Ausgabe Mai 1990

Otto von Kohl

1. Probleme der Arbeitsteilung

Die häufig zu hörende Behauptung, der gegenwärtige Kanzler der Bundesrepublik Deutschland sei ein Idiot, verbindet sich mit dem Vorurteil, ein erfolgreicher Politiker dürfe das eigentlich nicht sein, seine Fortüne werde dadurch gleichsam unanständig. Solches Reden ist das Resultat einer deformation professionelle seiner Kritiker, die in der Regel Intellektuelle oder Angehörige der parlamentarischen Opposition sind. Ganz gewiß versteht Helmut Kohl die Worte nicht sinnreich oder auch nur zierlich zu setzen. Dies aber ist das Gewerbe des Feuilletonisten, nicht des Politikers. Den gleichen Vorwurf könnte man wahrscheinlich auch der Mehrzahl der erfolgreichen Naturwissenschaftler und Techniker machen, welche jedoch von niemandem für dumm gehalten werden. Ein Turnlehrer nennt einen Feuilletonisten, der keinen Handstand kann, vielleicht einen Steifschächter, niemals aber einen Deppen. Diese Höflichkeit darf umgekehrt auch erwartet werden. Ein berufsmäßiger Politiker mag durchaus auch auf anderen Gebieten etwas können und verstehen.

Aber das sind dann Privateigenschaften, welche unter die Rubrik "Bildung" fallen, die bekanntlich umsonst ist. Ein intellektuelles Outfit ist in diesem Beruf Mittel zum Zweck für die Gewinnung einer bestimmten - notwendig begrenzten - Klientel, und wird dieser Zweck erreicht, ist es Wurst, ob die Flagge die Ware deckt.

Mai 1990

Sie haben etwa 7% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 93% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo