Dokumente zum Zeitgeschehen

»Wachstum und Beschäftigung für Europa«

Positionspapier der sogenannten SPD-Troika aus Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel, 15.5.2012

Die ökonomischen und sozialen Folgen einer einseitig auf Ausgabenkürzungen abzielenden Politik sind fatal. Europa droht daran zu zerbrechen. So hat sich in den vergangenen zwei Jahren die europäische Krise nicht entspannt, sondern verschärft, und die Kreditrisiken, für die Deutschland haften muss, sind nicht gesunken, sondern massiv gestiegen.

Die gegenwärtige Krise Europas ist ganz wesentlich die Folge der Finanzmarktkrise. Seit 2008 ist die Arbeitslosigkeit in Spanien von 11,3 % auf heute 24,1 %, in Griechenland von 7,7 % auf 21,7 %, in Portugal von 8,5 % auf 15,3 % und in Irland von 6,3 % auf 15 % gestiegen. 17,4 Millionen Menschen sind heute in den Ländern des Euroraums arbeitslos. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in einigen Staaten auf bis zu 50 % angestiegen. Zugleich rutscht die Eurozone weiter in die Rezession. Die öffentliche Verschuldung in Europa ist nach 2008 vor allem auch deshalb gestiegen, weil Staaten gezwungen waren, Banken zu retten und für faule Kredite im Privatsektor zu haften.

Deutschland hatte 2008 gesamtstaatlich noch einen ausgeglichenen Haushalt. Dann stieg der deutsche Schulden stand rapide, insbesondere durch die Übernahme der neu errichteten Abwicklungsanstalten für Banken durch den Staat, von 73,5 % auf 83,2 % des BIP. Im Falle Irlands etwa noch weitaus dramatischer von unter 50 % auf mehr als 100 % des BIP. Nun gilt es, diese Verschuldung zurückzuführen. Das darf in Deutschland aber nicht dazu führen, dass für die Bundesländer über den beschlossenen Abbaupfad zur Erreichung der Schuldenbremse im Jahr 2020 weitere Belastungen erfolgen. Wir müssen ihnen vielmehr Hilfestellung leisten, damit sie diese Aufgabe meistern können, wozu auch Angebote zur verbesserten Refinanzierung gehören. Daneben müssen wir die Verursacher und Nutznießer der Krise an den Krisenkosten beteiligen. Denn insbesondere im Fall von Irland und Spanien war und bleibt der Bankensektor der zentrale Krisenherd. Wir müssen die Lehren aus der Finanzmarktkrise ziehen, um zu Stabilität in Europa zurückzukehren.

Zu hohe Schulden bringen die Staaten in eine gefährliche Abhängigkeit von den Finanzmärkten und sind auf Dauer unsozial, weil immer mehr hart erarbeitete Steuermittel in Form wachsender Zinsbelastung an die Kapitalgeber fließen. Auf tragfähige Haushalte ausgerichtete konjunkturgerechte Schuldenregeln in ganz Europa sind daher sinnvoll. Dauerhafter Schuldenabbau aber wird nur mit wirtschaftlicher Dynamik und mit Wachstum in neuen innovativen und zukunftsfähigen Branchen gelingen.

Wir brauchen eine Weichenstellung in Richtung Realwirtschaft: Weniger spekulative und kurzfristig, angelegte Wertabschöpfung, mehr innovative Wertschöpfung in Produktion und produktionsnahen Dienstleistungen, mit mehr Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung sowie in Infrastrukturen, die den Strukturwandel befördern, etwa die dringend erforderlichen Stromnetze. Zu diesem Richtungswechsel gehört eine entschlossene Regulierung und eine gerechte Besteuerung der Finanzmärkte. Investitionen in neues Wachstum dürfen nicht zu neuen Staatsschulden führen. Ihre Finanzierung kann vielmehr durch die Einnahmen aus einer Finanztransaktionssteuer abgesichert werden.

