshaltungskosten (...) erforderlich ist“ (§ 3 Abs. 3 AsylbLG). Eine solche

Neufestsetzung der Beträge ist in den vergangenen Jahren nicht erfolgt. Zum nächst möglichen

Zeitpunkt muss eine Prüfung durchgeführt werden, auf deren Grundlage eine angemessene

Erhöhung der Leistungen rechtzeitig zum gesetzlich vorgegebenen Zeitpunkt erfolgen

kann, die dem Anstieg der tatsächlichen Lebenshaltungskosten Rechnung trägt. Ferner sollten

die Prüfergebnisse, die der Festsetzung der Leistungshöhe jeweils zugrunde liegen, veröffentlicht

und künftige Anpassungsprüfungen dem gesetzlichen Auftrag entsprechend jährlich vorgenommen

werden.

- Die Regelung im § 4 AsylbLG sieht eine ärztliche und zahnärztliche Behandlung lediglich

im Falle akuter Erkrankungen und Schmerzzustände vor. Die Abgrenzung von akuten und

chronischen Krankheiten ist im konkreten Einzelfall unter Umständen schwierig und kann nur

nach einer ärztlichen Untersuchung, nicht aber vom Sachbearbeiter im Sozialamt getroffen

werden. Um unzumutbare Härten zu vermeiden, sollte durch die Vergabe von Krankenscheinen

sichergestellt werden, dass die erforderlichen Untersuchungen im Zweifelsfall von ärztlichem

Personal durchgeführt werden. Die Bestimmungen des Gesetzes sind zudem in der Weise

anzuwenden, dass eine medizinische Behandlung von akuten Krankheitszuständen auch im

Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen gewährleistet ist.

- Bei Anspruchseinschränkungen nach § 1a AsylbLG geht es in jedem Einzelfall um eine

weitere Absenkung eines gegenüber dem Bundessozialhilfegesetz ohnehin eingeschränkten

Existenzminimums der Betroffenen. Gerade solche erheblichen Eingriffe bedürfen nicht nur einer

sorgfältigen und umfassenden Prüfung der Umstände des Einzelfalls durch das Sozialamt,

sondern auch einer rechtzeitigen, schriftlich begründeten Ankündigung der geplanten Leistungseinschränkung

sowie schließlich eines schriftlich begründeten Bescheids.

Für den Fall, dass sich Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die

Sozialämter voraussehbar zeitlich herauszögern, sollten den Betroffenen – ohne damit einen

Rechtsanspruch anzuerkennen – bis zur gerichtlichen Entscheidung über das einstweilige

Rechtsschutzverfahren ungekürzte Hilfen (weiter) gewährt werden.

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