6.11. - N i e d e r l a n d e. Christdemokraten (CDA) und die sozialdemokratische Partei der Arbeit (PvdA) einigen sich nach längeren Verhandlungen auf die Bildung einer "Großen Koalition", die über 103 der 150 Parlamentssitze verfügt. Ministerpräsident bleibt Ruud Lubbers (CDA), Stellvertreter und Finanzminister wird Wim Kok (PvdA). Bei den Wahlen am 6. September d.J. hatten die Liberalen (VVD), bisher Koalitionspartner der CDA, starke Stimmenverluste hinnehmen müssen.
7.11. - D D R. Der Ministerrat (Regierung) unter Ministerpräsident Willi Stoph (SED) tritt geschlossen zurück. Vom 8.-10.11. tagt das SED-Zentralkomitee in Berlin, verabschiedet ein Aktionsprogramm "Schritte zur Erneuerung" (Auszüge in "Blätter", 12/1989, S. 1464 ff.) und wählt ein neues verkleinertes Politbüro, dem neben Generalsekretär Krenz auch Hans Modrow angehört, bisher SED-Bezirkssekretär in Dresden. - Am 9.11. öffnet die DDR ihren Bürgern die Grenze in die Bundesrepublik und nach Berlin (West). In einem Beschluß des Ministerrates heißt es, "Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen beantragt werden". Versagungsgründe würden "nur in besonderen Ausnahmefällen angewandt". An den folgenden Tagen werden zwischen beiden deutschen Staaten sowie zu Westberlin zahlreiche neue Übergänge für Fußgänger, Auto- und Zugverkehr eingerichtet. - Am 13.11. wählt die Volkskammer (Parlament) in geheimer Abstimmung den Vorsitzenden der Bauernpartei (DBD), Günther Maleuda, mit 246 von 477 Stimmen zu ihrem neuen Präsidenten. Auf den Gegenkandidaten Manfred Gerlach, Vorsitzender der Liberaldemokraten (LDPD), entfallen 230 Stimmen. In offener Abstimmung wird Hans Modrow bei einer Gegenstimme zum Ministerpräsidenten berufen. Modrow bildet ein "Koalitionskabinett" aus Vertretern aller fünf in der DDR tätigen Parteien und gibt am 17.11. vor der Volkskammer seine Regierungserklärung ab, die weitreichende politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Reformen ankündigt (vgl. "Dokumente zum Zeitgeschehen"). - Am 24.11. gründen 150 Mitglieder der DDR-Umweltbewegung in Berlin eine Grüne Partei. - Am 1.12. streicht die Volkskammer auf Antrag aller Fraktionen die Bestimmung über die führende Rolle der Arbeiterklasse "und ihrer marxistisch-leninistischen Partei" aus Artikel 1 der Verfassung. Die Entscheidung fällt mit 420 Stimmen bei 5 Enthaltungen. In der gleichen Sitzung verabschiedet die Volkskammer eine Erklärung an das Parlament der CSSR, in der sich die DDR für ihre Beteiligung an der Invasion im Jahr 1968 entschuldigt. - Am 3.12. tritt die gesamte Führung der SED (Zentralkomitee, Politbüro und Generalsekretär) zurück. Begründet wird dieser Schritt mit Forderungen "von der Basis her", einer "weiteren Gefährdung der Existenz der Partei entgegenzuwirken". Zur Vorbereitung des außerordentlichen Parteitages Mitte Dezember d.J. bildet sich ein "Arbeitsausschuß". Zu den letzten Beschlüssen des bisherigen Zentralkomitees gehört der Parteiausschluß ehemaliger Spitzenfunktionäre, darunter Generalsekretär Erich Honecker, Ministerpräsident Willi Stoph, Volkskammerpräsident Horst Sindermann, Staatssicherheitsminister Erich Mielke, der langjährige Gewerkschaftsvorsitzende Harry Tisch sowie der für Wirtschaft zuständige ZKSekretär Günther Mittag, denen schwere Verstöße gegen das Parteistatut vorgeworfen werden. Die DDR-Nachrichtenagentur ADN meldet gleichzeitig die Verhaftung von Mittag und Tisch wegen des Verdachts von Amtsmißbrauch und Korruption.
8.11. - B R D / D D R. Bundeskanzler Kohl wendet sich in seinem jährlichen "Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation im geteilten Deutschland" vor dem Bundestag gegen "alle Empfehlungen, den politischen Status quo als endgültigen anzuerkennen". Unter bestimmten Voraussetzungen sei die Bundesregierung bereit, mit der DDR "über eine völlig neue Dimension" wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Hilfe zu sprechen. - Am 20.11. führt Bundesminister Seiters in Berlin erste Gespräche mit dem Staatsratsvorsitzenden Krenz und Ministerpräsident Modrow, bei denen es vor allem um wirtschaftliche Probleme sowie um die Vorbereitung eines Treffens von Bundeskanzler Kohl mit der neuen DDR-Führung geht. Vor der Rückreise hat Seiters noch einen Meinungsaustausch mit Vertretern der Gruppe "Demokratischer Aufbruch" sowie mit Repräsentanten der Kirche. Das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" kritisiert am 22.11. die Bedingungen der Bundesregierung für eine Unterstützung des Reformkurses in der DDR. - Am 28.11. legt Bundeskanzler Kohl dem Bundestag einen Zehn-Punkte-Plan vor, der "die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands" als "das politische Ziel der Bundesregierung" bezeichnet. Der DDRStaatsratsvorsitzende Krenz erklärt dazu in einem Fernsehinterview, die Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik müsse von der Existenz zweier unabhängiger souveräner deutscher Staaten ausgehen. Die Einheit Deutschlands stehe "nicht auf der Tagesordnung". Künstler und Wissenschaftler wenden sich mit einem Aufruf "Für unser Land" an die Öffentlichkeit. Dem Aufruf schließen sich auch Krenz und Modrow an (vgl. die Texte in "Dokumente zum Zeitgeschehen").
9.11. - C h i n a. Der Spitzenpolitiker Deng Xiao Ping gibt sein letztes Amt, den Vorsitz der Militärkommission auf. Zum Nachfolger bestimmt das Zentralkomitee in Peking den Generalsekretär der Partei Jiang Zemin (vgl. "Blätter", 8/1989, S. 906).
- P o l e n / B R D. Auf Einladung von Ministerpräsident Mazowiecki reist Bundeskanzler Kohl in die Volksrepublik Polen. Stationen des offiziellen Besuchs sind neben Warschau u.a. Kreisau, Lublin und das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz. Kohl und Mazowiecki unterzeichnen am 14.11. eine umfangreiche "Gemeinsame Erklärung" (Text in "Blätter", 12/1989, S. 1519 ff.).
10.11. - B u l g a r i e n. Vor dem Zentralkomitee der regierenden KP Bulgariens erklärt der seit 1954 amtierende Parteisekretär Todor Shiwkow seinen Rücktritt. Zum Nachfolger wird der bisherige Außenminister Petar Mladenow gewählt. Mladenow übernimmt von Shiwkow am 17.11. auch das Amt des Staatsoberhaupts.
11.-12.11. - U n g a r n. Auf Einladung der Regierung treffen sich in Budapest die Außenminister und die stellvertretenden Regierungschefs Ungarns, Österreichs, Jugoslawiens und Italiens. Es werden vier Arbeitsgruppen für gemeinsame Projekte in Transport und Verkehr, Telekommunikation, Umweltschutz sowie Kultur und Wissenschaft eingesetzt. In Presseberichten heißt es, diese "subregionale Zusammenarbeit" im Rahmen des KSZE-Prozesses stehe auch anderen Staaten offen.
16.11. - E u r o p a r a t. Die Republik Ungarn (vgl. "Blätter", 12/1989, S 1419) beantragt offiziell die Aufnahme in den Europarat. Ein entsprechendes Schreiben legt der ungarische Außenminister Horn in Straßburg dem Ministerkomitee des Rates vor. Horn und sein polnischer Kollege Skubiszewski unterzeichnen anschließend die "Europäische Kulturkonvention". Dem 1949 gegründeten Europarat gehören 23 westeuropäische Staaten an.
17.11. - C S S R. In Prag findet eine von der Opposition organisierte Massendemonstration statt, auf der der Rücktritt der KPFührung sowie ein Dialog zwischen Regierung und Opposition gefordert werden. Die Polizei geht gewaltsam gegen die Demonstranten vor. Auch an den folgenden Tagen kommt es zu Protestkundgebungen mit einer wachsenden Teilnehmerzahl in der Hauptstadt und in anderen Teilen des Landes. - Am 21.11. empfängt Ministerpräsident Ladislav Adamec in Prag erstmals eine Delegation des neugebildeten oppositionellen Bürgerforums, dessen Sprecher der Schriftsteller Vaclav Havel ist. - Am 23.11. fordert der im Jahre 1969 abgelöste Parteisekretär Alexander Dubcek (vgl. "Blätter", 5/1969, S. 447) auf einer Massenkundgebung in der slowakischen Hauptstadt Bratislava eine Demokratisierung und den Rücktritt der nach der Invasion von 1968 zur Macht gekommenen Politiker. Dubcek wiederholt seine Forderungen am 24.11. vor Demonstranten auf dem Prager Wenzelsplatz. - Am 24.11. treten KP-Generalsekretär Milos Jakosch und das gesamte Parteipräsidium zurück. Das Zentralkomitee wählt auf einer Sondersitzung in Prag Karel Urbanek zum neuen Generalsekretär. Für Januar 1990 wird ein außerordentlicher Parteitag einberufen, um das Zentralkomitee neu zu wählen und ein Aktionsprogramm "Für die Beschleunigung der Umgestaltung, für die Entwicklung der Demokratie und des Sozialismus" zu verabschieden. - Am 27.11. kommt es zu einem zweistündigen landesweiten Generalstreik, mit dem die Forderung nach demokratischen Reformen unterstützt wird. Am 29.11. hebt das Parlament die Verfassungsbestimmung auf, die "die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei" als die "führende Kraft in der Gesellschaft und im Staate" bezeichnet (Artikel 4). - Am 3.12. bildet Adamec die Regierung um, betroffen sind u.a. das Innen- und das Verteidigungsministerium. In einer Regierungserklärung wird der Einmarsch der Truppen der Warschauer Vertragsstaaten in die CSSR im August 1968 als "grobe Verletzung der normalen Beziehungen souveräner Staaten" bezeichnet.
18.11. - E G. Die Staats- bzw. Regierungschefs der Mitgliedstaaten treffen sich in Paris zu einem kurzfristig anberaumten "Arbeitsessen"; Gastgeber ist Präsident Mitterrand, derzeit Vorsitzender des EG-Ministerrats. Thema der Zusammenkunft, an der auch EG-Kommissionspräsident Delors teilnimmt, ist die Entwicklung im östlichen Europa. Den Teilnehmern liegt ein Memorandum der DDR-Führung vor, in der die Bereitschaft erklärt wird. "die Zusammenarbeit mit den Europäischen Gemeinschaften und ihren Institutionen umfassend auszugestalten", Konsultationen mit der Europäischen Politischen Zusammenarbeit "könnten zur politischen Normalität werden". - Am 22.11. erläutert Mitterrand in Anwesenheit von Bundeskanzler Kohl vor dem Europäischen Parlament seinen Plan, eine Bank für die Entwicklung und Modernisierung Osteuropas zu schaffen.
20.-24.11. - R u m ä n i e n. Der 14. Parteitag der KP Rumäniens bestätigt Staatsoberhaupt Nicolae Ceausescu im Amt des Generalsekretärs für weitere fünf Jahre. In seinem Rechenschaftsbericht bekräftigt Ceausescu die bisherige Politik und wendet sich gegen Reformen. Gleichberechtigung von unterschiedlichen Eigentumsformen sei ein Verrat am Sozialismus.
22.11. - G r i e c h e n l a n d. Vertreter der konservativen Neuen Demokratie (ND), der sozialistischen PASOK und der Linksallianz einigen sich auf die Bildung einer Allparteienregierung (vgl. "Blätter", 12/1989, S. 1420). Ministerpräsident wird Xenofon Zolotas (ND).
22.11. - L i b a n o n. Der erst am 5.11. durch einen Teil des Parlaments und unter syrischem Schutz gewählte Präsident René Muawad (vgl. "Blätter", 11/1989, S. 1419) fällt im muslimischen Teil von Beirut einem Bombenattentat zum Opfer; die Wahl Muawads war von der christlichen Militärregierung unter General Michel Aoun nicht anerkannt worden. Nachfolger Muawads wird am 24.11. der maronitische Politiker Elias Hraoui.
23.-24.11. - S I. Die Sozialistische Internationale (SI) erörtert auf einer Ratstagung in Genf die Entwicklung in Osteuropa. Als Mitglied aufgenommen wird die Ungarische Sozialdemokratische Partei; die ebenfalls neugegründete Sozialdemokratische Partei (SDP) der DDR (Gründungserklärung in "Blätter", 11/1989, S. 1407) erhält einen Gästestatus.
29.11. - I n d i e n. Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit der bisher regierenden Kongreßpartei bei den Parlamentswahlen vom 22.-26.11. tritt Ministerpräsident Rajiv Gandhi zurück. Als neuer Premierminister wird am 2.12. der Kandidat des Oppositionsbündnisses Vishwanat Pratap Singh vereidigt. Singh steht an der Spitze der ersten Minderheitsregierung seit 1947.
1.12. - V a t i k a n / U d S S R. Während eines Italienaufenthaltes wird Generalsekretär Gorbatschow im Vatikan von Papst Johannes Paul II. empfangen. Es handelt sich um das erste Zusammentreffen zwischen einem Generalsekretär der KPdSU und dem Oberhaupt der Katholischen Kirche. Nach einem längeren Gespräch unter vier Augen erklärt Gorbatschow, er sei mit dem Papst "zu einer prinzipiellen Übereinkunft gekommen, den Beziehungen zwischen unseren Staaten einen offiziellen Status zu geben". Außerdem sei "über einen künftigen Besuch des Papstes in der Sowjetunion gesprochen" worden.
2.-3.12. - U d S S R / U S A. In den Gewässern um die Mittelmeerinsel Malta kommen KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow und Präsident Bush zu einem informellen Treffen zusammen. Erörtert werden u.a. die Abrüstung, Regionalkonflikte, darunter die Lage in Mittelamerika, europäische Fragen sowie die bilateralen Beziehungen. Auf der ersten gemeinsamen Pressekonferenz eines amerikanisch-sowjetischen Gipfels bewerten beide Staatsmänner das Treffen positiv. Gorbatschow erklärt auf eine entsprechende Frage, es gebe in Europa zwei souveräne deutsche Staaten, die Mitglied der UNO seien und über deren Zukunft die Geschichte entscheiden werde. Jede künstliche Beschleunigung dieses historischen Prozesses könne die Stabilität in Europa gefährden.