Ausgabe April 1991

Chronik vom 5. Februar 1991 bis 5. März 1991

5.2. - N a h e r O s t e n. Erstmals seit Beginn der alliierten Luftangriffe gegen den Irak und irakische Stellungen im besetzten Kuwait (vgl. "Blätter", 3/1991, S. 260 f.) bombardiert die israelische Luftwaffe Palästinenserlager im Südlibanon. In Presseberichten heißt es, die israelische Regierung wolle mit ihrer Aktion das Entstehen einer "zweiten Front" im Golfkrieg verhindern. - Am 6.2. erklärt UN-Generalsekretär Perez de Cuellar in New York vor dem "Ausschuß über die unveräußerlichen Rechte der Palästinenser", man dürfe über dem Golfkonflikt die Palästinafrage nicht vergessen. Perez teilt mit, er werde in den kommenden Wochen einen Sonderbeauftragten ernennen, um den notwendigen Verhandlungsprozeß in Gang zu bringen. Die irakische Regierung beschließt den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Ägypten, Frankreich, Großbritannien, Italien, Saudiarabien und den USA. Vor dem Repräsentantenhaus in Washington nennt der amerikanische Außenminister Baker folgende Ziele der Koalitionsstreitmacht am Golf: "Vertreibung des Irak aus Kuwait, Wiedereinsetzung der rechtmäßigen Regierung Kuwaits sowie die Gewährleistung von Stabilität und Sicherheit in dieser entscheidenden Region." - Am 8.2. bekräftigt Generalsekretär Perez de Cuellar vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York die Forderung nach einem Rückzug des Irak aus Kuwait. Der Generalsekretär bedauert die anhaltenden Kriegshandlungen, diplomatische Bemühungen hätten bisher zu keinem Erfolg geführt. - Am 9.2. scheitert ein Versuch des iranischen Präsidenten Rafsanjani zur diplomatischen Lösung des Golfkonflikts. In Teheran heißt es dazu, die vom stellvertretenden irakischen Regierungschef Hamadi überbrachte Antwort von Saddam Hussein könne keine Verhandlungsbasis sein. - Am 11.2. trifft der sowjetische Sonderbotschafter Primakow in Bagdad ein, um im Auftrag von Präsident Gorbatschow Verhandlungen mit Präsident Hussein und dem irakischen Außenminister Aziz zu führen. In einer Sendung von Radio Bagdad heißt es, der Irak werde "niemals das Feuer einstellen, bis nicht der totale Sieg im Golfkrieg errungen ist". Kuwait gehöre für immer zum Irak. - Am 13.2. fordert der irakische Außenminister Aziz in einem Schreiben an Generalsekretär Perez de Cuellar von den Vereinten Nationen, die alliierten Bombardierungen auf die Zivilbevölkerung im Irak zu verurteilen. - Am 14. 2. erörtert der UN-Sicherheitsrat in New York die Lage. Mit neun gegen zwei Stimmen (Kuba und Jemen) bei vier Enthaltungen (darunter die Volksrepublik China) war zuvor ein britischer Antrag angenommen worden, die Sitzung hinter verschlossenen Türen abzuhalten. In Moskau beginnt eine Serie diplomatischer Kontakte, in die sich auch Präsident Gorbatschow einschaltet. Gesprächspartner sind am 14.2. der im Exil in SaudiArabien lebende stellvertretende kuwaitische Ministerpräsident und Außenminister al-Ahmad as-Sabah sowie an den folgenden Tagen der iranische Außenminister Velayati und eine Delegation der Europäischen Gemeinschaft, bestehend aus den Außenministern Poos (Luxemburg), de Michelis (Italien) und van den Broek (Niederlande). - Am 15.2. unterbreitet der irakische Präsident Saddam Hussein ein Angebot zum Abzug aus Kuwait, das jedoch an zahlreiche Bedingungen geknüpft ist. "Alle Fälle von Gebietsbesetzungen in der Region", so heißt es u.a., müßten "gleichzeitig gelöst werden". Außerdem fordert der Irak die Berücksichtigung seiner "historischen territorialen Rechte". Die irakischen Bedingungen werden in Washington sowie in den Hauptstädten der übrigen Allianzpartner abgelehnt. - Am 17.2. trifft der irakische Außenminister Aziz nach einem Zwischenaufenthalt in Teheran in der sowjetischen Hauptstadt ein. An der Unterredung mit Präsident Gorbatschow nehmen auch Außenminister Bessmertnych sowie Sonderbotschafter Primakow teil. Der bei dieser Gelegenheit vorgelegte sowjetische Vorschlag, ein "Acht-Punkte-Plan", wird von der irakischen Führung angenommen, von den kriegführenden Regierungen jedoch abgelehnt. Aziz nimmt am 22.2. erneut Gespräche in Moskau auf: Das Ergebnis ist ein weiterer Plan (Sechs-Punkte-Plan), der von der westlich-arabischen Koalition ebenfalls als ungenügend zurückgewiesen wird. - Am 22.2. setzt der amerikanische Präsident Bush dem Irak eine eintägige Frist, um mit dem bedingungslosen Rückzug seiner Truppen aus Kuwait zu beginnen. Am 23.2. legt der sowjetische UN-Vertreter Woronzow dem Sicherheitsrat in New York den sowjetischen Friedensplan vor und deutet weitere Zugeständnisse des Irak an. - Am 24.2. beginnt die alliierte Militärkoalition an mehreren Frontabschnitten mit der Landoffensive. Die Truppen stoßen auf die Hauptstadt Kuwait-City vor und besetzen irakisches Gebiet. - Am 26.2. meldet Radio Bagdad den Beginn des Rückzuges der irakischen Truppen aus Kuwait auf die Stellungen vor dem 2. August v.J. (vgl. "Blätter", 9/1990, S. 1030). Der Rückzugsbefehl wird von Präsident Saddam Hussein in einer Rundfunkansprache bestätigt. Hussein spricht von einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den "ungerechtfertigt Armen" und den "ungerechtfertigt Reichen®. Seit dem 25.2. gehöre Kuwait nicht mehr zum Irak. In Washington heißt es dazu, die Militäraktion zu Lande und in der Luft werde zunächst unvermindert fortgesetzt. In einer Rede in der weißrussischen Hauptstadt Minsk fordert Präsident Gorbatschow, die Lage im "Nahen Osten als Ganzem" auf die Tagesordnung des UNSicherheitsrates zu setzen. - Am 27.2. kündigt Präsident Bush in einer Fernsehansprache die sofortige "Aussetzung" der Kampfhandlungen an, nennt aber für einen formellen Waffenstillstand eine Reihe von Bedingungen. Noch am gleichen Tage anerkennt die irakische Regierung in einer Note an die Vereinten Nationen sämtliche Beschlüsse des Sicherheitsrates zur Kuwaitfrage, darunter die Resolutionen vom 6. August und vom 29. November v.J. (Texte in "Blätter", 9/1990, S. 1149 ff. und 1/1991, S. 103). Der Sicherheitsrat nimmt dazu am 2.3. in einer weiteren Resolution Stellung (vgl. "Dokumente zum Zeitgeschehen"). - Am 3.3. einigen sich alliierte und irakische Militärs in ersten Verhandlungen auf einem US-Stützpunkt im Südirak über die Grundzüge eines Waffenstillstands und die Rückführung der Kriegsgefangenen. Um Zwischenfälle zu vermeiden, soll zwischen den Streitkräften beider Seiten eine zwei Kilometer breite "Pufferzone" errichtet werden. - Am 5.3. annulliert der Revolutionäre Kommandorat in Bagdad alle im Zusammenhang mit der Annexion Kuwaits erlassenen Dekrete.

