Ausgabe März 2015

Chronik des Monats Januar 2015

1.1. – EU.   Lettland übernimmt erstmals den halbjährlich rotierenden Ratsvorsitz, Litauen übernimmt den Euro. Damit gehören 19 der 28 EU-Staaten der Währungsunion an. In Brüssel erklärt Regierungschefin Laimdota Straumjuna, Lettland wolle die geographische und historische Nähe zu Russland nutzen, um einen Ausgleich zu finden. Man werde weder eine prorussische noch eine antirussische Politik verfolgen. – Am 13.1. legt Kommissionspräsident Juncker den Entwurf einer Verordnung über den geplanten Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) vor. Der Fonds soll innerhalb der Europäischen Investitionsbank (EIB) arbeiten und mit Kapital und Garantien im Umfang von 21 Mrd. Euro ausgestattet werden. Investitionen sind vor allem in die Infrastruktur geplant. Juncker fordert die Mitgliedstaaten zur Beteiligung auf. – Am 19.1. berichtet die EU-Außenbeauftragte Mogherini nach einer Zusammenkunft der Außenminister in Brüssel über die Entscheidung, die EU-Delegationen vor Ort durch Militärattachés zu verstärken. Die Mitgliedstaaten müssten nicht nur untereinander Geheimdienstinformationen austauschen, sondern auch einen Austausch mit der Türkei, Ägypten sowie den Staaten der Golfregion und des Maghreb anstreben.

             –   Eurasische Union. Der Vertrag zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan (vgl. „Blätter“, 7/2014, S. 127) tritt in Kraft. Damit entsteht ein Wirtschaftsraum mit 170 Millionen Einwohnern.

             – Korea.   Der Staats- und Parteichef der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) Kim Jong-un regt „Gespräche auf höchster Ebene“ mit der Republik Korea (Südkorea) an. Die „tragische“ Teilung Koreas dürfe nicht hingenommen werden. Die südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye hatte Ende Dezember v.J. ebenfalls Gespräche über die Wiedervereinigung der beiden Staaten vorgeschlagen.

2.1. – Naher Osten.   Nach Ablehnung ihres Resolutionsentwurfs im UN-Sicherheitsrat (vgl. „Blätter“, 2/2015, S. 127) hinterlegt die Palästinensische Autonomiebehörde bei den Vereinten Nationen in New York die Beitrittsdokumente zu 16 Konventionen, darunter dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). – Am 4.1. bekräftigt Ministerpräsident Netanjahu, Israel werde nicht zulassen, dass seine Soldaten vor das Haager Gericht gezerrt würden.

5.1. – Ukraine.   Bei der Übergabe weiterer Kampfjets, Haubitzen und Panzer an die Streitkräfte bezeichnet Präsident Poroschenko 2015 als „das Jahr unseres Sieges“. Die Ukraine brauche „eine starke patriotische und gut ausgerüstete Armee“. – Am 13.1. erreichen die Kämpfe im Donbass-Gebiet trotz des geltenden Waffenstillstands einen neuen Höhepunkt. Auf der Fahrt von der Hafenstadt Mariupol nach Donezk wird ein Passagierbus von einer Granate zerfetzt. Elf Personen werden getötet und 18 verletzt. Auf einer Trauerkundgebung erklärt Poroschenko am 18.1. auf dem Maidan in Kiew, man werde kein Stück des Landes aufgeben, sondern den Donbass wieder zurückerobern. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa/OSZE konstatiert eine „deutliche Verschlechterung“ der Lage und ruft alle Konfliktparteien zu äußerster Zurückhaltung auf. – Am 21.1. verhandeln in Berlin die Außenminister der Ukraine, Russlands, Frankreichs und Deutschlands erneut über die Voraussetzungen für Einhaltung und Umsetzung des Minsker Abkommens vom September v.J. (vgl. „Blätter“, 11/2014, S. 125 f.). – Am 24.1. beginnen die Separatisten mit einer neuen Offensive, um das von ihnen kontrollierte Gebiet weiter auszudehnen. Unmittelbares Ziel ist die Stadt Mariupol am Asowschen Meer, die über einen der wichtigsten Häfen verfügt. – Am 27.1. stuft das Parlament (Rada) Russland als „Aggressorstaat“ ein, die „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk seien Terrororganisationen.

6.1. – USA.   In Washington konstituiert sich der 114. Kongress, in beiden Kammern verfügen die Republikaner über die Mehrheit. Zusammensetzung des Senats (100 Sitze): 54 Republikaner, 46 Demokraten; Repräsentantenhaus (435 Sitze): 247 Republikaner, 188 Demokraten.

             – Türkei.   Staatspräsident Erdogan (zur Wahl vgl. „Blätter“, 10/2014, S. 126) kritisiert die zunehmende Fremden- und Islamfeindlichkeit in Europa. Rassistische und diskriminierende Vorfälle könnten „nicht länger versteckt werden“. Erdogan wirft der Europäischen Union vor, den Beitrittskandidaten Türkei hinzuhalten. – Am 19.1. leitet Erdogan erstmals eine Kabinettsitzung, an der Ministerpräsident Davutoglu und die 25 Minister teilnehmen. Die Opposition spricht von einem weiteren Schritt in Richtung eines Präsidialsystems.

