Ausgabe September 1994

Rede des Bundespräsidenten Roman Herzog zum 50. Jahrestag des Warschauer Aufstandes, gehalten in Warschau am 1. August 1994 (Wortlaut)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,

es ist ein bewegender Moment für mich, Ihnen über die Gräber der Toten des Warschauer Aufstandes hinweg heute die Hand zu reichen.

Als Staatsoberhaupt meines Landes bin ich Ihnen, Herr Präsident, und dem polnischen Volk für diese Einladung aufrichtig dankbar. Zugleich habe ich Verständnis für die Gefühle jener, die meiner Teilnahme kritisch gegenüberstehen, und ich bekunde ihnen meinen Respekt.

Was wir brauchen, ist Versöhnung und Verständigung, Vertrauen und gute Nachbarschaft. Das kann nur weiterwachsen und gedeihen, wenn unsere Völker sich dem Grauen ihrer jüngsten Geschichte in aller Offenheit stellen. In aller Offenheit und ohne Vorurteile. Mit dem Mut zur vollen Wahrheit. Nichts hinzufügen, aber auch nichts weglassen, nichts verschweigen und nichts aufrechnen. Im Bewußtsein, der Vergebung bedürftig zu sein, aber auch zur Vergebung bereit.

Der 1. August ruft uns in Erinnerung, welch unermeßliches Leid von Deutschen über Polen gebracht wurde. Wie in einem Vergrößerungsglas treten Terror und Vernichtung, Ausrottung und Erniedrigung vor unsere Augen. In den entfesselten Racheaktionen nach Beginn des Warschauer Aufstandes, in der systematischen Vernichtung der Stadt und ihrer Bewohner überschlug sich die Zerstörungsmaschinerie der Nazis in einem letzten hasserfüllten Aufbäumen. Ihr stand der unabwendbare, der endgültige Bankrott und der ihn begleitende Einzug von Krieg, Leid, Tod und Vertreibung auch in Deutschland schon deutlich vor Augen. So war Zerstörung mit Selbstzerstörung unlösbar verbunden. [...]

 

--

Leider ist dieser Beitrag in der HTML-Ansicht nur in Auszügen verfügbar. Den gesamten Text finden Sie in der PDF-Datei, die auf dieser Seite zum Download angeboten wird. 

 

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo