Ausgabe November 2018

Chronik des Monats September 2018

1.9. – Brasilien. Der frühere Präsident Lula da Silva (2003 bis 2010), der sich erneut um das höchste Staatsamt bewirbt, wird per Gerichtsbeschluss von den Präsidentschaftswahlen im Oktober d.J. ausgeschlossen. Lula, Kandidat der Linkspartei Partido dos Trabalhadores (PT), war unter dem Vorwurf der Korruption in zweiter Instanz verurteilt worden.

        – Nicaragua. Auf Druck der Regierung von Präsident Ortega müssen die Beobachter der UN-Menschenrechtskommission das Land verlassen. Nach kritischen Berichten über die Niederschlagung von Protesten in Nicaragua hatte Ortega das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte als ein „Instrument von Terrorpolitik, Lüge und Niedertracht“ bezeichnet, dessen Berichte seien parteiisch und einseitig. Überhaupt seien die Vereinten Nationen ein „Werkzeug der Mächtigen und ihrer Todespolitik“.

        – Sachsen. Nach dem Tod eines jungen Mannes bei Auseinandersetzungen am Rande eines Stadtfestes in Chemnitz in der Vorwoche kommt es in der sächsischen Stadt zu einer Großdemonstration rechtsextremer und fremdenfeindlicher Gruppen. Dabei gehen Pegida, Pro Chemnitz und Teile der AfD gemeinsam auf die Straße. Kirchen, Parteien und Gewerkschaften hatten zu Gegenkundgebungen aufgerufen.

2.9. – Syrienkonflikt. Der iranische Außenminister Zarif teilt während eines Aufenthalts in Damaskus mit, sein Land werde die syrische Führung bei dem erwarteten Großangriff auf die Rebellenhochburg Idlib unterstützen. „Wir müssen die restlichen Terroristen in Teilen Idlibs bekämpfen.“ – Am 4.9. nimmt die russische Luftwaffe nach wochenlanger Feuerpause ihre Angriffe auf die Provinz Idlib wieder auf. Kampfjets bombardieren mehrere Ortschaften. – Vom 6.-7.9. konferieren der Iran, Russland und die Türkei auf einem Gipfel in Teheran über die Lage. – Am 17.9. einigen sich die Präsidenten Putin (Russland) und Erdogan (Türkei) bei einer Zusammenkunft in Sotschi auf ein gemeinsames Vorgehen. Entlang der Konfliktlinie in Idlib soll eine demilitarisierte Zone gebildet werden, beide Staaten wollen die Sicherheit in dieser Pufferzone garantieren. Die syrische Regierung in Damaskus begrüßt die Einigung. – Am 27.9. fordern die Außenminister von sieben Staaten in einer Erklärung die Vereinten Nationen auf, umgehend einen Verfassungskonvent zu organisieren, um eine neue Verfassung für das Bürgerkriegsland Syrien als „Grundlage für freie und faire Wahlen unter UN-Aufsicht“ auszuarbeiten. An der Initiative sind Ägypten, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Jordanien, Saudi-Arabien und die USA beteiligt.

3.9. – USA. Präsident Trump übt Kritik an Justizminister Sessions. Der Minister hatte zwei Kongressabgeordnete, die den Republikanern, der Partei des Präsidenten angehören, wegen Finanzkriminalität unter Anklage gestellt. In den Medien wird Trump die erneute Einmischung in das Justizsystem vorgeworfen. – Am 7.9. übt der frühere Präsident Obama zwei Monate vor den Kongresswahlen scharfe Kritik an seinem Nachfolger. In einer Rede im Bundesstaat Illinois fordert Obama die Amerikaner auf, Trump bei den Zwischenwahlen abzustrafen.

5.9. – Naher Osten. Das Oberste Gericht Israels gibt Grünes Licht für den Abriss eines Beduinendorfes im besetzten Westjordanland. Die Siedlung Khan al-Ahmar hat rund 170 Einwohner. – Am 26.9. lässt US-Präsident Trump im Gespräch mit Israels Regierungschef Netanjahu am Rande der UN-Generalversammlung in New York seine Unterstützung für eine Zwei-Staaten-Lösung im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern erkennen. Er wolle in „zwei, drei oder vier Monaten“ einen Friedensplan für den Nahen Osten vorlegen. Die amerikanische Regierung hatte zuvor die Schließung der PLO-Vertretung in Washington angeordnet und mehrfach die Finanzhilfen für die Palästinenser gekürzt, darunter für sechs Spitäler in Ostjerusalem. Dies sei keine Formel, um Frieden zu schaffen, sondern eine völlig unmenschliche und unmoralische Handlung, heißt es bei der Autonomiebehörde in Ramallah.

7.9. – USA/BRD. Der amerikanische Botschafter Grenell kündigt in Berlin die Entsendung von zusätzlich 1500 Soldaten nach Deutschland an, wo derzeit schon 34 800 US-Militärs stationiert sind. Die neuen Einheiten würden bis 2020 in die Bundesrepublik verlegt. Bundesverteidigungsministerin von der Leyen begrüßt die Truppenaufstockung als willkommenes Zeichen für die Vitalität der transatlantischen Beziehungen.

8.9. – Griechenland. Regierungschef Tsipras kündigt für die kommenden Jahre eine stufenweise Erhöhung des Mindestlohns und der Renten sowie eine Senkung der Steuern an. Die Reformen müssten jedoch fortgesetzt und Investitionen verstärkt werden. Man sei entschlossen, alle den Gläubigern gegebenen Zusicherungen einzuhalten. Nach dem Ausscheiden Griechenlands aus dem „Rettungsschirm“ der Euro-Gruppe hatte sich Tsipras am 21.8. im Fernsehen an seine Landsleute gewandt und von einem „Tag der Erlösung“ und einem Neuanfang gesprochen.

9.9. – Schweden. Bei den Parlamentswahlen muss die Minderheitsregierung von Sozialdemokraten (SAP) und Grünen (MpG) Verluste hinnehmen. Die Sozialdemokraten von Regierungschef Stefan Löfven erzielen das schlechteste Resultat seit 100 Jahren, bleiben aber knapp stärkste Partei. Die Schwedendemokraten (SD), die als „rechtsaußen“ gelten, können zulegen. Löfven bleibt zunächst geschäftsführend im Amt, wird aber am 29.9. durch ein Misstrauensvotum im Parlament gestürzt.

10.9. – UNO. Die neue Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet (vgl. „Blätter“, 10/2018, S. 126), äußert sich in ihrer Antrittsrede vor dem Menschenrechtsrat in Genf besorgt über „ausländerfeindliche Hassreden in Deutschland“. Bachelet fordert eine Migrationspolitik, „die sich an der Realität orientiert und nicht an Panik“. – Am 18.9. beginnt in New York unter dem Vorsitz von Maria Fernanda Espinosa Garces (Ecuador) die 73. Generalversammlung der Vereinten Nationen (2018/19). Die Generaldebatte (25.9 bis 1.10.) wird traditionell vom Vertreter des Gastlandes, US-Präsident Trump, eröffnet. Am 26.9. wird der Internationale Tag für die vollständige Abschaffung von Nuklearwaffen begangen. Bundesaußenminister Maas beklagt am 28.9. in seiner Rede die gegenwärtige „Krise des Multilateralismus“, die Konflikte weltweit scheinbar unlösbar werden lasse. Einen Widerspruch zwischen Multilateralismus und Souveränität gebe es nicht: „In einer Welt, die vor immensen globalen Problemen steht, kann Souveränität überhaupt nur durch Zusammenarbeit gewahrt werden.“

11.-15.9. – Russland. Die Armee hält in Sibirien und im Fernen Osten das Großmanöver „Wostok“ (Osten) ab, bei dem u.a. 300 000 Soldaten, 36 000 Panzer, mehr als 1000 Flugzeuge sowie Schiffe der Pazifik-Flotte zum Einsatz kommen. Nach den Worten von Generalstabschef Gerassimow handelt es sich um die größte Übung seit 1981, die sich gegen kein anderes Land richte. Bei einem Manöverbesuch am 13.9. lobt Präsident Putin die Teilnahme Chinas und der Mongolei: „Unsere Waffenbrüderschaft hat eine lange und feste Tradition.“

12.9. – EU. Kommissionspräsident Juncker warnt in seiner Botschaft zur Lage der Union im Europäischen Parlament in Straßburg vor dem wachsenden Einfluss rechter Kräfte. Angesichts globaler Krisen plädiert Juncker für mehr europäische Souveränität. Die Welt von heute brauche ein starkes und geeintes Europa. Der Zwang zu einstimmigen Entscheidungen müsse aufgehoben werden, um die Europäische Union handlungsfähiger zu machen. Die Kommission wolle im letzten Jahr ihrer Amtszeit auch das Projekt der Verteidigungsunion vorantreiben. Ebenfalls am 12.9. beschließt das Europäische Parlament die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit. Die Entscheidung auf der Grundlage von Artikel 7 des EU-Vertrages fällt mit 448 gegen 197 Stimmen. – Vom 18.-19.9. ist die österreichische Ratspräsidentschaft Gastgeber eines Gipfels in Salzburg. Zur Diskussion steht der Plan der Kommission, die europäische Grenzschutzagentur Frontex bis 2020 auf 10 000 Einsatzkräfte aufzustocken. – Am 24.9. verklagt die Kommission Polen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Anlass ist die Zwangspensionierung zahlreicher Mitglieder des Obersten Gerichts als Teil einer umstrittenen Justizreform. 