5.-6.2. - U N O. Unter der Federführung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme/UNEP) beraten in Genf Experten von 25 UN-Organisationen und der Ölindustrie über die "umweltrelevanten Probleme in der Golfregion". UNEP-Verwaltungsdirektor Mostafa Tolba (Ägypten) bezeichnet die durch den Golfkrieg verursachte Ölverschmutzung als die größte der Geschichte. Auf dem Treffen wird auch auf mögliche Gefahren hingewiesen, falls Gase aus chemischen oder biologischen Waffen in die Atmosphäre gelangen sollten.

6.2. - U d S S R. Präsident Gorbatschow appelliert in einer Fernsehansprache an die Bürger der Sowjetunion, das Land als "Union zu erhalten und sie tiefgreifend zu erneuern". Eine Föderation souveräner Republiken sei "garantierte Sicherheit, ein umfangreicher Markt, eine hochentwickelte Wissenschaft und Kultur". - Am 9.2. spricht sich die Bevölkerung Litauens in einer Volksabstimmung mit großer Mehrheit (90,5%) für eine "unabhängige demokratische Republik" aus. Die Wahlbeteiligung beträgt 84,5%. Mit Mehrheit stimmt am 3.3. auch die Bevölkerung von Estland (mit knapp 78%, Wahlbeteiligung 82%) und von Lettland (mit 77%, Wahlbeteiligung 88%) für die Unabhängigkeit.

8.2. - K S Z E. Vertreter der 34 Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) einigen sich auf einem Expertentreffen in Valletta/Malta (zum Mandat vgl. "Blätter", 3/1989, S. 382) auf "Prinzipien der Streitbeilegung" sowie auf "Bestimmungen für ein KSZE-Verfahren zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten". Darin wird zunächst festgestellt, daß die "vollständige Verwirklichung aller KSZE-Prinzipien und -Verpflichtungen... ein wesentliches Element zur Verhinderung von Streitigkeiten zwischen den Teilnehmerstaaten" sei. Im Falle von Streitigkeiten werden mehrere Verfahren (Untersuchung, Vergleich, Vermittlung, Schiedsspruch oder Rechtsspruch) vorgeschlagen.

14.2. - N A T O. Der rumänische Außenminister Nastase erklärt nach einer Zusammenkunft mit Vertretern der 16 Mitgliedstaaten in Brüssel, sein Land strebe an, "assoziiertes Mitglied" des westlichen Bündnisses zu werden. Der Minister begründet diesen Wunsch mit einem Hinweis auf die bevorstehende Auflösung des Warschauer Vertrages.

16.2. - P h i l i p p i n e n / U S A. Beide Seiten einigen sich auf die Verlängerung der Nutzungsverträge für die amerikanischen Stützpunkte auf dem Territorium der Philippinen Es handelt sich um insgesamt sechs Militärbasen, auf denen rund 40 000 US-Bürger stationiert sind.

20.2. - A l b a n i e n. Nach Massendemonstrationen auf dem Skanderbeg-Platz im Zentrum der Hauptstadt Tirana, die sich gegen die Alleinherrschaft der Partei der Arbeit Albaniens richten, kündigt Staats- und Parteichef Ramiz Alia die Einsetzung einer Koalitionsregierung auf breiter Basis an. Außerdem solle ein neuer Präsidialrat gebildet werden.

21.2. - E u r o p a r a t. Die Tschechische und Slowakische Föderative Republik (CSFR) wird 25. Mitglied des Europarats. Die Aufnahme erfolgt auf einer Sitzung des Ministerkomitees in Madrid. Am Rande der Zusammenkunft unterzeichnet Außenminister Bessmertnych für die Sowjetunion die Europäische Kulturkonvention. - E G. Der Bundestag benennt auf Vorschlag der Fraktionen 18 Abgeordnete der ehemaligen DDR-Volkskammer, die die ostdeutschen Bundesländer bis zu den nächsten Europawahlen (1994) als Beobachter im Europäischen Parlament vertreten sollen. CDU/CSU stellen neun, die SPD fünf, die PDS zwei sowie FDP und Bündnis '90 je einen Abgeordneten.

23.2. - T h a i l a n d. Die gewählte Regierung unter Ministerpräsident Chatichai Choonhavans wird durch das Militär gestürzt. Die Macht übernimmt ein "Nationaler Rat zur Friedenserhaltung" (National Peacekeeping Council), an dessen Spitze der Oberkommandierende der Streitkräfte, General Sunthorn Kongsompong steht. Die Junta löst das Parlament auf und setzt die Verfassung außer Kraft.

25.2. - W a r s c h a u e r V e r t r a g. Die Außen- und Verteidigungsminister des Bündnisses, dem nach dem Ausscheiden der DDR (vgl. "Blätter", 11/1990, S. 1286) noch Bulgarien, die CSFR, Polen, Rumänien, die UdSSR und Ungarn angehören, beschließen in Budapest, das gemeinsame Oberkommando in Moskau sowie alle militärischen Organe zum 31. März d.J. aufzulösen. Der "Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand" (unterzeichnet am 14. Mai 1955 in Warschau) soll jedoch in Kraft bleiben, künftig aber ausschließlich politischen Konsultationen dienen.

26.2. - S ü d a f r i k a / U d S S R. Der südafrikanische Außenminister Roelof Botha kündigt die Aufnahme offizieller Beziehungen mit der UdSSR an. Gegenseitige Interessenvertretungen sollen zunächst im Rahmen der Botschaften Österreichs in Pretoria bzw. Moskau tätig sein.

4.3. - U d S S R / B R D. Als letztes der beteiligten Parlamente ratifiziert der Oberste Sowjet in Moskau den "Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" (Zwei-Plus-VierVertrag) sowie den "Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken" (Texte in "Blätter", 11/1990, S. 1389 ff. und S. 1394 ff.). Die Abstimmung erfolgt nach teilweise kontroverser Debatte in geschlossener Sitzung, das Ergebnis wird nicht bekanntgegeben. Der "Vertrag über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzuges der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland" (vgl. "Blätter", 12/1990, S. 1418 f.) wird gebilligt, die Ratifizierung jedoch auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Ein sowjetischer Sprecher erklärt dazu, es gebe noch "technische Details" zu besprechen.

- B R D / P o l e n. Bundesumweltminister Töpfer und sein polnischer Amtskollege Nowicki vereinbaren in Bonn die Bildung eines deutsch-polnischen Umweltrates. Vorgesehen ist u.a. die Ausarbeitung eines "ökologischen Entwicklungsplans" für den Raum von Oder und Neiße. - Am 5.3. trifft der polnische Ministerpräsident Bielecki in Bonn mit Bundeskanzler Kohl und Bundesaußenminister Genscher zusammen. Thema des Meinungsaustausches ist die Vorbereitung eines umfassenden Vertrages über die gegenseitige Zusammenarbeit.

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