6.4. - K S Z E. Die tschechoslowakische Regierung übermittelt den Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ein Memorandum, das die "Institutionalisierung" des KSZE-Prozesses in mehreren Etappen vorsieht und als Ziel "ein konföderiertes Europa der freien und unabhängigen Staaten" bezeichnet. In einer ersten Etappe solle eine Europäische Sicherheitskommission mit einem ständigen Sekretariat eingerichtet werden; als Sitz wird Prag angeboten. - Am 11.4. wird in Bonn die erste Konferenz für Wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa (KWZE) im Rahmen der KSZE beendet (Beginn: 19.3.; zum Mandat vgl. "Blätter", 3/1989, S. 382). In einem abschließenden Dokument wird die Absicht bekräftigt, "auf der Grundlage des umfassenden und ausgewogenen Konzepts der Schlußakte von Helsinki und der nachfolgenden KSZE-Dokumente eine neue Ordnung von Frieden, Stabilität und Wohlstand in Europa zu schaffen". Die "schrittweise Annäherung in der Wirtschaftspolitik der Teilnehmerstaaten" eröffne langfristig neue Perspektiven zur Stärkung ihrer Wirtschaftsbeziehungen.
8.4. - U n g a r n. Aus der zweiten Runde der Wahlen zum Parlament (386 Abgeordnete; erste Runde am 25. März d.J.) geht das konservative Ungarische Demokratische Forum (MDF) mit 165 Mandaten als stärkste Partei hervor, gefolgt von den Freien Demokraten (92 Mandate), der Partei der Kleinlandwirte (43 Mandate) und der bisher regierenden Sozialistischen Partei (32 Mandate). Der amtierende Ministerpräsident Nemeth gelangt als unabhängiger Kandidat in das Parlament. - Am 2.5. wählt das Parlament auf seiner konstituierenden Sitzung den Schriftsteller Arpad Göncz (Freie Demokraten) zu seinem Präsidenten, der für eine Übergangszeit auch das Amt des Staatsoberhaupts übernimmt.
- G r i e c h e n l a n d. Bei vorzeitig angesetzten Neuwahlen verfehlt die konservative Neue Demokratie (ND) unter ihrem Vorsitzenden Konstantin Mitsotakis mit 150 von 300 Abgeordneten erneut knapp die absolute Mehrheit (vgl. "Blätter", 12/1989, S. 1420). Zweitstärkste Partei ist die Panhellenische Sozialistische Bewegung (PASOK) des früheren Ministerpräsidenten Papandreou mit 123 Abgeordneten, die Linksallianz stellt 19 Abgeordnete. Mit Unterstützung des einzigen Abgeordneten der Partei Demokratische Erneuerung (Diana) bildet Mitsotakis am 11.4. ein Kabinett. - Am 4.5. wählt das Parlament mit 153 von 300 Stimmen Konstantinos Karamanlis zum Präsidenten der Republik.
9.4. - T s c h e c h o s l o w a k e i. Auf Einladung von Präsident Havel kommen der polnische Präsident Jaruzelski und das amtierende ungarische Staatsoberhaupt Szürös zu einem "Gipfeltreffen" in die slowakische Hauptstadt Bratislawa. Thema sind gemeinsame Initiativen zur europäischen Sicherheit. Am 20.4. legt das Parlament den neuen Staatsnamen fest: Tschechische und Slowakische Föderative Republik (CSFR).
12.4. - D D R. Nach Abschluß von Verhandlungen (vgl. "Blätter", 5/1990, S. 516) bilden die Parteien der "Allianz für Deutschland" (CDU, DSU und DA) sowie der Bund Freier Demokraten und die SPD "eine große Koalition für die Zeit des Zusammenwachsens beider deutscher Staaten". In einer Vereinbarung werden drei Ziele der Koalition genannt: 1. Wohlstand und soziale Gerechtigkeit für alle Bürger der DDR zu sichern; 2. Freiheit und Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen; 3. Die Einheit Deutschlands nach Verhandlungen mit der BRD auf der Grundlage von Artikel 23 des Grundgesetzes zügig und verantwortungsvoll für die gesamte DDR gleichzeitig zu verwirklichen und damit einen Beitrag zur europäischen Friedensordnung zu leisten. Im außenpolitischen Teil heißt es, die Vereinigung Deutschlands dürfe "die Stabilität in Europa nicht beeinträchtigen" und solle "die Schaffung einer gesamteuropäischen Ordnung des Friedens, der Demokratie und der Zusammenarbeit fördern". Deshalb setze sich die Koalitionsregierung für die Schaffung von Institutionen der KSZE auf völkerrechtlicher Grundlage ein. Am gleichen Tag tritt die Volkskammer zusammen. Parlamentspräsidentin Bergmann-Pohl verliest zunächst eine gemeinsame Erklärung aller sieben Fraktionen, in der sich "die ersten freigewählten Parlamentarier der DDR ... zur Verantwortung der Deutschen in der DDR für ihre Geschichte und ihre Zukunft" bekennen. Anschließend wählt das Parlament den CDU-Vorsitzenden Lothar de Maiziere mit 265 gegen 108 Stimmen bei 9 Enthaltungen zum Ministerpräsidenten und stimmt en bloc mit 247 gegen 109 Stimmen bei 23 Enthaltungen der Zusammensetzung der Regierung zu. In der neuen Regierung (24 Mitglieder) stellt die CDU 11, die DSU 2, der DA 1 Minister; die SPD ist mit 7, der Bund Freier Demokraten mit 3 Ministern vertreten. Stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister wird Peter Michael Diestel (DSU), Außenminister Markus Meckel (SPD). Das neugeschaffene Ressort für Abrüstung und Verteidigung übernimmt Rainer Eppelmann (DA), der am 18.4. den bisherigen Verteidigungsminister Admiral Theodor Hoffmann zum Chef der Nationalen Volksarmee ernennt. Je ein Ministerposten der CDU und der SPD wird mit einer parteilosen Persönlichkeit besetzt. - Am 19.4. gibt Ministerpräsident de Maiziere vor der Volkskammer die Regierungserklärung ab, der sich am 20.4. eine Debatte anschließt. De Maiziere dankt dem bisherigen Ministerpräsidenten Hans Modrow (PDS; zum Amtsantritt vgl. "Blätter", 1/1990, S. 4) für "sein Engagement" und fügt hinzu, "durch seine behutsame Politik ist uns sicher vieles erspart geblieben".
18.4. - B R D / D D R. Die Innenminister Schäuble (BRD) und Diestel (DDR) vereinbaren in Bonn die baldige Abschaffung der Personenkontrollen an der deutsch-deutschen Grenze sowie eine enge Zusammenarbeit der Polizeibehörden beider Staaten. - Am 23.4. teilt ein Sprecher der Bundesregierung in Bonn mit, das Kabinett habe sich in Beratungen mit Vertretern der Koalition und der Deutschen Bundesbank über "die Grundzüge eines Angebots für den Staatsvertrag mit der DDR zur Gründung einer Währungsunion mit Wirtschafts- und Sozialgemeinschaft verständigt". Das Angebot umfasse u.a. Regelungen für die Umstellung von Löhnen und Gehältern, die Anpassung des Rentensystems und die Bewertung der Geld und Kreditbestände in der DDR. - Am 24.4. konferiert DDR-Ministerpräsident de Maiziere in Bonn mit Bundeskanzler Kohl über den Staatsvertrag. - Am 30.4. kommt es zu einer ersten offiziellen Begegnung der Präsidien der beiden deutschen Parlamente. Das Treffen findet in Berlin zunächst im Gebäude der Volkskammer statt und wird später im ehemaligen Reichstag fortgesetzt. In einer "Gemeinsamen Erklärung" heißt es, von deutschem Boden dürfe nie wieder Krieg ausgehen. Gleichzeitig wird eine "textgleiche Garantie der polnischen Westgrenze" auf der Grundlage der Entschließungen des Deutschen Bundestages vom 8. März 1990 und der Volkskammer vom 12. April 1990 gefordert. - Am 2.5. gibt Bundesminister Seiters in Bonn bekannt, man habe nach Verhandlungen mit der DDR "über die entscheidenden Punkte der Währungsumstellung" Einigung erzielt. In einer gleichzeitig in Bonn und Berlin veröffentlichten Mitteilung heißt es, der angestrebte "Staatsvertrag zur Einführung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion" solle zum 1. Juli 1990 in Kraft treten und die Umstellung der Mark der DDR auf D-Mark zum 2. Juli 1990 erfolgen (vgl. "Dokumente zum Zeitgeschehen").
19.4. - N i c a r a g u a. Zwischen der Regierung und den "Contra"-Verbänden tritt ein Waffenstillstand in Kraft. Ein entsprechendes Abkommen sieht die Entwaffnung der antisandinistischen Einheiten unter internationaler Kontrolle spätestens bis zum 10. Juni d.J. vor. Der UN-Sicherheitsrat setzt zu diesem Zweck am 20.4. eine Beobachtergruppe in Mittelamerika (ONUCA) ein. - Am 25.4. übernimmt die gewählte Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro (vgl. "Blätter", 4/1990, S. 390) die Amtsgeschäfte von Daniel Ortega.