7.-8.1. – BRD/Ukraine.   Regierungschef Jazenjuk erhält bei einem Besuch in Berlin die Zusage über deutsche Kreditgarantien in Höhe von 500 Mio. Euro für den Wiederaufbau in der Ostukraine. Bundeskanzlerin Merkel verspricht weitere Hilfen, um die Ukraine auf ihrem Weg zu unterstützen.

11.1. – Frankreich.   Zur Verteidigung der Meinungsfreiheit und zum Gedenken an die 16 Opfer der Terroranschläge vom 7.1. und 9.1 auf die Redaktion des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ sowie auf einen jüdischen Supermarkt demonstrieren in Paris fast zwei Millionen Menschen. Nach Ansicht von Beobachtern handelt es sich bei der Demonstration, an der auch zahlreiche Regierungsvertreter aus dem Ausland teilnehmen, um die größte Manifestation seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Viele Demonstranten tragen Transparente oder Anstecker mit der Aufschrift „Je suis Charlie“ (Ich bin Charlie). Beim Sturm auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ richteten die Angreifer ein Blutbad an und skandierten „Allah ist groß“ und „Wir haben den Propheten gerächt“. Unter den Todesopfern sind die fünf führenden Karikaturisten des Blattes. Die flüchtigen schwerbewaffneten Attentäter werden später bei einem Schusswechsel mit der Polizei erschossen. Die Redaktion hatte wegen ihrer islamkritischen Haltung und wegen der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen schon in den vergangenen Jahren mehrfach Drohungen mit islamistischem Hintergrund erhalten und im November 2011 einen Brandanschlag überstanden. Die Regierung kündigt einen verstärkten Kampf gegen den Terrorismus an. Die Geheimdienste sollen zusätzliche Kompetenzen und Mittel für die Überwachung verdächtiger Personen erhalten. Premierminister Valls beklagt am 20.1. auf einem Neujahrsempfang für die Medien die in Frankreich herrschende „territoriale, soziale und ethnische Apartheid“. Er wolle keinesfalls die geringste Entschuldigung für die Anschläge der letzten Wochen suchen, doch dürfe man die Augen nicht vor der Realität verschließen.

14.1. – Nato.   Der neue Generalsekretär Stoltenberg (vgl. „Blätter“, 12/2014, S. 110) lobt bei seinem Antrittsbesuch in Berlin die Rolle Deutschlands in der Allianz. Nach einem Meinungsaustausch mit Bundeskanzlerin Merkel heißt es, beide seien sich darin einig, dass Entschlossenheit und Dialog im Konflikt mit Russland einander nicht ausschließen. Man suche nicht die Konfrontation, aber Moskau müsse die fundamentalen Prinzipien des Zusammenlebens in Europa und seine Nachbarn und deren Grenzen respektieren. – Am 22.1. informiert Nato-Oberbefehlshaber US-General Bredlove die Presse über eine Sitzung der Generalstabschefs in Brüssel. Die Allianz sei besorgt über die Verschlechterung der Lage im Osten der Ukraine. Die Kämpfe seien so intensiv wie vor dem Minsker Abkommen, „zum Teil intensiver“ (vgl. „Blätter“, 11/2014, S. 125 f.). Auf eine Frage über die Anwesenheit von 9000 russischen Soldaten im Kampfgebiet antwortet Breedlove: „Ich kann die Zahlen von Präsident Poroschenko nicht bestätigen“.

16.1. – IStGH/ICC.   Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs Bensouda teilt in Den Haag mit, das Gericht werde Vorermittlungen wegen möglicher Kriegsverbrechen in den palästinensischen Autonomiegebieten aufnehmen. Zunächst würden die vorliegenden Informationen sowie die juristischen Zuständigkeiten geprüft (vgl. dazu „Blätter“, 2/2015, S. 126).

20.1. – Iran/Russland.   Die Verteidigungsminister Hossein Dehqan und Sergej Schoigu unterzeichnen in Teheran ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit, u.a. bei der Terrorismusbekämpfung. Gemeinsam wolle man gegen äußere Interventionen in der Region vorgehen.

22.1. – Bundesregierung.   Vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos (Schweiz) äußert sich Bundeskanzlerin Merkel zu Anregungen von Präsident Putin, Gespräche über Kooperationen in einem gemeinsamen Handelsraum „zwischen Lissabon und Wladiwostok“ zu führen. Voraussetzung für Vereinbarungen zwischen der Europäischen Union und der Eurasischen Union sei eine umfassende Friedenslösung in der Ukraine. Auch Vizekanzler Gabriel setzt sich in Davos für „eine Diskussion über eine Freihandelszone“ ein: „Wir sollten Russland einen Ausweg anbieten.“

             – EZB.   Der Rat der Europäischen Zentralbank verabschiedet mit großer Mehrheit ein Programm, das der Bank den Ankauf von Staatsanleihen der Eurozone erlaubt. Ab März d.J. sollen monatlich Aktiva im Wert von 60 Mrd. Euro erworben werden.

             – Anti-IS-Koalition.   Außenminister aus 21 Ländern beraten in London über das weitere Vorgehen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. US-Außenminister Kerry und sein britischer Kollege Hammond äußern sich gedämpft optimistisch. Im vierten Monat der Militäroffensive sei es gelungen, den Vormarsch der Dschihadisten im Irak zu stoppen und den Zugang zu Ressourcen zu beschneiden. Es müsse jedoch noch mehr getan werden.

25.1. – Griechenland.   Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen (vgl. „Blätter“, 2/2015, S. 127) wird das Bündnis der Radikalen Linken (Syriza) mit ihrem Vorsitzenden Alexis Tsipras stärkste Partei, verfehlt jedoch mit 149 von 300 Sitzen knapp die absolute Mehrheit. Die Nea Dimokratia, die mit Antonis Samaras bisher den Regierungschef stellt, muss in die Opposition. Tsipras erhält vom noch amtierenden Präsidenten Karolos Papoulias den Regierungsauftrag, verabredet mit dem Vorsitzenden der Unabhängigen Griechen (ANEL) Panos Kammenos eine Koalition und wird unmittelbar danach vereidigt. Die Partei ANEL, die als rechts-populistisch gilt, verfügt im Parlament über 13 Mandate. Tsipras bildet ein Kabinett, dem Kammenos als Verteidigungsminister angehört. Zu den ersten führenden Politikern aus der Europäischen Union, die nach der Wahl Athen besuchen, gehören Parlamentspräsident Martin Schulz und der Vorsitzende der Euro-Gruppe, der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem. Der neue griechische Finanzminister Janis Varoufakis wiederholt vor der Presse in Anwesenheit von Dijsselbloem die Forderung aus dem Wahlkampf nach Rücknahme der rigorosen Sparvorgaben und lehnt die Kooperation mit der Troika von IWF, EU-Kommission und EZB nachdrücklich ab.

26.1. – Europarat.   Die Parlamentarische Versammlung in Straßburg stimmt mit großer Mehrheit für die Fortsetzung der im April v.J. gegen die russische Delegation verhängten Sanktionen. Nach der Annexion der Ukraine war den 18 Abgeordneten das Stimmrecht entzogen worden.

27.1. – Bundestag.   Bundespräsident Gauck erklärt auf einer Gedenksitzung aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945, nie zuvor habe „ein Staat ganze Menschengruppen so systematisch stigmatisiert, separiert und vernichtet“. Auschwitz sei das Symbol für den Holocaust: „Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz“. Die Erinnerung bleibe „eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben“. Vor den Sowjetsoldaten, „die allein bei der Befreiung von Auschwitz 231 Kameraden verloren, verneigen wir uns auch heute in Respekt und Dankbarkeit“.

             – Italien.   Der Senat verabschiedet mit 184 gegen 66 Stimmen ein neues Wahlgesetz, das die Partei mit den meisten Sitzen künftig bevorzugt, um klare Mehrheiten zu ermöglichen. Die Annahme des Gesetzes wird durch die Zustimmung der Forza Italia von Berlusconi ermöglicht. – Am 31.1. wird der Verfassungsrichter Sergio Mattarella neuer Staatspräsident und löst den am 14.1. nach langer Amtszeit zurückgetretenen Giorgio Napoletano ab. Mattarella erhält im vierten Wahlgang 665 von 1009 Stimmen des zuständigen Gremiums, das aus Parlamentariern und Vertretern der Regionen besteht. In den ersten drei Wahlgängen war eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

30.1. – AU.   Der Gipfel der Afrikanischen Union in Addis Abeba (Äthiopien) einigt sich auf die Bildung einer Eingreiftruppe im Rahmen einer „Multinational Joint Task Force“ (MNJTF). Die Truppe mit einer Stärke von bis zu 7500 Mann soll die Rebellenarmee „Boko Haram“ bekämpfen, die in weiten Teilen des Nordostens von Nigeria und auch im benachbarten Kamerun ein Gewaltregime ausübt und in den von ihr besetzten Gebieten einen „Gottesstaat“ errichten will.

31.1. – Spanien.   Das im Vorjahr gegründete linke Bündnis „Podemos“ ruft zu einem „Marsch des Wandels“ auf, an dem sich in Madrid nach Schätzungen zwischen 100 000 und 300 000 Menschen beteiligen. Die Partei strebt nach den Parlamentswahlen im September d.J. ein Ende der „alten Politik“ und den Beginn einer „neuen Ära“ an. Der Parteigründer Pablo Iglesias verurteilt auf der Abschlusskundgebung den herrschenden „Totalitarismus der Austerität.

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