Ausgabe Mai 2022

Chronik des Monats März 2022

1.3. – Krieg in der Ukraine. Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums berichtet, dass die russische Armee die Kontrolle über den Küstenstreifen zwischen der Krim und Russlands Festland am Asowschen Meer eingenommen hat. Amnesty International wirft Russland den Einsatz international geächteter Streumunition vor. Im UN-Menschenrechtsrat verlassen zahlreiche Diplomaten den Sitzungssaal, als der russische Außenminister Sergej Lawrow zu seiner Rede ansetzt. Die Ukraine reicht beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eine Völkermordklage gegen Russland ein. – Am 2.3. erklären sich der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank bereit, der Ukraine zusätzliche Finanzhilfen in Milliardenhöhe zukommen zu lassen. Mit Cherson nimmt die russische Armee am 3.3. die erste ukrainische Großstadt ein. Mittlerweile sind laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine geflohen. Der Internationale Strafgerichtshof leitet Ermittlungen gegen Russland ein. Grund seien schwerwiegende Verdachtsmomente auf Kriegsverbrechen. In einem offenen Brief richten 7000 russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Appell gegen den Krieg. Die Bundesregierung kündigt an, weitere 2700 Flugabwehrraketen an die Ukraine zu liefern. Sie stammen aus alten Beständen der Nationalen Volksarmee der DDR. Das russische Parlament verabschiedet am 4.3. ein neues Medien-Gesetz, nach dem sogenannte Falschnachrichten über den Krieg gegen die Ukraine mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden können. BBC, CNN und später weitere ausländische Nachrichtensender stellen ihre Berichterstattung in Russland ein. Die USA und Russland richten eine Hotline ein, um militärische Zwischenfälle zu vermeiden, die eventuell zu einer Kriegsbeteiligung der USA führen würden. Facebook und Twitter werden von der russischen Regierung gesperrt. Das Welternährungsprogramm WFP warnt am 5.3. vor Hungersnöten, die sowohl in der Ukraine selbst als auch weltweit drohen. Die westlichen Sanktionen gegenüber Russland glichen einer „Kriegserklärung“, so Präsident Putin in einer Rede vor Piloten einer staatlichen Fluggesellschaft. – In Russland werden am 6.3. bei kriegskritischen Protesten, zu denen der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny aufgerufen hatte, 4400 Menschen festgenommen. – Am 7.3. verlassen die letzten OSZE-Beobachter die Ukraine. Kurz zuvor war eine Beobachterin in Charkiw durch Beschuss gestorben. Die EU will ihre Gas-Einfuhren aus Russland bis Ende des Jahres 2022 um zwei Drittel herunterfahren. Zudem plant die Europäische Kommission einen „Pakt für erneuerbare Energien“, um „deutlich vor 2030“ unabhängig von russischen Energieträgern zu werden. Die USA und Großbritannien verhängen einen sofortigen Rohöl-Importstopp aus Russland. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verkündet am 8.3. neue Sanktionen gegen Russland. Dazu zählen ein Verbot der Ausfuhr von Schifffahrtsausrüstung, der Ausschluss dreier belarusischer Banken aus dem Zahlungssystem SWIFT sowie das Einfrieren weiterer Vermögenswerte von Personen, die dem russischen Regime nahestehen. – Am 11.3. genehmigt der US-Senat den Haushalt inklusive der Hilfsleistungen für die Ukraine: 14 Mrd. US-Dollar sind dafür vorgesehen. Auf einem EU-Gipfel in Versailles kündigen die Vertreter an, weitere Hilfszahlungen an die Ukraine zu leisten. – Am 13.3. protestieren erneut über 100 000 Menschen in deutschen Großstädten gegen den Krieg. Russland beschränkt vom 14.3. zunächst befristet bis Ende Juni Getreideexporte in nicht-genehme Länder. In Norwegen startet das Nato-Manöver „Cold Response“, an dem rund 30 000 Soldaten teilnehmen. – Am 15.3. reisen die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien mit dem Zug in das belagerte Kiew, um Präsident Selenskyj ihre Solidarität auszudrücken. – Bei einer Sondersitzung der Nato-Verteidigungsminister am 16.3. wird die erhöhte Alarmbereitschaft mehrerer hunderttausender Nato-Soldaten als Reaktion auf den russischen Krieg bekanntgegeben. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag, das höchste UN-Gericht, fordert Russland nach einem Eilantrag der Ukraine auf, den Krieg gegen die Ukraine umgehend zu beenden. – Am 17.3. spricht Selenskyj per Videoschalte im Bundestag. Er fordert Bundeskanzler Scholz auf, die Ukraine entschlossener zu unterstützen. In einer Erklärung der G7-Staaten werden die „wahllosen Angriffe auf Zivilisten“ durch das russische Militär verurteilt. Alle für Kriegsverbrechen Verantwortlichen würden zur Verantwortung gezogen werden. – Am 24.3. beantragt das Bundesverteidigungsministerium unter Christine Lambrecht (SPD) beim Bundessicherheitsrat die Ausfuhrgenehmigung für weitere 2000 Panzerfäuste in die Ukraine. Bei einem Nato-Gipfel beschließen die Mitgliedstaaten, die Ostflanke des Bündnisses zu verstärken: vier Kampfverbände werden deswegen zusätzlich in die Slowakei, nach Bulgarien, Rumänien und Ungarn entsandt. In einer Grundsatzrede verkündet US-Präsident Biden am 26.3. in Warschau bezüglich Putin: „Dieser Mann darf nicht bleiben.“ Kurz darauf heißt es aus dem Weißen Haus, ein Regime-Change in Moskau sei nicht Ziel der USA. Anlässlich der Vorstellung des Jahresberichts wirft Amnesty International Russland am 29.3. Kriegsverbrechen sowie Verletzungen des Völkerrechts im Krieg gegen die Ukraine vor. Nach Verhandlungen in der Türkei sind beide Kriegsparteien vorsichtig optimistisch gestimmt. – Am 31.3. sind laut UNHCR mittlerweile vier Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen.

