Beobachtungen zur Lage der Nation
Kommt jetzt die deutsche Einheit? Viele prophezeien es, andere geraten in Panik, und die meisten wirken ziemlich desorientiert angesichts der Beschleunigung der historischen Zeit, die wir seit dem Durchbruch der Gorbatschow-Revolution erleben. Dabei sind jetzt kühle Köpfe vonnöten, um die Chancen für die Selbstbestimmung aller Deutschen und für die Schaffung einer europäischen Friedensordnung, die die gegenwärtige Situation bietet, zu nutzen und die Gefahr eines Rückfalls in nationalstaatliche Regression zu bannen. Schauen wir also zu, was in der Deutschlandpolitik "geht", was bleibt und was man besser bleiben lassen sollte. Die Analyse wird zeigen, daß sehr verschiedene Formen von "Einheit" möglich sind, und daß es entscheidend darauf ankommen wird, für welche Form man sich einsetzt.
1. Nation, Staat und Selbstbestimmung
Die Entwicklungen der letzten Monate zeigen, daß in der DDR nicht nur, was man immer schon wußte, keine eigene Staatsnation entstanden ist, sondern daß dieser Staat auch über kein eigenes Gesellschaftsprojekt verfügt. Diffuse Hoffnungen auf einen "dritten Weg" haben sich angesichts der schreienden Diskrepanz zwischen westlichem Konsumglanz und real existierender Mangelwirtschaft rasch verflüchtigt.
Noch nicht einmal die Konstituierung einer revolutionären Volksbewegung ist gelungen.