1.12. – Russland. Präsident Putin fordert ein Ende der Nato-Osterweiterung. Russland brauche vom Westen „starke, verlässliche und langfristige Sicherheitsgarantien“, erklärt der Präsident vor ausländischen Botschaftern in Moskau. Die Ukraine und Georgien, beide ehemalige Sowjetrepubliken, streben die Mitgliedschaft in dem nordatlantischen Militärbündnis an. – Am 23.12. bekräftigt Präsident Putin auf einer Pressekonferenz zum Jahresende erneut seine Forderung nach Sicherheitsgarantien der USA und der Nato. Man brauche solche Garantien sofort. Für Moskau sei jede Erweiterung der Nato in Richtung Osten „inakzeptabel“. Besonders kritisch sehe man eine mögliche Aufnahme der Ukraine. Vorwürfe, Russland wolle eine Eskalation an der Grenze zur Ukraine provozieren, weist Putin zurück, seine Regierung wolle keinen Konflikt. – Am 28.12. verfügt das Oberste Gericht in Moskau die Auflösung der Menschenrechtsorganisation Memorial International und folgt damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Ende der 1980er Jahre gegründete Organisation bezeichnet das Urteil als „politische Entscheidung“ ohne Rechtsgrundlage. Die Regierung hatte Memorial immer wieder vorgeworfen, die vor 30 Jahren aufgelöste Sowjetunion als „Terrorstaat“ darzustellen und mit der Annahme von Zahlungen aus dem Ausland gegen Gesetze zu verstoßen. Die Führung der Organisation kündigt an, die Sache vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen.
– EU. Die Europäische Kommission kündigt ein Investitionsprogramm für den Ausbau von Infrastruktur in Entwicklungs- und Schwellenländern an. Unter dem Namen „Global Gateway“ sollen zwischen 2021 und 2027 bis zu 300 Mrd. Euro fließen. Beobachter sehen hierin auch ein Gegenprogramm zu Chinas „Neuer Seidenstraße“. – Vom 16.-17.12 nimmt Bundeskanzler Scholz in Brüssel erstmals seit seinem Amtsantritt an einem EU-Gipfel teil. In einer Erklärung warnen die Staats- und Regierungschefs Russland vor einem Angriff auf die Ukraine und drohen für diesen Fall mit Vergeltungsmaßnahmen. Streitpunkt bleibt unter anderem die Taxonomie, also die Klassifizierung bestimmter Energiequellen als umweltfreundlich: So lehnt insbesondere die Bundesrepublik die von Frankreich protegierte geplante Einstufung der Atomenergie als nachhaltig ab. – Am 22.12. leitet die EU-Kommission ein Verfahren gegen Polen wegen zweier Urteile des polnischen Verfassungsgerichts ein. Dieses hatte große Teile des EU-Rechts für verfassungswidrig erklärt. Die EU-Kommission sieht die Grundlage der europäischen Rechtsgemeinschaft in Frage gestellt. Der polnische Vize-Justizminister Sebastian Kaleta bezeichnete das Vorgehen der EU als einen „Angriff auf die polnische Verfassung und unsere Souveränität“.
2.12. – Bundeskanzlerin. Mit dem traditionellen Großen Zapfenstreich wird Angela Merkel nach 16 Jahren als Regierungschefin verabschiedet. In ihrer Rede ruft sie dazu auf, die Demokratie gegen Hass, Gewalt und Falschinformationen zu verteidigen. Sie wünscht ihrem Nachfolger Olaf Scholz und seiner Ampel-Regierung „alles, alles Gute und eine glückliche Hand und viel Erfolg“.
– OSZE. Der russische Außenminister Lawrow warnt auf einem OSZE-Treffen in Stockholm vor einer Rückkehr zu einem „Alptraumszenario einer militärischen Konfrontation“. Lawrow beschuldigt die Nato, „ihre militärische Infrastruktur näher an die russischen Grenzen zu bringen“.
– UNO. Das Büro der Vereinten Nationen zur Koordinierung der humanitären Hilfe (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs/OCHA) schätzt die Zahl der Hilfsbedürftigen weltweit auf 274 Millionen im Jahr 2022 nach 250 Millionen im Jahr 2021: „Der Bedarf wächst, was auch auf das Zusammentreffen von politischer Instabilität, zunehmenden Vertreibungen, Folgen des Klimawandels und Auswirkungen von Covid-19 zurückzuführen ist.“
– Österreich. Zwei Monate nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler (vgl. „Blätter“, 12/2021, S. 125) tritt Sebastian Kurz auch als ÖVP-Vorsitzender zurück. Bundeskanzler Alexander Schallenberg stellt sein Amt zur Verfügung und übernimmt erneut das Außenministerium. Die Österreichische Volkspartei bestimmt den bisherigen Innenminister Karl Nehammer zum neuen Kanzler und ÖVP-Vorsitzenden. Am 6.12. erfolgt die Angelobung der neuen Regierung unter Bundeskanzler Nehammer durch Bundespräsident Van der Bellen.