14.9. – Korea. Im Industriepark Kaesong, zehn Kilometer nördlich der innerkoreanischen Grenze wird ein gemeinsames Verbindungsbüro der beiden koreanischen Staaten eröffnet, das den grenzüberschreitenden Austausch verbessern soll. Vorgesehen sind ein gemeinsamer Konferenzraum und getrennte Büros für die Vertreter der Republik Korea (Südkorea) und der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea). – Am 18.9. trifft der südkoreanische Präsident Moon Jae-in in der nordkoreanischen Hauptstadt ein, wo er von Kim Jong-un begrüßt wird. Nach der Unterzeichnung einer „Erklärung von Pjöngjang“ bekräftigt Jong-un am 19.9. in Anwesenheit Moons: „Wir haben vereinbart, die koreanische Halbinsel zu einem Land des Friedens ohne Atomwaffen und ohne nukleare Bedrohung zu machen.“

        – BRD/Russland. Der russische Außenminister Lawrow plädiert in einer Grundsatzrede vor dem deutsch-russischen Forum in Berlin für eine Neuausrichtung der Beziehungen seines Landes mit der Europäischen Union: „Wir sollten eine Renovierung des gemeinsamen Europäischen Hauses anpacken.“ Deutschland könne dabei eine führende Rolle einnehmen: „Von der deutschen Position hängt vieles ab.“

        – OAS. Der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten/OAS, Almagro Lemes (Uruguay), erklärt während eines Besuches in Kolumbien, das Regime von Präsident Maduro missachte die Menschenrechte und habe „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begangen. In Venezuela herrsche „Diktatur“. Hinsichtlich einer Militärintervention sollten „wir keine Option ausschließen“.

18.9. – Polen/USA. Bei einem Besuch des polnischen Präsidenten Duda bei Präsident Trump in Washington setzt sich die polnische Seite für eine dauerhafte Stationierung amerikanischer Truppen auf polnischem Territorium ein. Duda erklärt auf einer Pressekonferenz, eine solche Militärbasis könne „Fort Trump“ genannt werden.

22.9. – Iran. Bei einem Anschlag auf eine Militärparade in der Stadt Ahvaz aus Anlass des Sturzes von Saddam Hussein im September 1980 werden fast 30 Personen getötet und mehr als 50 verletzt. Revolutionsführer Ajatollah Khamenei bezeichnet die Täter als „Söldner-Terroristen“. Ihr Verbrechen sei Teil der Verschwörung der von den USA unterstützten Regime in der Region, die den Iran destabilisieren sollten. 

23.9. – Bundesregierung. Der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) Hans-Georg Maaßen muss seinen Posten räumen und wird als „Sonderberater“ in das von Bundesinnenminister Seehofer (CSU) geleitete Innenministerium versetzt. Maaßen steht vor allem wegen mehrdeutiger Äußerungen zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der Kritik. Die Begleitumstände der Personalie führen zu öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen innerhalb der Großen Koalition. In „letzter Minute“, so heißt es in Berlin, seien ein Auseinanderbrechen der Regierung und drohende Neuwahlen vermieden worden.

        – Großbritannien. Auf dem beginnenden Labour-Parteitag in Liverpool votieren die Delegierten mit großer Mehrheit für ein zweites Brexit-Referendum. Eine Abkehr vom EU-Austritt solle nicht ausgeschlossen werden. Premierministerin May lehnt den Labour-Vorschlag ab, Neuwahlen abzuhalten. Wahlen seien nicht im nationalen Interesse. In Birmingham wird am 30.9. der Parteitag der Konservativen eröffnet, in dessen Mittelpunkt die Möglichkeiten eines „weichen“ oder „harten“ Brexit stehen.

25.9. – Russland/Ukraine. Das Außenministerium in Moskau bestätigt den Eingang einer Note aus Kiew. Die ukrainische Regierung teile mit, man werde den am 1. April 2019 auslaufenden Vertrag über strategische Partnerschaft zwischen beiden Ländern nicht verlängern. Die Ukraine strebt die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und der Nato an.

26.9. – Bundespräsident. Vor der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) weist Bundespräsident Steinmeier die populistische Kritik an der Parteiendemokratie zurück. Wer von einem „wahren Volkswillen“ rede, der sei für eine Mehrheitsherrschaft ohne offene Willensbildung und rechtsstaatliche Schranken. Jedoch sei nicht jeder, der die etablierten Parteien nicht möge, ein Populist.

27.-29.9. – BRD/Türkei. Auf Einladung von Bundespräsident Steinmeier kommt der türkische Präsident Erdogan zu einem Staatsbesuch in die Bundesrepublik. Erdogan wird mit militärischen Ehren empfangen, nimmt an einem Bankett im Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, teil und eröffnet offiziell am 29.9. die Großmoschee in Köln. Die Einladung an Erdogan und das Format des Besuches sind in der Öffentlichkeit höchst umstritten. In Berlin, Köln und anderen Städten wird demonstriert und die Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in der Türkei gefordert.

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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