Ausgabe März 2006

Erfordernis eines erneuerten Dialogs

Gemeinsame Erklärung von Kofi Annan (UNO), Ekmeleddin Ihsanoglu (OIC) und Javier Solana (EU) zum Karikaturenstreit vom 7. Februar 2006 (Wortlaut)

Javier Solana, der Hohe Vertreter der Europäischen Union für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), UN-Generalsekretär Kofi Annan und Ekmeleddin Ihsanoglu, Generalsekretär der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), veröffentlichten am 7. Februar gleichzeitig in New York, Dschiddah und Brüssel die nachfolgend dokumentierte beschwichtigende Erklärung zum „Karikaturenstreit“. – D. Red.

Wir sind zutiefst beunruhigt über das Echo auf die Veröffentlichung von Karikaturen, die den Propheten Mohammed beleidigen, vor einigen Monaten in Dänemark und ihre anschließende Wiederveröffentlichung in einigen anderen europäischen Zeitungen sowie die Akte der Gewalt, die als Reaktion darauf erfolgten.

Der Schmerz in der islamischen Welt angesichts der Veröffentlichung dieser anstößigen Karikaturen wird von allen Individuen und Gemeinschaften geteilt, die sich der Empfindlichkeit tief empfundener religiöser Glaubensüberzeugungen bewusst sind. In allen Gesellschaften besteht die Notwendigkeit, mit Themen von besonderer Bedeutung für Anhänger gleich welcher Glaubensrichtung empfindsam und verantwortungsbewusst umzugehen; das gilt selbst für jene, die die betreffende Glaubensüberzeugung nicht teilen.

Wir halten am Recht auf freie Meinungsäußerung uneingeschränkt fest. Aber wir verstehen die Gefühle tiefer Verletzung und die weit verbreitete Entrüstung in der muslimischen Welt. Zur Pressefreiheit gehört nach unserer Überzeugung Verantwortungsbewusstsein und Taktgefühl; sie sollte die Glaubensüberzeugungen und Grundsätze aller Religionen respektieren.

Wir glauben aber auch, dass die jüngsten Gewalttätigkeiten die Grenzen eines friedlichen Protests überschreiten. Besonders die beklagenswerten Angriffe auf diplomatische Vertretungen, zu denen es in Damaskus, Beirut und anderswo gekommen ist, verurteilen wir entschieden. Angriffe auf Leben und Eigentum können dem Image eines friedlichen Islam nur schaden. Wir rufen die Behörden aller Staaten auf, alle diplomatischen Einrichtungen und ausländischen Staatsbürger vor gesetzwidrigen Angriffen zu schützen.

Diese Geschehnisse verleihen dem Erfordernis eines erneuerten Dialogs, zwischen und innerhalb verschiedener Glaubensgemeinschaften und den Verantwortlichen unterschiedlicher Staaten, um so größere Dringlichkeit. Wir appellieren an sie, zu Ruhe und Zurückhaltung aufzurufen, im Geiste der Freundschaft und des gegenseitigen Respekts. New York, Dschiddah und Brüssel, den 7. Februar 2006

New York, Dschiddah und Brüssel, den 7. Februar 2006 Kofi A. Annan Ekmeleddin Ihsanoglu Javier Solana

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo