Ausgabe Januar 2009

TV-Erziehung à la carte

Natascha und ihre kleine Tochter hocken auf dem Wohnzimmerboden eines backsteinernen Reihenhäuschens im nordenglischen Rotherham. Mit den Fingern picken sie fettige Kebabstückchen aus Styroporschachteln. Die holt Natascha vom Takeaway-Shop, Tag für Tag. Das verschlingt ihre kärglichen Sozialhilfebezüge. Takeaway-Shops gibt es viele hier, Arbeit und Perspektiven hingegen sind rar, seit der große Streik gegen Thatchers Zechenschließungen 1985 verloren ging.

Natascha hat Sorgen, Schulden und einen riesigen Fernseher. Und sie hat nie kochen gelernt. Doch ein Entwicklungshelfer naht. Der Londoner TV-Koch Jamie Oliver rauscht mit seinem Landrover vorbei an Industrieschloten, die längst nicht mehr qualmen. Er will der jungen Mutter zeigen, wie man Spaghetti mit Fleischklößchen kocht. Das wird ihr Leben verändern, verspricht der Multimillionär.

Zuletzt hatte der bereits zur Popstar-Ikone avancierte Koch mit einer Kampagne für gesundes Schulessen für Furore gesorgt – nun diskutierte Großbritannien über seine neue Reality-TV-Serie „Jamie’s Ministry of Food“. Ganz unverhohlen will der Name des Vierteilers an das ursprüngliche „Ministry of Food“ erinnern, das den Menschen während der Jahre des Mangels im Zweiten Weltkrieg erklärte, wie man Suppen aus Gemüseschalen kredenzt.

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