Ausgabe Januar 2022

Chronik des Monats November 2021

1.11. –Klimawandel. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme/UNEP) fordert „viel mehr internationale Unterstützung“ der Entwicklungsländer in ihrem Kampf gegen den Klimawandel. – Vom 1.-13.11. findet in der britischen Stadt Glasgow eine weitere Konferenz der Vereinten Nationen über den globalen Klimawandel (UN Climate Change Conference/COP26) statt, um das Pariser Klimaabkommen von 2015 voranzubringen. Mehr als 100 Staaten, die über 85 Prozent aller Waldbestände verfügen, verpflichten sich, bis spätestens 2030 die Zerstörung von Wäldern und anderen wertvollen Ökosystemen zu stoppen. Der Ausstoß von klimaschädlichem Methan soll reduziert werden. Der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern ist bis zuletzt umstritten. Zum Abschluss der Konferenz unterzeichnen alle 197 teilnehmenden Staaten den „Klimapakt von Glasgow“. Ziel bleibt, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. UN-Generalsekretär Guterres äußert sich zurückhaltend. Das Ergebnis sei ein Kompromiss und ein wichtiger Schritt, „aber es ist nicht genug“.

        Corona-Pandemie. Die Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA) beziffert die Zahl der Todesopfer seit Ausbruch der Pandemie auf weltweit mehr als fünf Millionen. – Am 18.11. verabschiedet der Bundestag mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP ein geändertes Infektionsschutzgesetz (IfSG), um eine gesicherte Rechtsgrundlage für den Kampf gegen das Virus nach dem Auslaufen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite am 25. November d.J. zu schaffen. CDU und AfD stimmen gegen das Gesetz, die Linksfraktion enthält sich der Stimme. Der Bundesrat stimmt am 19.11. den Gesetzesänderungen zu. Das IfSG, beschlossen am 12. Mai 2000 und in Kraft getreten am 1. Januar 2001, soll übertragbaren Krankheiten vorbeugen, Infektionen frühzeitig erkennen und ihre Weiterverbreitung eindämmen. Vorgänger war das Bundes-Seuchengesetz aus dem Jahr 1961. – Am 19.11. und an den folgenden Tagen protestieren in mehreren niederländischen und belgischen Städten viele Menschen gegen neue Beschränkungen des öffentlichen Lebens. Die Polizei berichtet über Straßenschlachten, Autos und Barrikaden gehen in Flammen auf. Der Bürgermeister von Rotterdam spricht von einer „Orgie der Gewalt“. – Am 22.11. äußert sich Bundeskanzlerin Merkel auf einer CDU-Vorstandssitzung angesichts stark steigender Infektionszahlen äußerst besorgt: „Wir haben eine Lage, die alles übertreffen wird, was wir bisher hatten.“ – Am 24.11. kündigt SPD-Kanzlerkandidat Scholz für den Fall seiner Amtsübernahme die Einrichtung eines ständigen Bund-Länder-Krisenstabs im Bundeskanzleramt an. Eine Expertengruppe mit Virologen, Epidemiologen, Soziologen und anderen Professionen solle täglich die Lage und die Wirksamkeit beschlossener Schutzmaßnahmen beurteilen. – Am 25.11. berichtet das Robert-Koch-Institut (RKI), die Zahl der Corona-Toten in Deutschland habe die 100 000 überschritten. – Am 30.11. beraten Bund und Länder bei steigenden Infektionszahlen über weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Dabei wird auch eine allgemeine Impfpflicht nicht mehr ausgeschlossen.

3.11. UNO. Die Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte Bachelet (Chile) wirft den Streitkräften Äthiopiens und Eritreas schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Auch von Seiten der Tigray-Unabhängigkeitsbewegung habe es Verletzungen der Menschenrechte gegeben. Es könne sich „um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln“. Die Kämpfe zwischen dem Militär und den Rebellen in Tigray spitzen sich zu.

        Nato. Generalsekretär Stoltenberg erklärt bei einem Treffen mit der dänischen Ministerpräsidentin Frederiksen in Kopenhagen, die globale Machtbalance in der Welt ändere sich, nicht zuletzt, „weil China zu einer größeren und stärkeren Militärmacht“ aufsteige. Wir sehen China im Weltraum, in Afrika und in der Arktis.

5.11. USA. Nach kontroversen Debatten im Kongress kann Präsident Biden die von ihm vorgelegten Investitionspakte durchbringen. Das Repräsentantenhaus stimmt zunächst dem Infrastrukturprogramm zu, das Investitionen von insgesamt 1,2 Billionen Dollar in den nächsten acht Jahren vorsieht. Mit knapper Mehrheit billigt das Repräsentantenhaus am 19.11. auch das „Build Back Better“-Programm mit Ausgaben für Soziales und Klimaschutz. Von den eingeplanten zwei Billionen Dollar in den nächsten zehn Jahren sind 495 Mrd. Dollar für den Klimaschutz bestimmt.

8.11. SPD. Das Präsidium der Sozialdemokratischen Partei beschließt einstimmig, Generalsekretär Lars Klingbeil als neuen Ko-Vorsitzenden zu nominieren. Klingbeil soll auf Norbert Walter-Borjans folgen, der seinen Rückzug angekündigt hatte (vgl. „Blätter“, 12/2021, S. 127). Klingbeil und Saskia Eskens sollen die Partei künftig wieder als Doppelspitze führen.

        Tschechische Republik. Einen Monat nach der Parlamentswahl (vgl. „Blätter“, 12/2021, S. 126) schließen die Spitzen von fünf konservativen und liberalen Parteien in Prag einen Koalitionsvertrag. Neuer Ministerpräsident wird der Vorsitzende der Bürgerdemokraten Petr Fiala, ein früherer Hochschulrektor. Die Koalition plant erhebliche Einsparungen, um das Haushaltsdefizit von derzeit über sieben Prozent auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken.

        EGMR. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilt Polen im Zusammenhang mit der umstrittenen Justizreform zu Entschädigungszahlungen. Das Verfahren zur Anerkennung von Richtern sei von Parlament und Regierung unzulässig beeinflusst worden. Zwei polnische Richter hatten wegen einer Verletzung ihres Menschenrechts auf ein faires Verfahren Beschwerde eingelegt und sollen mit je 15 000 Euro entschädigt werden. – Am 23.11. verurteilt das Gericht die türkische Regierung zu Entschädigungszahlungen an 400 Juristen, die nach dem Putschversuch in der Türkei im Jahr 2016 verhaftet wurden. Die Türkei habe das Menschenrecht der Beschwerdeführer auf Freiheit verletzt.

9.11. EU. Die Kommission hebt die geltenden Visa-Erleichterungen für Regierungs- und Behördenmitarbeiter aus Belarus auf. Die Botschafter der EU-Staaten einigen sich am 10.11. auf neue Strafmaßnahmen gegen Fluggesellschaften aus Drittstaaten, die sich an der Schleusung von Flüchtlingen beteiligen. Alle Geschäftsbeziehungen mit der weißrussischen Airline Belavia sollen eingestellt werden. Ein neues Sanktionsinstrument gegen Schleuser tritt am 15.11. in Kraft, nach dem alle Personen und Organisationen, die „illegale Übertritte an den EU-Außengrenzen“ organisieren oder einen Beitrag dazu leisten, bestraft werden können. Die Europäische Union beschuldigt das Regime von Alexander Lukaschenko, gezielt Migranten aus dem Nahen Osten an die Grenze zu Polen, Litauen und Lettland gebracht zu haben. Wir „nehmen ein weiteres Maßnahmenpaket gegen die Urheber dieses hybriden Angriffs des Lukaschenko-Regimes an“, erklärt der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Borrell.

10.11. China/USA. In einer gemeinsamen Erklärung kündigen die Regierungen in Peking und Washington überraschend an, sie wollten kooperieren, um ihre Maßnahmen gegen die Erderwärmung zu verstärken. Beide Länder sind die weltweit größten Emittenten von Treibhausgasen. – Am 16.11. halten die Präsidenten Xi Jinping und Biden einen virtuellen Gipfel ab. Xi plädiert für ein stabiles und funktionierendes Verhältnis, beide Länder sollten einander respektieren, friedlich koexistieren und international Verantwortung übernehmen. Er freue sich auf eine ehrliche und direkte Diskussion, erklärt Biden. Unsere Verantwortung besteht darin, dafür zu sorgen, dass aus Wettbewerb kein Konflikt wird, ob nun beabsichtigt oder unbeabsichtigt. Alle Länder hätten den „gleichen Regeln der Straße zu folgen“. Die Menschenrechtslage in Hongkong und Tibet kommt zur Sprache.

11.11. Russland. Die landesweit tätige Bürgerrechtsorganisation Memorial teilt in Moskau mit, ihr drohe die Schließung. Sie sei über einen entsprechenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft beim Obersten Gericht informiert worden. Schon im Jahr 2015 hatten die Behörden Memorial auf eine Liste „ausländischer Agenten“ gesetzt. Die von Andrej Sacharow gegründete Organisation bezeichnet dies als völlig unbegründet.

12.11. China. Nach einer viertägigen Sitzung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) wird in Peking eine Resolution veröffentlicht, um Inhalt und Bedeutung der chinesischen Geschichte der letzten Jahrzehnte zu erläutern. Erst zweimal in ihrer hundertjährigen Geschichte hat die Partei eine „historische Resolution“ angenommen, unter Mao Tse Tung (1945) und unter Deng Xiao Ping (1981).

        Türkei. Die Regierung in Ankara teilt mit, syrische, irakische und jeminitische Staatsbürger dürften künftig nicht mehr aus der Türkei nach Belarus reisen. Zuvor hatte der Irak die Flüge aus Erbil nach Minsk bereits gestoppt.

        Libyen. Der französische Präsident Macron ist in Paris Gastgeber einer internationalen Konferenz zur Zukunft Libyens. Zunächst geht es um die Vorbereitung der für Dezember d.J. geplanten Parlamentswahlen. Außerdem soll ein neuer Präsident gewählt werden. Saif al-Islam, der Sohn des früheren Machthabers Muammar al-Ghadafi, dem vom Internationalen Strafgerichtshof Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden, strebt eine Kandidatur an. Zu den Themen der Konferenz gehört auch ein Fahrplan für den Abzug der mehreren Tausend ausländischen Soldaten und Söldner aus dem nordafrikanischen Land. General Khalifa Haftar, dessen Truppen einen Teil des Landes im Osten besetzt halten, meldet am 16.11. ebenfalls seine Kandidatur für das Präsidentenamt an. UN-Vermittler Kubis (Slowakei) tritt am 23.11. überraschend zurück. Beobachter sehen einen Rückschlag und die Gefährdung des Wahltermins.

15.11. Mecklenburg-Vorpommern. Nach der Landtagswahl vom September d.J. (zum Ergebnis vgl. „Blätter“, 11/2021, S. 127) wählt der Landtag Manuela Schwesig (SPD) mit 41 von 79 Stimmen bei drei Enthaltungen erneut zur Ministerpräsidentin. Die Sozialdemokraten hatten zuvor entschieden, die Koalition mit der CDU nicht fortzusetzen, sondern ein Bündnis mit der Linkspartei einzugehen. Die inhaltlichen Schnittmengen mit der Linkspartei, so Schwesig, seien größer.

18.11. Armenien/Aserbeidschan. Die Lage an der gemeinsamen Grenze eskaliert erneut. Beide Seiten werfen sich gegenseitigen Beschuss vor.

23.11. IAEO. Der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation Grossi (Argentinien) kommt erneut nach Teheran, um die Meinungsverschiedenheiten mit der iranischen Regierung über ihr umstrittenes Atomprogramm beizulegen (vgl. „Blätter“, 8/2021, S. 126 und 12/2021, S. 127). Die IAEO verlangt vor allem einen besseren Zugriff ihrer Inspektoren auf die Bilder der Überwachungskameras in den Nuklearanlagen.

24.11. Ampel-Koalition. Die Spitzen von Sozialdemokraten, Grünen und Freien Demokraten präsentieren auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin den Entwurf ihres Koalitionsvertrages. Das 177seitige Dokument trägt den Titel „Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“. SPD-Kanzlerkandidat Scholz erklärt, „Die Ampel steht“. Man habe sich auf ein neues Regierungsbündnis verständigt, es gehe nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, „sondern um eine Politik der großen Wirkung“. Scholz kündigt massive Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung an, ab 2023 solle auch die Schuldenbremse wieder greifen.

        Frankreich/Großbritannien. Beim Versuch, den Ärmelkanal zu überqueren, um von Frankreich nach Großbritannien zu gelangen, kommen 27 Migranten, darunter mehrere Kinder, ums Leben. Der tragische Zwischenfall führt zu einer heftigen Kontroverse zwischen den Regierungen in Paris und London.

25.11. BRD/Polen. Bundeskanzlerin Merkel empfängt in Berlin den polnischen Ministerpräsidenten Morawiecki. Thema des Gesprächs ist die Flüchtlingskrise an der polnisch-belarussischen Grenze. Die Kanzlerin sichert Polen die volle Solidarität Deutschlands zu. Belarus habe Migranten mit „einer hybriden Attacke“ angelockt und wolle eine „Destabilisierung der ganzen Europäischen Union“ herbeiführen.

26.11. Italien/Frankreich. Ministerpräsident Draghi und Präsident Macron unterzeichnen in Rom einen Vertrag, der beide Seiten zur gegenseitig engeren Zusammenarbeit verpflichtet. Die „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt, die „Achse Rom-Paris“ werde in erster Linie als „Bündnis gegen die drohende finanzpolitische Austerität im Euro-Raum verstanden“. In beiden Hauptstädten werde auf das Modell des deutsch-französischen Elysee-Vertrages von 1963 (erneuert 2018) hingewiesen.

30.11. Bundesverfassungsgericht. Der Erste Senat in Karlsruhe verkündet seine einstimmige Entscheidung über die im April 2021 beschlossene „Bundesnotbremse“ mit nächtlichen Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen sowie Schulschließungen. Die damals getroffenen Maßnahmen seien mit dem Grundgesetz vereinbar und verhältnismäßig.

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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