Terra incognita Oder: Mit dem Westen über den Westen hinausdenken
Antiamerikanismus hat mit der wirklichen amerikanischen Gesellschaft nichts zu tun. Das antiamerikanische Urteil basiert vielmehr auf dem Gerücht über Amerika. Die zentrale These, die im Folgenden deshalb auch vertreten wird, ist die, daß der Antiamerikanismus Folge einer kollektiven Ich-Schwäche ist. Die antiamerikanische Haltung dient vor allem dazu, bei der Suche nach der eigenen deutschen Identität zu helfen.
Die permanente Beschäftigung mit sich selbst hat also zur Voraussetzung, daß noch keine Identität ausgebildet ist. Es wäre auch ein Irrtum zu glauben, daß das neue Deutschland nach der Vereinigung eine solche Identität gefunden hätte. Die Tatsache, daß mittlerweile nicht nur antiamerikanische Ressentiments, sondern auch antiwestliche Haltungen insbesondere in intellektuellen Kreisen en vogue sind, läßt vielmehr vermuten, daß die Zeitreise der Deutschen nicht beendet ist, sondern vielleicht ewiger Anfang bleiben könnte.
In einer Art kurzer Phänomenologie wollen wir den Metamorphosen des Antiamerikanismus nachgehen. Dabei wird deutlich, daß das antiamerikanische Ressentiment keineswegs die Wiederkehr des Immergleichen bedeutet. Vielmehr kommt dem Antiamerikanismus zu verschiedenen Zeiten verschiedene Funktion zu. Erst sehr spät erlebt dann der Antiamerikanismus seine jüngste Wandlung: das Unvermögen, den Westen zu verstehen.