Ausgabe Oktober 2002

Chronik des Monats August 2002

2.8. - T ü r k e i. Nach einer Reihe von Sondersitzungen beschließt das Parlament in Ankara mit 256 gegen 162 Stimmen, die Todesstrafe in Friedenszeiten abzuschaffen und nur noch in Kriegszeiten oder in Zeiten unmittelbar drohender Kriegsgefahr anzuwenden. Die Türkei erfüllt damit eine wichtige Vorbedingung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. Ein weiteres Gesetz (Annahme am 3.8.) räumt der kurdischen Bevölkerung vermehrte Rechte ein. Unterricht und Gebrauch der kurdischen Sprache bleiben jedoch eingeschränkt und unterliegen auch weiterhin der Kontrolle durch Aufsichtsbehörden. Staatspräsident Sezer unterzeichnet die neuen Gesetze am 8.8., die anschließend im Staatsanzeiger veröffentlicht werden und damit Rechtskraft erlangen.

3.8. - A n g o l a. Die Widerstandsorganisation UNITA, die im April d.J. einen Waffenstillstand mit der Regierung vereinbart hatte (vgl. "Blätter" 6/2002, S. 645), löst sich auf. In der Hauptstadt Luanda heißt es, 18 Generäle und 5 000 bewaffnete Kämpfer der Organisation seien in die reguläre Armee integriert worden.

5.8. - E U. Die Europäische Kommission begrüßt die an den Vortagen gefassten Beschlüsse des türkischen Parlaments. Ein Sprecher erklärt dazu in Brüssel, eine rasche Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sei nicht zu erwarten, zunächst müsse die Umsetzung der Gesetze abgewartet werden. Außerdem müsse die Türkei aktiv und positiv zu einer Problemlösung für das geteilte Zypern beitragen. - Am 18.8. kommt Kommissionspräsident Prodi in Begleitung der Kommissare Barbier und Verheugen auf Einladung von Bundeskanzler Schröder nach Berlin, um die Folgen der HochwasserKatastrophe in Mitteleuropa zu besprechen. An der Konferenz nehmen ach die Regierungschefs und Außenminister Österreichs, der Slowakei und Tschechiens teil. - Vom 30.-31.8. befassen sich die Außenminister der Mitgliedstaaten im dänischen Helsingör mit der Politik gegenüber dem Irak. Bundesaußenminister Fischer teilt mit, man habe damit begonnen, einen gemeinsamen europäischen Standpunkt zu erarbeiten. - U N O. Die in New York tagende 56. Generalversammlung der Vereinten Nationen fordert in einer Resolution den Rückzug der israelischen Armee aus den Palästinensergebieten auf die Positionen vor Beginn der Intifada im September 2000. Der palästinensische Vertreter beschuldigt Israel in der Debatte der Kriegsverbrechen. - Am 8.8. ruft Generalsekretär Annan vor dem Sicherheitsrat in New York die internationale Gemeinschaft auf, die Lösung des Konflikts zwischen Kongo und Ruanda zu unterstützen. Die Unterzeichnung des Friedensabkommens (vgl. "Blätter" 9/2002, S. 1030) sei ein politischer Meilenstein, der den Weg freimachen könne für eine dauerhafte Friedenslösung in der Region. - Am 17.8. geht den 15 Mitgliedern des Sicherheitsrates eine Note aus Bagdad zu, in dem der Irak erneut Vorbedingungen für die Wiederaufnahme der Waffenkontrollen durch die Vereinten Nationen stellt. Die Nachrichtenagentur AP zitiert am 18.8. den Chef der UN-Waffeninspektoren für den Irak, den Schweden Hans Blix: "Wenn wir wirklich Beweise für die Existenz von Massenvernichtungswaffen hätten, würden wir dies vor den Sicherheitsrat bringen." Es liege im Interesse des Irak, die bedingungslose Rückkehr der Inspektoren zu erlauben. - Am 21.8. erklärt der Niederländer Jan Pronk, Sonderbeauftragter für den bevorstehenden "Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung" (World Summit on Sustainable Development/WSSD), in Den Haag vor der Presse, nach seiner Überzeugung werde das Thema Terrorismus am Rande der Beratungen eine prominente Rolle einnehmen. Armut, Perspektivlosigkeit und das Gefühl der Ausgeschlossenheit hätten einen direkten Zusammenhang mit Terrorismus und diese Problematik verlange eine entsprechende Diskussion auf hohem Niveau, auch mit dem amerikanischen Präsidenten. Pronk bedauert die Ankündigung von Präsident Bush, sich durch Außenminister Powell vertreten zu lassen. - Am 24.8. eröffnet der südafrikanische Präsident Mbeki in Johannesburg den Weltgipfel. Das Motto lautet: Menschen, Planet, Wohlstand (People, Planet, Prosperity). Im Mittelpunkt steht die Umsetzung und Weiterentwicklung der Beschlüsse von Rio, der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED; vgl. "Blätter" 8/1992, S. 901) sowie die Ausarbeitung eines Aktionsprogrammes.

12.8. - K o r e a. Nach einer Unterbrechung von neun Monaten nehmen die beiden koreanischen Staaten den Dialog auf Ministerebene wieder auf, bei dem es vor allem um die Zusammenführung getrennter Familien und die Wiederherstellung grenzüberschreitender Eisenbahnverbindungen gehen soll. Später sind Gespräche über Wirtschafts- und Militärfragen geplant. - J u g o s l a w i e n. Verhandlungen zwischen Experten Serbiens und Montenegros über einen Verfassungsentwurf für die neue Union der beiden Republiken bleiben ohne Ergebnis. In Belgrad heißt es, man habe Differenzen über die Gestalt des neuen Staates nicht überwinden können.

14.8. - R u s s l a n d / B e l a r u s. Präsident Putin schlägt seinem weißrussischen Amtskollegen Lukaschenko bei einem Treffen in Moskau einen konkreten Zeitplan für die Verschmelzung beider Staaten zu einer neuen russischen Föderation vor. Schon im Frühjahr 2003 solle ein Referendum über die geplante Union abgehalten werden. Lukaschenko bezeichnet nach seiner Rückkehr aus der russischen Hauptstadt den Plan Putins als für Weißrussland völlig unannehmbar.

15.8. - A f g h a n i s t a n. US-Verteidigungsminister Rumsfeld vertritt auf einer Pressekonferenz im Pentagon die Ansicht, die in Afghanistan stationierten ausländischen Truppen müssten noch viele Jahre dort bleiben. Das Ende sei erst erreicht, wenn die afghanische Regierung für ihre eigene Sicherheit sorgen könne. Am 21.8. suchen amerikanische und afghanische Truppen in der Umgebung der im Südosten des Landes gelegenen Stadt Khost nach vermuteten Stützpunkten der Taliban. Verteidigungsminister Fabim erklärt, Taliban-Führer Mullah Omar und Osama Bin Laden seien vermutlich noch am Leben.

23.8. - S p a n i e n. Untersuchungsrichter Baltasar Garzon verfügt auf der Grundlage eines neuen Parteiengesetzes (vgl. "Blätter" 8/2002, S. 900 f.) ein Verbot der Baskenpartei Batasuna und ordnet sofortigen Vollzug an. Der Partei wird die Unterstützung der ETA und damit die Rechtfertigung von Terror vorgeworfen. Bei der gewaltsamen Räumung von Batasuna-Büros kommt es u.a. in Vitoria, Bilbao und San Sebastian zu Protestkundgebungen von Sympathisanten. - R u s s l a n d / K o r e a. Der nordkoreanische Staatschef Kim Jong Il trifft im Rahmen einer Reise durch den russischen Fernen Osten (20.-24.8.) in der Hafenstadt Wladiwostok mit Präsident Putin zusammen. Bei dem Gespräch geht es nach Angaben Putins vor allem um die Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Zur Diskussion steht der Plan, die Transsibirische Eisenbahn über das nordkoreanische Schienennetz mit Südkorea zu verbinden.

25.8. - Ö s t e r r e i c h. Zwischen Vizekanzlerin Riess-Passer und dem Kärntner Landeshauptmann Haider (beide FPÖ) kommt es zu einem offenen Konflikt. Unmittelbarer Anlass ist die Zustimmung der FPÖ-Minister zur Verschiebung einer für das kommende Jahr geplanten Steuerreform, um so die Folgen des "Jahrhunderthochwassers" zu bewältigen. Haider verlangt ultimativ das Festhalten an der den Wählern versprochenen Steuerreform und bringt die Möglichkeit eines Volksbegehrens und eines Sonderparteitages ins Gespräch. Die Vizekanzlerin und Parteivorsitzende droht mit Rücktritt.

28.8. - N i e d e r l a n d e. Der für Einwanderungsfragen zuständige Minister Hans Nawijn, der der Liste Pim Fortuyn (LPF) angehört, fordert in einem Interview mit der Tageszeitung "Trouw", die Niederlande sollten künftig nur noch politische Flüchtlinge aus Europa aufnehmen. Afrikaner und Asiaten seien "nicht erwünscht" und könnten auf ihrem eigenen Kontinent Zuflucht suchen. Die Regierungskoalition aus Christdemokraten, Liberalen und LPF (vgl. "Blätter" 9/2002, S. 1030) hat die Verminderung der Einwanderung zu einem ihrer Ziele erklärt.

29.8. - B e r l i n. Das Abgeordnetenhaus (Landesparlament) wählt Harald Wolf (PDS) mit 78 Stimmen zum neuen Wirtschaftssenator und Bürgermeister; die Koalition von SPD und PDS verfügt über 77 Stimmen. Wolf ist damit Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters Wowereit (SPD) und Nachfolger von Gregor Gysi, der am 31. Juli d.J. zurückgetreten war.

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