I. JETZT HANDELN – FÜR WACHSTUM, BESCHÄFTIGUNG UND EINE NEUE ORDNUNG DER FINANZMÄRKTE

1. Ein Europäisches Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit

Die Bekämpfung der in etlichen europäischen Staaten besorgniserregend hohen Arbeitslosigkeit von Jugendlichen muss zu einer gemeinsamen strategischen Priorität der Politik von Europäischer Union und ihrer Mitgliedstaaten gemacht werden. Dass in Europa über fünf Millionen junge Menschen, viele von ihnen gut qualifiziert und ausgebildet, ohne Arbeit sind, gefährdet nicht nur den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaften. Auch die europäische Einigung droht Schaden zu nehmen, wenn gerade die jungen Menschen, die den europäischen Gedanken in die Zukunft tragen sollen, Europa vor allem mit Arbeitslosigkeit und Sozialabbau in Verbindung bringen.

Deshalb müssen jetzt rasch verbindliche Ziele und Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit europaweit vereinbart werden. Ziel muss sein, die Jugendarbeitslosigkeit in Europa in den nächsten fünf Jahren zu halbieren. Die Finanzierung eines europäischen Sofortprogramms gegen Jugendarbeitslosigkeit kann kurzfristig aus bisher nicht zugewiesenen Mitteln vor allem aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) erfolgen. Daneben müssen sich auch die Mitgliedstaaten verbindlich verpflichten, in diesem Bereich tätig zu werden. Vor allem folgende politischen Schwerpunkte müssen vereinbart und umgesetzt werden:

-die Erleichterung der europaweiten Mobilität, insbesondere für junge Arbeitssuchende, unter anderem durch eine bessere europaweite Anerkennung von beruflichen Qualifikationen und durch einen Mobilitätsfonds, der zum Beispiel Sprachtraining anbietet

-eine „Jugendgarantie“, die das Recht auf Aus- oder Weiterbildung innerhalb von vier Monaten nach Erhalt eines schulischen Abschlusszeugnisses einführt und dabei auf betriebliche bzw. betriebsnahe Qualifikation zielt; Anreize für Unternehmen, Jugendliche auszubilden und neu einzustellen, unter anderem durch zeitlich befristete Zuschüsse aus dem ESF

-ein europäisches „Bündnis für Ausbildung und Arbeitsplätze“ speziell für junge Arbeitssuchende, bei dem die EU-Kommission Gewerkschaften und europäische Unternehmen an einen Tisch bringt, um durch grenzüberschreitende Ausbildungs- und Jobprogramme Jugendliche in Beschäftigung zu bringen

• die Förderung junger Existenzgründer/innen

• eine Qualitätscharta für Praktika

• der Ausbau des Europäischen Freiwilligendienstes und der Programme ERASMUS und LEONARDO

2. Eine wirksame Bekämpfung der Finanzmarkt- und Bankenkrise

Durch die Fehler der konservativen Politik in Europa werden die Banken und nicht die Menschen in den von der Krise betroffenen Staaten wie Griechenland, Irland, Portugal und Spanien unterstützt. Durch Entscheidungsunfähigkeit hat die schwarz-gelbe Koalition in Berlin die EZB gezwungen, Staatsanleihen im Wert von über 220 Mrd. Euro zu kaufen und den Banken über eine Billion Euro zu 1 Prozent zu schenken, womit sie Staatsanleihen zu einer weit höheren Verzinsung kaufen. Banken werden zu Lasten von Staaten und Steuerzahlern saniert, ohne dass es zur durchgreifenden Regulierung und zur Vorsorge für künftige Krisen kommt. Damit muss Schluss sein. Wir brauchen:

-die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer zur Eindämmung von Spekulationen und um mit den Mitteln selbst laut EU-Kommission ca. 57 Mrd. Euro in Europa europäische Wachstumsimpulse zu geben

-die Haftung der Banken: Mit der Rettung von unter kapitalisierten Banken durch Staatsgarantien muss Schluss sein. Wer ein hohes Risiko eingeht, muss auch dafür haften und gegebenenfalls Pleite gehen können! Es kann nicht angehen, dass der Staat die Zeche zahlt und für Zockerei haftet. Wir fordern eine Trennung von Geschäfts- und Investmentbanking

-eine europäische Bankenaufsicht, die dafür sorgt, dass Banken der Realwirtschaft dienen

-eine wirkungsvolle Regulierung der Schattenbanken

-Gegengewicht zu privaten Ratingagenturen, die mit ihren Bewertungen über die Zukunft von Staaten urteilen, muss eine europäische Ratingagentur gegründet werden, die die Bonität von Ländern bewertet.

Das gesamte Positionspapier von Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier finden Sie hier.