Ausgabe Januar 1995

Auf der linken Seite des deutschen Sonderwegs

Hebt man in diesem Winter einige auf dem Weg liegende „Blätter" aus dem letzten Jahr auf, so stellt man fest: Die neue Zuwendung zum okzidentalen Universalismus wird nicht angemessen als Damaskus aufgefaßt, sie bleibt äußerlich und geht nicht mit der nötigen Revision linker Denkgewohnheiten einher. Nach wie vor soll der Staat zugunsten des Volkes entmachtet werden, nach wie vor steht Hobbes im Gegensatz zu Rousseau in schlechtem Licht, nach wie vor herrscht materialistische Metaphysikfurcht mit der Wirkung, daß Sprache und Prozedur substantiellen Inhalten vorgezogen werden, nach wie vor wird der philosophische Dualismus zwischen der Realität und einer davon unabhängigen normativen Ordnung abgelehnt und der den deutschen Sonderweg kennzeichnende Monismus weitergeführt.

Vom Bock zum Gärtner

Gegenüber dem Angriff der jungen Rechten formiert sich bei den alten Linken ein Selbstbewußtsein, das den Begriff Selbstanerkennung verwendet. Man will mit diesem von Golo Mann in den 60er Jahren geprägten Begriff zur Würdigung der republikanischen Leistung der Bundesrepublik auffordern und einer Erscheinung vorbeugen, die man Weimarisierung nennt: der Distanzierung der geistigen Oberschicht von der demokratischen Staatsform. Nicht zufällig hat man einen Begriff gewählt, der sich auf die „alte Bundesrepublik" bezog.

Januar 1995

Sie haben etwa 29% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 71% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo