"Tangentopoli" - von tangenti, Schmiergelder - hieß in der italienischen Öffentlichkeit schon früh die Affäre, die in der ersten Hälfte der 90er Jahre im Gefolge staatsanwaltlicher Korruptionsaufklärung das Parteiensystem des Landes durcheinanderwirbelte und zum Untergang der Democrazia Cristiana ebenso wie der von ihr dominierten Ersten Republik führte. Gewiß, Deutschland ist nicht Italien und die CDU keine Democrazia Cristiana. Das deutsche Tangentopoli bleibt auch im dritten oder vierten Monat "brutalstmöglicher Aufklärung" (Roland Koch) namenlos. Aber läßt sich überhaupt begreifen, was sich da abspielt, solange das Stück nicht einmal seinen Titel hat? Parteispendenaffäre? Harmloser geht es kaum. Was da unter dem gefälligen Etikett "Spenden" gehandelt wird, beschäftigt mittlerweile Staatsanwaltschaften und Untersuchungsausschüsse als Verfassungs- und Gesetzesbruch, als Fälschung von Finanzberichten, Führung schwarzer Konten, Geldwäsche, Belügen der Öffentlichkeit… Wer eine erste Bilanz ziehen will, stößt auf mehr Fragen als Antworten, auf Chancen, die "handhabbar" gemacht, und Risiken, die präziser bezeichnet werden müssen. Wir haben eine Reihe namhafter Persönlichkeiten aus Politik-, Rechts- und Sozialwissenschaft zu klärenden Stellungnahmen* eingeladen. - D. Red. * Der Einladung waren einige Fragen beigefügt, deren Beantwortung die Mehrzahl der folgenden Beiträge mittelbar strukturiert. Verkürzt lauten sie: 1.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.