2.3. – USA. US-Präsident Joe Biden hält vor dem Kongress seine erste diesjährige Rede zur Lage der Nation. Zentrale Themenpunkte sind der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Corona-Pandemie und die wirtschaftliche Lage der Vereinigten Staaten. Im Zug seiner Rede bezeichnet Biden Wladimir Putin als „russischen Diktator“.

3.3. – EU. Die Regierungen der Länder Georgien und Moldau stellen einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft. Auch die Ukraine hatte bereits Ende Februar einen Aufnahme-Antrag gestellt. Die Anträge werden ab dem 7.3. offiziell von der EU geprüft.

4.3.  – China/Russland. Im Rahmen der Jahrestagung des chinesischen Volkskongresses spricht der chinesische Außenminister Wang Yi von einer „unanfechtbaren Freundschaft“ zwischen Russland und China, als er auf mögliche Sanktionen von chinesischer Seite gegenüber Russland angesprochen wird. – Am 30.3. erklärt der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Wang Wengbin bei einem Treffen mit dem russischen Außenminister Lawrow, dass die Zusammenarbeit zwischen Russland und China „keine Grenzen“ habe.

        – Pakistan. Im Nordwesten Pakistans verüben zwei Attentäter der Terrororganisation IS einen Selbstmordanschlag. Bei dem Bombenanschlag auf eine schiitische Moschee verlieren laut örtlichen Polizeiangaben 50 Menschen ihr Leben.

8.3. – Nigeria. Bei bewaffneten Auseinandersetzungen im Bundesstaat Kebbi sterben laut lokalen Behörden 81 Menschen. Ziel der Angriffe war der Gouverneur des Bundesstaates, der jedoch überlebte.

9.3. – Bundesregierung. Der Anwalt Mehmet Daimagüler, Nebenkläger im NSU-Prozess, wird zum Beauftragten gegen Antiziganismus ernannt.

        – Südkorea. Yoon Suk-yeol wird zum Präsidenten des Landes gewählt. Der Kandidat der Opposition gehört der konservativen Partei an.

        – Australien. Die Regierung ruft den nationalen Notstand aus, um den Opfern der Flutkatastrophe unbürokratisch helfen zu können. In Folge der anhaltenden Unwetter und massiven Überflutungen müssen 60 000 Menschen ihre Häuser verlassen. 13 Menschen sterben.

10.3. – Russland. Die Regierung leitet ein Verfahren zum Austritt aus dem Europarat ein. Mit diesem Schritt tritt die Russische Föderation gleichzeitig aus der Europäischen Menschenrechtskonvention aus. – Am 18.3. feiert Präsident Putin vor Anhängern im Luschniki-Stadion in Moskau den achten Jahrestag der Krim-Annexion (18. März 2014) und lobt die Armee für ihren „heldenhaften Einsatz“: „Wir wissen, was wir tun müssen, wie wir es tun müssen und zu welchem Preis. Und wir werden auf jeden Fall alle unsere Pläne verwirklichen.“ Es gehe darum, die Menschen von einem „Völkermord“ zu befreien. „Das ist der Hauptgrund, der Beweggrund und der Zweck der Militärischen Spezialoperation, die wir im Donbas und in der Ukraine eingeleitet haben.“ – Am 22.3. erläutert Kreml-Sprecher Peskow in einem auf Englisch geführten Interview mit dem US-Nachrichtensender CNN die Ziele der russischen „Militärischen Spezialoperation“. Zunächst wolle man das ukrainische Militär dezimieren. Alles verlaufe „streng nach Plan“, doch die Ziele seien „noch nicht“ erreicht. Die Ukraine müsse anerkennen, dass die von Moskau 2014 annektierte Schwarzmeerhalbinsel Krim künftig ein „unverrückbarer Teil Russlands“ sei und dass die Separatistenregionen im Osten jetzt „unabhängige Staaten“ seien. Auf eine entsprechende Frage antwortet Peskow, dass Atombomben gemäß der bekannten russischen Sicherheitsdoktrin nur eingesetzt würden, wenn eine „existenzielle Bedrohung“ des Landes bestehe. Alexej Nawalny wird wegen angeblicher Veruntreuung und Beleidigung zu neun Jahren Lagerhaft verurteilt. – Am 23.3. wirft der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew, Vitali Klitschko, den russischen Truppen einen „Genozid“ vor. Klitschko äußert sich in einem Videobeitrag mit der Kiewer Partnerstadt München.

11.3. – Chile. Der progressive Staatspräsident Gabriel Boric und sein Kabinett treten drei Monate nach der Wahl ihre Ämter an. Mit dem Machtwechsel verbinden viele Menschen die Hoffnung auf eine sozialere und ökologischere Politik im stark neoliberal geprägten Land.

12.3. – Turkmenistan. Serdar Berdimuhamedow gewinnt die Präsidentschaftswahl in Turkmenistan. Er beerbt damit seinen Vater. Auf eine Wahlbeobachtung verzichtete die OSZE, da die Wahlen im autoritär regierten Staat in keinem Fall „frei und fair“ seien.

13.3. – Kolumbien. Der „Pacto Histórico“, ein linkes Wahlbündnis, gewinnt die Parlamentswahl. Ihr Kandidat, Gustavo Pedro, gilt als Favorit für das Präsidialamt.

14.3. – Australien/Niederlande. Die Regierungen der beiden Länder leiten gemeinsam bei der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) in Montreal (Kanada) ein Verfahren gegen Russland ein. Russland wird vorgeworfen, verantwortlich für den Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 zu sein. Das Flugzeug war am 17. Juli 2014 über der Ukraine abgeschossen worden, fast 360 Menschen starben. Die meisten Opfer stammten aus den Niederlanden und Australien (vgl. „Blätter“, 9/2014, S. 126).

        – Honduras. Ein Verfahren des Obersten Gerichtshofes von Honduras genehmigt die Auslieferung des ehemaligen Präsidenten des Staates, Juan Orlando Hernández, an die USA.

22.3. – Japan/Russland. Nachdem sich die japanische Regierung den Sanktionen gegen Russland angeschlossen hatte, kündigt die Russische Föderation die Verhandlungen zur Lösung des Gebietskonflikts um die Kurilen-Inselkette auf.

24.3. – UNO. Die UN-Vollversammlung verlangt in einer Resolution ein Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine, den sofortigen Abzug russischer Truppen und benennt Russland als Aggressor. Die Resolution wird bei 140 Ja-, 5 Neinstimmen (Belarus, Eritrea, Nordkorea, Russland, Syrien) und 38 Enthaltungen – darunter China, Südafrika und Indien – angenommen.

        – Somalia. Im Vorfeld der verschobenen Präsidentschaftswahlen kommt es zu Terroranschlägen durch die Al-Shabaab-Miliz. 48 Menschen sterben, 108 weitere werden verletzt.

26.3. – Malta. Die regierende Labour-Partei gewinnt die Parlamentswahl im kleinsten Mitgliedstaat der EU. Ministerpräsident Robert Abela wird somit im Amt bestätigt. Abela kann einen deutlichen Vorsprung beim Wahlergebnis für sich beanspruchen, die Wahlbeteiligung war jedoch mit 85,5 Prozent historisch niedrig.

27.3. – Saarland. Der amtierende Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) wird abgewählt. Die SPD mit der Spitzenkandidatin Anke Rehlinger erlangt eine absolute Mehrheit, während Grüne und FDP knapp an der Fünfprozenthürde scheitern. Auch die Linkspartei verpasst den Einzug. Im Parlament sind folglich nur SPD, CDU und AfD vertreten. Die Wahlbeteiligung sank auf 61,4 (2017: 69,7) Prozent. Nach dem amtlichen Endergebnis entfallen auf die sechs relevanten Parteien (Angaben in Prozent): SPD 43,5 (2017: 29,6), CDU 28,5% (40,6), AfD 5,7% (6,2), Bündnis 90/Die Grünen 4,9% (4), FDP 4,8% (3,3), Linke 2,6% (12,8). Den Grünen fehlen mit 4,99502 Prozent nur 23 Stimmen. Die Zusammensetzung des neuen Landtages (51 Abgeordnete): SPD 29 (17), CDU 19 (24), AfD 3 (3). (Zu den Ergebnissen der Landtagswahl vom 26. März 2017 vgl. „Blätter“, 5/2017, S. 127.)

30.3. – Portugal. Der portugiesische Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa vereidigt die dritte Regierung unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten António Costa in Lissabon. Das Kabinett wird erstmals mehrheitlich weiblich besetzt.

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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