Frankreich ist anders. Da schreibt einer der führenden französischen Soziologen einen „Lettre à Lionel, Michel, Jacques, Martine, Bernard, Dominique ... et vous“, wendet sich also mit einem „Brief“ an die Köpfe der französischen Sozialdemokratie (Jospin, Rocard, Delors, Aubry u.a.) – und liefert eine hundertseitige Abhandlung über „die Erfindung einer anderen Linken“. Diesen „Brief“ findet man überall in Frankreich, auch in Kaufhausregalen, Ende 1995 und Anfang 1996 erlebt die Schrift (Librairie Arthème Fayard, Paris) kurz hintereinander zwei Auflagen. Ungewöhnlich ist auch, was Touraine als Aufgabe – ausgerechnet? – der Linken identifiziert: „Wiederzuvereinigen, was getrennt wurde“ (S.83). Und das bedeutet? „Einige der besten Köpfe dieses Jahrhunderts, insbesondere Jürgen Habermas, haben die Krise der heutigen Gesellschaft als Zerstörung der Lebenswelt durch das strategische Handeln, das ich lieber als instrumentelle Rationalität bezeichne, definiert. Ich mißtraue dieser einseitigen Verurteilung. Wir brauchen technische Rationalität ebenso wie kulturelles Gedächtnis; vor allem darf man nicht, wie seit Tönnies so oft geschehen, die Gesellschaft der Gemeinschaft und den Wandel der Ordnung entgegensetzen: wir müssen wiedervereinigen, was auseinandergerissen wurde.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.