Wenn Hans-Ulrich Wehler auf Seite 393 des jüngst erschienenen letzten Band seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“ die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ als „linkskonservativ“ bezeichnet, dürfte sich mancher Leser verwundert die Augen gerieben haben. Nach der FAZ-Lektüre vom 18.9. d. J. konnte man Wehler allerdings nur zustimmen. Offensichtlich hat die Krankheit Kapitalismuskritik nun auch Frank Schirrmacher infiziert. In einem gewaltigen Manifest der Systemkritik sieht der FAZ-Mitherausgeber das „Zeitalter des Unglücks“ angebrochen. Pointiert stellt er fest: „Eine sogenannte ‚Finanzkrise‘ kann in einer Gesellschaft, wo Finanzen die Synonyme für gesellschaftliche Rationalität geworden sind, nichts anderes sein als eine brutale Vernunftkrise.“ Doch wo steckt sie bloß, diese fehlgeleitete Vernunft? Schirrmacher ratlos: „Es müssen irgendwo Verrückte herumlaufen, die bis Montag nicht aufgefallen sind, weil ihr Wahn identisch war mit der Logik des etablierten Systems.“ Hätte der arglose Mann den Wirtschafts- und Finanzteil seiner eigenen Zeitung gelesen, wären ihm diese „Verrückten“ vermutlich eher aufgefallen – etwa die Herren Henkel und Kirchhof, die als geschätzte FAZ-Autoren in ihrer Privatisierungswut jahrelang nur einen Gegner kannten: die „Hydra Staat“.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.