- N A T O. Nach einer Begegnung in Florida setzen sich der amerikanische Präsident Bush und der französische Staatspräsident Mitterrand für die Einberufung eines Gipfeltreffens der Allianz ein, um die Zukunft des westlichen Bündnisses zu erörtern. Mitterrand erklärt, Frankreich betrachte die Weiterexistenz der NATO und die Militärpräsenz der USA in Europa als unerläßliche Stabilitätsfaktoren. - Am 3.5. unterrichtet der amerikanische Außenminister Baker seine Kollegen aus den NATO-Mitgliedstaaten auf einer Zusammenkunft in Brüssel über die Entscheidung von Präsident Bush, das Entwicklungsprogramm für ein Nachfolgemodell zur "Lance"-Kurzstreckenrakete sowie die weitere Modernisierung der nuklearen Artilleriemunition einzustellen. Außerdem sollten Verhandlungen mit der Sowjetunion über den Abzug der landgestützten nuklearen Kurzstreckenwaffen beider Seiten aus Europa aufgenommen werden. - E G. Bundeskanzler Kohl und der französische Staatspräsident Mitterrand schlagen in einem gemeinsamen Schreiben an den irischen Ratspräsidenten vor, parallel zu der geplanten Regierungskonferenz über die Wirtschafts und Währungsunion noch im laufenden Jahr eine Konferenz über die Politische Union abzuhalten. Am 21.4. befassen sich die Außenminister der Mitgliedstaaten in Dublin mit einem "Drei-Stufen-Plan" der EG-Kommission für die Eingliederung der DDR in die Europäische Gemeinschaft, die zeitgleich mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten erfolgen soll (vgl. "Dokumente zum Zeitgeschehen") - Am 28.4. findet in Dublin eine Sondertagung der Staats- und Regierungschefs statt, die sich vor allem mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten beschäftigt. Zu den besprochenen Dokumenten gehören auch "Leitlinien für die KSZE", in denen sich die EG-Regierungen für "neue institutionelle Regelungen im Rahmen des KSZE Prozesses" sowie für die Aufnahme von Beziehungen zwischen der KSZE und Einrichtungen des Europarates einsetzen.
23.4. - U d S S R / C h i n a. Der chinesische Ministerpräsident Li Peng kommt zu einem mehrtägigen Besuch nach Moskau. Nach einer Zusammenkunft mit Präsident Gorbatschow am 24.4. heißt es, man habe sich auf eine Truppenreduzierung entlang der gemeinsamen Grenze verständigt.
29.4. - U d S S R / D D R. Ministerpräsident de Maiziere trifft in Moskau mit Ministerpräsident Ryschkow zusammen und wird von Präsident Gorbatschow empfangen. Zu Gesprächen mit ihren Ressortkollegen halten sich auch Außenminister Meckel und Verteidigungsminister Eppelmann in der sowjetischen Hauptstadt auf.
2.-3.5. - N a h e r O s t e n. Erstmals nach dem Bruch zwischen Ägypten und der Arabischen Liga (vgl. "Blätter", 10/1978, S. 1155 f.) kommt ein ägyptischer Präsident nach Damaskus. Präsident Mubarak spricht von einem "Versöhnungsbesuch" beim syrischen Präsidenten Asad, der der "innerarabischen Aussöhnung" dienen solle.
2.-5.5. - P o l e n / B R D. Bundespräsident v. Weizsäcker hält sich zu einem Staatsbesuch in der Volksrepublik Polen auf. Auf einem Bankett in Warschau am 2.5. erklärt Weizsäcker u.a., Polen könne "ohne Vorbehalt darauf vertrauen, daß die Grenzfragen zwischen uns in der Substanz unwiderruflich geklärt sind und daß sie im Zuge der werdenden deutschen Einheit die nötige völkerrechtlich verbindliche Vertragsform erhalten werden". Die Bundesrepublik habe "jetzt und in Zukunft keinerlei Gebietsanspruche gegenüber Polen oder irgendeinem anderen Nachbarn".
4.5. - U d S S R. Nach der Unabhängigkeitserklärung Litauens (vgl. "Blätter", 5/1990, S. 517) erklärt das Parlament in Riga die Lettische Sozialistische Sowjetrepublik zu einer "unabhängigen demokratischen Republik". Die Entscheidung fällt mit 138 Stimmen ohne Gegenstimmen bei einer Enthaltung; 57 Abgeordnete nehmen aus Protest nicht an der Abstimmung teil.
5.5. - D e u t s c h l a n d f r a g e. Entsprechend der Vereinbarung von Ottawa und nach vorbereitenden Konsultationen (vgl. "Blätter", 4/1990, S. 388 und 5/1990, S. 516) beginnen in Bonn nach der Formel "Zwei plus Vier" die Verhandlungen über die äußeren Aspekte der Herstellung der deutschen Einheit mit einer Konferenz der Außenminister der beiden deutschen Staaten, Frankreichs, Großbritanniens, der UdSSR und der USA. Den Vorsitz führt Bundesaußenminister Genscher. Für das künftige Verfahren wird folgende Tagesordnung festgelegt: 1. Grenzfragen; 2. Politisch-militärische Fragen unter Berücksichtigung von Ansätzen geeigneter Sicherheitsstrukturen in Europa; 3. Berlin-Probleme; 4. Abschließende völkerrechtliche Regelung und Ablösung der VierMächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten. Zunächst werden weitere Außenministertreffen in Berlin (Juni d.J.), Paris (Juli d.J.) und Moskau (September d.J.) vereinbart. Auf dem Treffen in Paris sollen Grenzfragen unter Beteiligung des polnischen Außenministers erörtert werden. Außenminister Schewardnadse erklärt vor der Konferenz, nach sowjetischer Ansicht müsse "die Lösung der inneren und äußeren Aspekte der deutschen Einheit zeitlich nicht unbedingt zusammenfallen oder innerhalb der gleichen Übergangsperiode abgeschlossen werden".