Ausgabe März 2022

Chronik des Monats Januar 2022

1.1. – G7. Deutschland übernimmt turnusgemäß von Großbritannien den Vorsitz der Gruppe der sieben Industriestaaten. Dazu zählen seit dem Ausschluss Russlands 2014 (ehemals G8) neben Deutschland und Großbritannien die USA, Frankreich, Italien, Japan und Kanada. Bundeskanzler Scholz (SPD) kündigte in seiner Neujahrsansprache an, die G7 sollen zum „Vorreiter für klimaneutrales Wirtschaften und eine gerechte Welt“ werden.

        – EU. Mit dem Jahreswechsel übernimmt Frankreich die EU-Ratspräsidentschaft von Slowenien. Ziele der sechsmonatigen Amtszeit sollen unter anderem eine Reform des Schengener Abkommens und ein wirtschaftliches Wachstumsmodell nach der Coronakrise sein. – Am 11.1. stirbt EU-Parlamentspräsident David-Maria Sassoli von der Partito Democratico (PD) im Alter von 65 Jahren. Der Italiener war seit 2009 Mitglied des EU-Parlaments und seit 2019 dessen Präsident. – Am 18.1. wird Roberta Metsola im ersten Wahldurchgang zur Nachfolgerin Sassolis gewählt. Die 43jährige Malteserin, zuvor Vizepräsidentin des EU-Parlaments, erhält 458 von 616 abgegebenen Stimmen. Die EVP-Politikerin wurde auch mit Stimmen der sozial-demokratischen und liberalen Fraktion gewählt.

        – ARD. Die Intendantin des RBB, Patricia Schlesinger, übernimmt den Vorsitz der ARD von WDR-Intendant Tom Buhrow. Ihre Wahl durch die Hauptversammlung der ARD-Rundfunkanstalten fand bereits im September 2021 statt.

        – Schweiz. Der liberale Ignazio Cassis übernimmt das Amt des Bundespräsidenten der Schweiz. Sein Vorgänger Guy Parmelin von der Schweizerischen Volkspartei übergibt sein Amt somit turnusgemäß nach einem Jahr an den bisherigen Vizepräsidenten des Bundesrates.

        – Nato/Ukraine-Konflikt. Der finnische Präsident Sauli Niinistö äußert sich in seiner Neujahrsansprache zu einem möglichen Nato-Beitritt seines Landes. Finnland behalte sich weiterhin die Möglichkeit vor, einen Beitrittsantrag zu stellen. Russland hatte zuvor von der Nato ein Ende ihrer Osterweiterung gefordert. Bei diplomatischen Gesprächen in Genf am 10.1. weisen die USA die russische Forderung erneut zurück und drohen für den Fall eines militärischen Angriffs mit Konsequenzen. – Im Rahmen des Nato-Russland-Rates bekräftigt Russland am 12.1. seine Forderung nach Sicherheitsgarantien und einem Abzug von Nato-Truppen aus den östlichen Mitgliedstaaten. – Am 18.1. reist Bundesaußenministerin Baerbock als Antrittsbesuch zu ihrem Amtskollegen Lawrow nach Moskau und erklärt, es „sei schwer”, die russische Truppenkonzentration an der Grenze zur Ukraine „nicht als Drohung zu verstehen”. – Am 21.1. treffen sich US-Außenminister Blinken und sein russischer Kollege Lawrow zu einem weiteren Gespräch in Genf, das jedoch keinen Durchbruch bringt. – Der deutsche Marine-Chef Schönbach verneint am 22.1. eine Bedrohungslage durch Russland und bezeichnet eine Rückkehr der von Russland annektierten Halbinsel Krim in das ukrainische Staatsgebiet als unrealistisch. Am darauffolgenden Tag tritt er von seinem Amt zurück. – Im Zuge des Rücktritts äußert sich Andrij Melnyk, ukrainischer Botschafter in Deutschland, am 23.1. empört über die Aussagen Schönbachs. Sie hinterließen einen „Scherbenhaufen“, „die Verlässlichkeit Deutschlands“ stünde in Frage. – Am 24.1. ziehen die USA und das Vereinigte Königreich einen Teil ihres Botschaftspersonals aus Kiew ab. – Erstmals seit 2019 finden am 26.1. in Paris wieder Gespräche im Rahmen des Normandie-Formats zwischen Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine statt. – Am 31.1. befasst sich auch der UN-Sicherheitsrat mit der Situation. Der russische UN-Botschafter Nebensja schließt in seiner Rede einen militärischen Angriff seitens Russlands auch für den Fall aus, dass die Nato auf die Forderung nach Sicherheitsgarantien nicht eingeht.

2.1. – Kasachstan. Tausende Menschen protestieren gegen den rasanten Anstieg des Gaspreises.  – Am 5.1 kündigt die Regierung mit Verweis auf die Proteste ihren Rücktritt an. Präsident Kassym-Schomar Tokajew bleibt im Amt. Im Zuge der sich ausbreitenden Aufstände, die auch die Millionenmetropole Almaty erreicht haben, fordert Tokajew Unterstützung durch das von Russland geführte Militärbündnis OVKS an, die ersten OVKS-Truppen treffen bereits am Folgetag ein. Er entlässt den ehemaligen Präsidenten Nur-Sultan Nasarbajew als Chef des kasachischen Sicherheitsrates und übernimmt dessen Amt. – Am 8.1. erklärt Präsident Tokajew „ausländische Terroristen“ zu den Strippenziehern der Aufstände. Die Sicherheitskräfte kontrollieren das Geschehen, die Zahl der Demonstrierenden nimmt stark ab. – Am 19.1. verlassen die letzten OVKS-Kräfte Kasachstan. Laut Regierungsangaben starben während der vergangenen Wochen 225 Menschen. Der Ausnahmezustand wird landesweit aufgehoben.

5.1. – Bundesregierung. Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen), wird erster Queer-Beauftragter der Bundesregierung. – Am 17.1. legt Bundesjustizminister Buschmann (FDP) einen Entwurf zur Abschaffung von Paragraph 219a StGB vor. Um den Paragrafen, der „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, wird seit Jahren politisch gestritten. Kritiker sehen durch ihn die erforderliche Aufklärungs- und Informationsmöglichkeit von Schwangeren gefährdet.

9.1. – Bundespräsident. Die Linkspartei nominiert Gerhard Trabert für die Wahl des Bundespräsidenten am 13. Februar. Der aus Mainz stammende Trabert engagiert sich als Mediziner und Sozialpädagoge besonders für die Versorgung von Obdachlosen und finanziell schwächer gestellter Menschen und erhielt für sein Engagement bereits das Bundesverdienstkreuz. – Am 24.1. nominiert die AfD den Vorsitzenden der „Werteunion“, Max Otte, CDU-Mitglied, als Kandidat für die Bundespräsidentenwahl, der die Kandidatur am Tag darauf annimmt. Im Anschluss entzieht ihm der CDU-Parteivorstand seine Mitgliederrechte und leitet zudem ein Parteiausschlussverfahren ein. Der scheidende CDU-Vorsitzende Laschet bezeichnet Ottes Entscheidung, die Kandidatur anzunehmen, als „Schande“. Otte tritt als Vorsitzender der Werteunion zurück und kündigt das Ende seiner politischen Laufbahn nach der Bundespräsidentenwahl an. – Am 25.1. nominiert eine breite Koalition aus SPD, Union, Grünen und FDP den amtierenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) für eine weitere Amtszeit. Seine Wiederwahl durch die Bundesversammlung gilt als sicher.

        – Niederlande. Mark Rutte wird als Ministerpräsident der Niederlande vereidigt. Der 54jährige liberale Politiker geht damit in seine vierte Amtszeit. Im Januar 2021 war die niederländische Regierung unter seinem Vorsitz aufgrund eines Skandals um Kindergeld-Zuschüsse geschlossen von ihren Ämtern zurückgetreten, woraufhin im März 2021 Neuwahlen stattfanden. Bei den anschließenden Koalitionsverhandlungen konnte die Viererkoalition aus Ruttes Volkspartei für Freiheit und Demokratie, der Partei Christlich-Demokratischer Aufruf, der ChristenUnion und der Partei Democraten 66 erneuert werden. Rutte regiert seit 2010.

13.1. – Kriegsverbrechen. Das Oberlandesgericht Koblenz verurteilt den ehemaligen syrischen Geheimdienstmitarbeiter Anwar R. zu einer lebenslangen Haftstrafe. Der 58jährige wird u.a. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 27fachen Mordes, gefährlicher Körperverletzung in 25 Fällen und besonders schwerer Vergewaltigung schuldig gesprochen. Er soll zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs in den Jahren 2011 und 2012 mehr als 4000 Folterungen verantwortet haben. Damit endet der weltweit erste Prozess über staatliche Folter im syrischen Bürgerkrieg.

15.1. – Tonga. Ein massiver Ausbruch des pazifischen Unterseevulkans Hunga Tonga Hunga Ha’apai löst einen Tsunami aus, der zahlreiche Inseln des Königreichs Tonga verwüstet und noch an der Küste Amerikas zu spüren ist. Er zählt zu den weltweit stärksten Vulkanausbrüchen seit Jahrzehnten.

        – Türkei. Die deutsche Journalistin Mesale Tolu wird durch ein Istanbuler Gericht nach einem mehr als vierjährigen Prozess von den Vorwürfen der Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation freigesprochen. Tolu wurde im April 2017 in Istanbul festgenommen und war anschließend über sieben Monate lang inhaftiert. Nach ihrer Freilassung im Dezember 2017 und der Aufhebung ihrer Ausreisesperre verließ sie die Türkei im August 2018 und kehrte nach Deutschland zurück.

18.1. – Indonesien. Das Parlament stimmt einem Regierungsplan zum Bau einer neuen Hauptstadt auf dem indonesischen Teil der Insel Borneo zu. Die neue Hauptstadt soll den Namen Nusantara bekommen und umgerechnet rund 28 Mrd. Euro kosten. Die derzeitige Hauptstadt Jakarta, deren Metropolregion etwa 35 Millionen Einwohner hat, liegt teilweise unterhalb des Meeresspiegels und droht im Meer zu versinken. Bereits heute kommt es dort regelmäßig zu Überschwemmungen.

20.1. – Katholische Kirche. Dem emeritierten Papst Benedikt XVI. (bürgerlich Joseph Ratzinger) wird in einem umfangreichen Gutachten zu Fällen sexuellen Missbrauchs während seiner Zeit als Erzbischof (1977-1982) fehlerhaftes Verhalten in vier Fällen vorgeworfen. Das Gutachten war durch das Erzbistum München und Freising in Auftrag gegeben worden und untersuchte Missbrauchsfälle an Kindern und Jugendlichen zwischen 1945 bis 2019. Es gebe Hinweise auf mindestens 497 Opfer sexualisierter Gewalt. Ratzinger gab zunächst an, einer Ordinariatssitzung nicht beigewohnt zu haben, auf der über einen des Missbrauchs beschuldigten Priester gesprochen wurde. – Am 24.1. korrigiert er seine Aussage und kündigt eine ausführliche Stellungnahme an.

        – Österreich. Der Nationalrat verabschiedet mit großer Mehrheit die Einführung einer allgemeinen SARS-CoV-2-Impfpflicht. Die rechte FPÖ-Fraktion stimmt als einzige geschlossen gegen das Gesetz. Die beschlossene Impfpflicht soll grundsätzlich für alle volljährigen Personen mit Wohnsitz in Österreich gelten und nach einer erforderlichen Zustimmung durch den Bundesrat bereits Anfang Februar in Kraft treten. Österreich ist damit der erste EU-Mitgliedsstaat, der eine allgemeine Impfpflicht beschließt.

22.1. – CDU. Die Delegierten eines digital abgehaltenen Parteitags wählen Friedrich Merz mit mehr als 94,6 Prozent zum neuen CDU-Vorsitzenden. Bereits im Dezember hatten sich über 62 Prozent der Parteimitglieder in einer Basisabstimmung für ihn als Amtsnachfolger des bisherigen Vorsitzenden Armin Laschet ausgesprochen. Zum neuen Generalsekretär wird Mario Czaja gewählt, der somit auf Paul Ziemiak folgt. – Am 31.1. wird das Ergebnis durch die erforderliche Briefwahl final bestätigt.

24.1. –  Großbritannien. Der High Court of Justice in London entscheidet, dass WikiLeaks-Gründer Julian Assange gegen seine Auslieferung an die USA vor dem Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs Berufung einlegen darf. Zuvor hatte ein Berufungsgericht das zuvor erteilte Auslieferungsverbot von Assange gekippt.

        – Burkina Faso. Militärkräfte übernehmen durch einen Putsch die Macht und setzen die bisherige Regierung von Präsident Kaboré ab. Die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union verurteilen den Staatsstreich; sowohl die Europäische Union als auch die USA fordern die Freilassung des erstmals 2015 gewählten Kaboré. Als Grund für den Putsch nennen Beobachter den vom Militär als gescheitert angesehenen Kampf der Regierung gegen islamistische Milizen. – Am 31.1. setzt die Afrikanische Union die Mitgliedschaft Burkina Fasos im Staatenbund aus. Erst wenn das Land wieder zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückkehre, würde die Mitgliedschaft wieder aktiviert.

28.1. – AfD. Der langjährige Parteichef Jörg Meuthen tritt von seinem Amt zurück und aus der AfD aus. Er begründet seinen Schritt mit der „heute sehr weit rechten“ Ausrichtung der Partei. Bereits im Herbst hatte er angekündigt, nicht erneut als Bundesvorsitzender kandidieren zu wollen.

29.1. – Bündnis 90/Die Grünen. Die Delegierten des digitalen Parteitags wählen Omid Nouripour und Ricarda Lang zu den neuen Parteivorsitzenden. Nouripour erreicht 82,5 % der Stimmen, Lang 75,9 %. Sie folgen damit auf Robert Habeck, seit Dezember Bundeswirtschaftsminister, und die neue Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die beide gemäß Parteisatzung nicht erneut als Vorsitzende kandidieren durften. Das Abstimmungsergebnis muss formal noch per Briefwahl bestätigt werden.

        – Italien. Sergio Mattarella wird als Staatspräsident Italiens wiedergewählt. Obwohl er eine zweite Amtszeit zuvor ausgeschlossen hatte, erklärte sich Mattarella nach sieben gescheiterten Wahlgängen für eine Fortführung seines Amtes bereit. Die Regierung von Ministerpräsident Draghi kann ihre Arbeit somit fortsetzen.

30.1. – Portugal. Bei den Parlamentswahlen kann die regierende Sozialistische Partei (PS) von Ministerpräsident Costa 41,6 % der Stimmen auf sich vereinigen. Die sozialdemokratisch ausgerichtete Partei stellt mit 117 von 230 Abgeordneten künftig die absolute Mehrheit.

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