3.12. – Brasilien. Der Oberste Gerichtshof des Landes ordnet eine Verfahrenseinleitung gegen den Präsidenten Jair Bolsonaro wegen Falschinformation an. Es ist bereits das fünfte Verfahren, alle bisherigen verliefen bisher im Sand.
– Afghanistan. Die Taliban-Regierung weist Organisationen, religiöse Gelehrte und Älteste an, ernsthafte Maßnahmen zur Durchsetzung von Frauenrechten zu ergreifen. In dem Erlass heißt es: „Eine Frau ist kein Eigentum, sondern ein edler und freier Mensch.“ Von einem gleichberechtigten Zugang zur Bildung ist nicht die Rede.
5.12. – Vatikan. Beim Besuch eines Migrantenlagers auf der griechischen Insel Lesbos übt Papst Franziskus scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik des Westens. Franziskus spricht von einem „Schiffbruch der Zivilisation“. Das Mittelmeer sei heute „ein kalter Friedhof ohne Grabsteine“. Man dürfe nicht zulassen, dass „aus dem Mare nostrum ein Meer der Toten wird“.
6.12. – Myanmar. Die seit einem Militärputsch entmachtete Regierungschefin Myanmars und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wird von einem militärischen Sondergericht zu vier Jahren Haft verurteilt. Die Anklagepunkte lauten: Aufruf zu gewalttätigen Protesten und Verstoß gegen Corona-Auflagen. Einen Tag später wird das Strafmaß auf zwei Jahre Hausarrest gemindert.
8.12. – Ampel-Koalition. Nach der am Vortag erfolgten Unterzeichnung des Koalitionsvertrages durch alle drei Koalitionspartner (SPD, Grüne, FDP) wird Olaf Scholz (SPD) im Bundestag mit 395 gegen 303 Stimmen bei sechs Enthaltungen zum neunten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt (vgl. „Blätter“, 1/2022, S. 127). Die Koalition verfügt über 416 der 736 Mandate. Die neue Regierung erhält durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ernennungsurkunden. Zuvor war die geschäftsführende Bundesregierung unter Angela Merkel feierlich verabschiedet worden. Die erste Amtshandlung des neuen Bundeskanzlers ist am 9.12 eine digitale Kontaktaufnahme zu US-Präsident Joe Biden. Kanzler und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) reisen anschließend jeweils zu Antrittsbesuchen bei ihren Amtskollegen in Paris, Brüssel und Warschau.
10.12. – Friedensnobelpreis. In Oslo wird der Friedensnobelpreis 2021 an die Journalisten Maria Ressa (Philippinen) und Dmitri Muratow (Russland) verliehen. Das Nobelkomitee begründet seine Entscheidung für Ressa insbesondere mit deren kritischer Berichterstattung über die repressive Antidrogenpolitik des philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte. Muratow wird für seinen Einsatz für die Presse- und Meinungsfreiheit sowie die regierungskritische Arbeit seiner Zeitung „Nowaja Gaseta“ ausgezeichnet.
11.12. – SPD. Auf dem weitgehend digital abgehaltenen SPD-Parteitag werden Saskia Esken und Lars Klingbeil als Parteivorsitzende gewählt (vgl. „Blätter“, 1/2022, S. 126). Esken, die die Partei seit 2019 gemeinsam mit dem nicht erneut antretenden Norbert Walter-Borjans geführt hatte, erhält 76,7 Prozent der Stimmen; der bisherige Generalsekretär Klingbeil 86,3 Prozent. Zum neuen Generalsekretär wird der ehemalige Juso-Chef Kevin Kühnert mit 77,8 Prozent der Stimmen gewählt.
12.12. – Neukaledonien/Frankreich. Die Bevölkerung des französischen Überseegebiets Neukaledonien stimmt erneut gegen die Unabhängigkeit. In einem dritten und vorerst letzten Referendum lautet das Ergebnis: 96,5 Prozent für einen Verbleib bei Frankreich. Die Wahlbeteiligung beträgt allerdings nur knapp 44 Prozent. Die Unabhängigkeitsbefürworter hatten zum Boykott der Abstimmung aufgerufen. Präsident Macron erklärt: „Die Kaledonier haben sich entschieden, Franzosen zu bleiben.“
15.12. – Europäisches Parlament. Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny wird für seinen Einsatz gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit in seinem Heimatland mit dem Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments ausgezeichnet. Da Nawalny in Russland eine Haftstrafe verbüßt, nimmt seine Tochter den Preis in Straßburg entgegen.
– Bundestag. Bundeskanzler Scholz gibt vor dem Bundestag die erste Regierungserklärung der Ampel-Koalition ab. Mit Blick auf den Klimawandel kündigte er „die größte Transformation unserer Industrie und Ökonomie seit mindestens 100 Jahren“ an. Der Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU und neuer Oppositionsführer, Ralph Brinkhaus (CDU), wünscht dem Kanzler „alles Gute für seine Aufgabe“ und erklärt, nicht mit den beiden anderen Oppositionsfraktionen AfD und Linke kooperieren zu wollen.
– Berlin. Das Kammergericht Berlin verkündet sein Urteil im sogenannten Tiergartenmord. Dem russischen Hauptverdächtigen, der im August 2019 den im Exil lebenden Georgier Zelimkhan Khangoshvili erschossen hatte, wird eine lebenslange Freiheitsstrafe auferlegt. Die Richter schließen sich der Ansicht der Bundesanwaltschaft an, der Mord sei im Auftrag einer russischen staatlichen Stelle verübt worden und sprachen in dem Zuge von „Staatsterrorismus“.
17.12. – Polen. Das Polnische Parlament billigt ein umstrittenes neues Mediengesetz (die sogenannte lex TVN). Es ist in erster Linie gegen die regierungsunabhängige Sendergruppe TVN gerichtet und legt fest, dass die Kapitalbeteiligung ausländischer Investoren – mit Ausschluss des Europäischen Wirtschaftsraums – nicht mehr als 49 Prozent betragen dürfe. TVN gehört seit 2015 zum US-Medienkonzern Discovery. – Am 27.12. legt Polens Staatspräsident Andrzej Duda überraschend sein Veto gegen das Gesetz ein und verweist es zurück ans Parlament.
– CDU. Die Parteimitglieder sprechen sich in einer Basisabstimmung mit 62,1 Prozent für Friedrich Merz als neuen CDU-Vorsitzenden aus. Das Ergebnis muss noch durch einen Parteitag bestätigt werden. Merz hatte bereits 2018 und 2020 erfolglos für den Parteivorsitz kandidiert.
– Tschechische Republik. Mehr als zwei Monate nach der Abgeordnetenhauswahl wird die aus fünf Parteien bestehende Regierungskoalition des neuen Ministerpräsidenten Petr Fiala von der liberal-konservativen ODS durch Staatspräsident Zeman vereidigt (vgl. „Blätter“, 1/2022, S. 126). Sie verfügt über 108 der 200 Sitze.
19.12. – Vereinigtes Königreich. Der „Brexit-Minister“ David Frost tritt mit sofortiger Wirkung zurück. Seinen Schritt begründet er mit inhaltlichen Zweifeln am Kurs der Regierung von Premierminister Johnson.
– Chile. Der linke Kandidat Gabriel Boric gewinnt die Stichwahl für das Präsidentenamt gegen den rechtskonservativen José Manuel Kast. Boric konnte bei einer Wahlbeteiligung von 55 Prozent knapp 56 Prozent der Stimmen auf sich vereinen und wird voraussichtlich im März 2022 den bisherigen Präsidenten Sebastián Piñera ablösen. Zusammen mit dem bereits laufenden Verfassungskonvent setzen viele Chileninnen und Chilenen große Hoffnungen auf eine soziale Transformation des seit Jahrzehnten stark neoliberal geprägten Landes.
– China/Hongkong. In Hongkong findet die erste Parlamentswahl nach den neuen Wahlgesetzen statt. Die Wahlbeteiligung liegt bei nur etwa 30 Prozent – ein historischer Tiefstand seit der „Rückgabe“ der vormals britischen Kolonie an China 1997. Die Bevölkerung kann nur noch 20 der nunmehr 90 (zuvor 35 von 70) Abgeordneten des Legislativrats wählen.
21.12. – Berlin. Franziska Giffey (SPD) wird mit 84 von 139 Stimmen zur neuen Regierenden Bürgermeisterin gewählt und tritt die Nachfolge des im September in den Bundestag gewählten Michael Müller (SPD) an. Giffey führt die Koalition von Sozialdemokraten, Grünen und Linken fort, die in der aktuellen Legislaturperiode 92 von 147 Mandaten im Abgeordnetenhaus innehat.
28.12. – Zypern. Die Regierung der Inselrepublik appelliert an die anderen EU-Mitgliedstaaten, Flüchtlinge aus ihren völlig überfüllten Lagern aufzunehmen. Seit Jahresanfang seien auf Zypern 12 000, im Oktober und November 2021 allein 4000 Migranten angekommen, so der zyprische Innenminister Nouris. 2020 war Zypern das EU-Land mit den meisten Asylanträgen in Relation zur Bevölkerungsgröße.
30.12. – Russland/USA. In einem Telefonat warnt US-Präsident Biden den russischen Präsidenten Putin vor einem militärischen Angriff auf die Ukraine und kündigt für einen solchen Fall Sanktionen und Gegenmaßnahmen an. Die russische Seite fordert Sicherheitsgarantien sowie ein Ende der Nato-Osterweiterung und droht andernfalls mit einem Abbruch der internationalen Beziehungen Russlands zu den Nato-Staaten. Für Januar 2022 sind persönliche Gespräche zwischen Russlands und der USA geplant.
31.12. – Atomausstieg. Im Rahmen des Atomausstiegs gehen die drei Kernkraftwerke Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C vom Netz. Bis Ende 2022 sollen auch die drei verbliebenen Anlagen Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland abgeschaltet werden.