Ausgabe Mai 2022

Kurzgefasst

Mischa Gabowitsch: Von »Faschisten« und »Nazis«. Russlands Geschichtspolitik und der Angriff auf die Ukraine, S. 55-62

Der Einmarsch in die Ukraine lässt Russlands Geschichtspolitik der vergangenen Jahre in neuem Licht erscheinen. Der Historiker und Soziologe Mischa Gabowitsch zeigt, wie Moskau die Begriffe „Nazismus” und „Faschismus” geschichtsrevisionistisch wendet – gegen die Eigenständigkeit postsowjetischer Staaten. Allerdings könnte der Angriff auf die Ukraine Putins propagandistischem Narrativ ein Ende bereiten.

Dokument: Timofej Sergejzew: »Was Russland mit der Ukraine tun sollte«, S. 63-69

Am 3. April 2022 publizierte die vom Kreml kontrollierte russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti einen Text des Politologen und Kolumnisten Timofej Sergejzew, in dem dieser erstmals detailliert beschreibt, wie die „Entnazifizierung“ der Ukraine umgesetzt werden soll. Als eine „Anleitung zum Völkermord“ bezeichnete der Historiker und Osteuropa-Experte Timothy Snyder dieses Manifest, das die „Blätter“ angesichts des brutalen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine dokumentieren.

Alexander Kelle und Oliver Meier: Chemiewaffen: Herausforderung für die internationale Ordnung, S. 71-78

Chemiewaffen werden international geächtet und kommen doch immer wieder zum Einsatz – etwa im Syrienkrieg. Die Politikwissenschaftler Alexander Kelle und Oliver Meier analysieren angesichts des eskalierenden Ukraine-Kriegs den Zustand des globalen Regimes zu deren Eindämmung. Ihr Befund: Seit Jahren torpediert Russland im Verbund mit anderen Staaten die Umsetzung des Chemiewaffenverbots. Daher gilt es, alternative Strategien zur Einhegung dieser Massenvernichtungswaffen zu entwickeln.

David Brooks: Abschied vom Globalen Dorf, S. 79-86

Mit dem Ukraine-Krieg verändert sich auch die Weltordnung. Der Journalist David Brooks konstatiert, dass Kultur und Psychologie einen weitaus größeren Einfluss auf die Politik ausüben als weithin angenommen. Die Welt, so seine These, werde sich wahrscheinlich in neue kulturelle Zonen aufteilen, wobei die Bruchlinien keineswegs zwischen den Blöcken verlaufen, sondern mitten durch diese hindurchgehen.

Ireneusz Pawel Karolewski und Claus Leggewie: Visegrád-Gruppe vor der Zerreißprobe? Putins Statthalter vs. Selenskyjs Unterstützer, S. 87-93

Die Visegrád-Gruppe stellt für die EU schon länger eine Herausforderung dar. Mit dem Ukraine-Krieg aber treten zunehmend auch Risse innerhalb des Zweckbündnisses zu Tage, so der „Blätter“-Mitherausgeber Claus Leggewie und der Politikwissenschaftler Ireneusz Pawel Karolewski. Während Orbáns Ungarn Moskau hofiert, wenden sich die anderen drei Mitglieder – Polen, Tschechien und die Slowakei – ganz überwiegend von Russland ab.

Theresa Reinold: »Basta Mafia!« Wie sich der Rechtsstaat gegen das organisierte Verbrechen behauptet, S. 95-102

Während das organisierte Verbrechen in Italien auf immer entschiedeneren Widerstand der Zivilgesellschaft stößt, gilt Deutschland für die Mafia inzwischen als äußerst komfortables Rückzugsgebiet. Den entscheidenden Grund dafür sieht die Politikwissenschaftlerin Theresa Reinold in einer weitgehend desinteressierten Öffentlichkeit. Der Kampf des Rechtsstaats gegen die Mafia aber könne nur gelingen, wenn sich sowohl die Politik als auch die Gesellschaft des Problems entschieden annähmen.

Gert Krell und Micha Brumlik: Der neue Antisemitismusstreit. Wie der Zionismus zum Überlebens- und Verdrängungskolonialismus wurde, S. 103-111

Antisemitische Stereotype und Beschimpfungen nehmen immer mehr zu. Doch gerade beim Thema Nahostkonflikt ist die Diagnose „Antisemitismus“ nicht leicht zu stellen, konstatieren der „Blätter“-Mitherausgeber Micha Brumlik und der Politikwissenschaftler Gert Krell. Sie halten bisherige Antisemitismusdefinitionen für problematisch – und schildern, wie bestimmte Auffassungen von Zionismus auch unseren Antisemitismusbegriff prägen.

Klaus-Dietmar Henke: Adenauers Superwatergate: Mit dem BND gegen die SPD, S. 112-120

Ein Jahrzehnt lang ließen Bundeskanzler Konrad Adenauer und sein Kanzleramtschef Hans Globke den engsten Führungszirkel der SPD illegal ausspähen. Nach der Aktenöffnung durch den Bundesnachrichtendienst seziert der Historiker Klaus-Dietmar Henke diesen wahrscheinlich größten politischen Skandal der Bonner Republik. Sein Fazit: Das Komplott zwischen Kanzler und Geheimdienst gefährdete den Rechtsstaat und die politische Kultur der jungen Demokratie aufs Äußerste.

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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