8.5. - N a h e r O s t e n. In der syrischen Hauptstadt Damaskus beginnt der sowjetische Außenminister Bessmertnych eine Reise durch die Region, um in verschiedenen Hauptstädten Möglichkeiten für die Beilegung des arabisch-israelischen Konflikts zu erörtern. Als erster Außenminister der UdSSR besucht Bessmertnych auch Israel, wo er am 10.5. Gespräche mit Ministerpräsident Schamir und Außenminister Levy führt. Zu den Themen gehört u.a. die Wiederaufnahme der seit 1967 unterbrochenen diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Der sowjetische Außenminister trifft am 12.5. in Kairo mit seinem amerikanischen Kollegen Baker zusammen, der sich erneut im Nahen Osten aufhält (vgl. "Blätter", 6/1991, S. 644), und konferiert am 15.5. in der sowjetischen UNVertretung in Genf mit dem PLO-Vorsitzenden Arafat. - Am 11.5. erklären sich die sechs Staaten des Golfkooperationsrates (GCC) bereit, als Beobachter an einer möglichen regionalen arabisch-israelischen Friedenskonferenz teilzunehmen. - Am 29.5. unterbreitet der amerikanische Präsident Bush in einer Rede vor der Militärakademie in Colorado Springs eine Reihe von Vorschlägen zur Beendigung des Wettrüstens im Nahen Osten. Eine Konferenz der fünf wichtigsten Waffenexportländer (China, Frankreich, Großbritannien, UdSSR und USA), die auch ständige Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sind, soll entsprechende Maßnahmen treffen. Der sowjetische Außenminister Bessmertnych äußert sich am 30.5. auf einer Pressekonferenz in Rom zustimmend zu den Vorschlägen von Bush und erklärt, einige Punkte bedürften noch weiterer Klärung.
9.5. - U d S S R. In einer Rede zum Jahrestag der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 warnt Verteidigungsminister Jasow vor der Aufstellung eigener Armeen in den Unionsrepubliken. Ein solcher Schritt könne das Land in einen "Bruderkrieg" stürzen. - Am 3.6. berichtet die Nachrichtenagentur TASS, die Staatsbezeichnung UdSSR werde künftig "Union der Souveränen (bisher: Sozialistischen) Sowjetrepubliken" lauten. Eine entsprechende Vereinbarung habe Präsident Gorbatschow mit den Präsidenten von neun Unionsrepubliken getroffen.
11.5. - U S A / U d S S R. Die Präsidenten Bush und Gorbatschow führen ein längeres Telefongespräch, bei dem es u.a. um die Möglichkeit einer Teilnahme des sowjetischen Präsidenten an dem geplanten westlichen "Weltwirtschaftsgipfel" Mitte Juli d.J. in London geht. In einer Mitteilung des Weißen Hauses heißt es, es habe sich um einen "ausführlichen und positiven Meinungsaustausch" über die gegenseitigen Bestimmungen gehandelt. Am 1.6. erzielen die Außenminister Baker und Bessmertnych in einem mehrstündigen Gespräch in Lissabon eine "prinzipielle Einigung" über die noch strittigen Fragen bei der Auslegung des Vertrages über die konventionelle Abrüstung in Europa (KSE-Vertrag; Auszüge in "Blätter", 1/1991, S. 116 ff). Der amerikanische Präsident Bush bezeichnet die Einigung als "einen wichtigen Schritt zu einem Gipfel der Supermächte".
13.5. - A b r ü s t u n g. Vor Beginn einer neuen Verhandlungsrunde in Genf über ein umfassendes Verbot chemischer Waffen (14.5.) erklärt Präsident Bush die Bereitschaft der USA, nach Inkrafttreten eines entsprechenden Vertrages auf jeden Einsatz solcher Waffen (auch auf Vergeltungsschläge) zu verzichten und "bedingungslos der Zerstörung ihres gesamten C-Waffenbestandes und ehemaliger Produktionseinrichtungen binnen zehn Jahren" zuzustimmen. Bush fordert eine internationale Zusammenarbeit, um die weitere Verbreitung chemischer Waffen zu verhindern.
15.5. - F r a n k r e i c h. Präsident Mitterrand beruft Edith Cresson zur ersten Premierministerin Frankreichs. Frau Cresson gehört ebenso wie ihr Vorgänger Michel Rocard (zum Amtsantritt vgl. "Blätter", 7/1988, S. 772) der Sozialistischen Partei (PS) an. - Am 3.6. legt die Regierung einen "Plan für die Rüstungsund Abrüstungskontrolle" vor, der ein weltweites Verbot der chemischen und bakteriologischen Waffen sowie die Reduzierung der vorhandenen Kernwaffenarsenale auf "das kleinste Niveau" fordert, "das mit der Erhaltung der Abschreckung vereinbar ist". Für die "sogenannten konventionellen Waffen" gelte es, "in allen Regionen ein Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten bzw. herzustellen". Eine besondere Rolle bei künftigen Vereinbarungen komme den Vereinten Nationen und insbesondere dem UN-Sicherheitsrat zu. In Paris wird außerdem angekündigt, Frankreich werde demnächst dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vom 1. Juli 1968 (Text in "Blätter", 7/1968, S. 767 ff.) beitreten.
- J u g o s l a w i e n. Der turnusmäßige Wechsel an der Spitze des kollektiven Staatspräsidiums (8 Mitglieder) scheitert an der Weigerung einer Mehrheit unter der Führung des Vertreter Serbiens, der Ernennung des Kroaten Stipe Mesic zuzustimmen. Damit ist das Land ohne formelles Staatsoberhaupt und ohne rechtmäßigen Oberbefehlshaber der Armee. Mesic zählt zu den Befürwortern der Umwandlung Jugoslawiens in einen Bund souveräner Staaten.
- U d S S R / C h i n a. Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Vorsitzende der Zentralen Militärkommission Chinas, Jiang Zemin, trifft auf Einladung von KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow in Moskau ein. Es handelt sich um die erste Visite eines chinesischen Parteichefs in der sowjetischen Hauptstadt seit dem Besuch von Mao Tse-tung im Jahre 1957. Die Außenminister Bessmertnych und Qian Qichen unterzeichnen am 16.5. einen Grenzvertrag.
16.-17.5. - B R D / F r a n k r e i c h. Die Botschaften beider Staaten in Mittel- und Osteuropa halten erstmals eine gemeinsame Konferenz ab. Den Vorsitz führen Bundesaußenminister Genscher und sein französischer Kollege Dumas. Nach der Zusammenkunft, die in Weimar stattfindet, wird ein Dokument mit dem Titel "Eine neue Architektur für Europa" veröffentlicht.
20.5. - B e r l i n. Vier frühere Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR, darunter Ministerpräsident Willi Stoph und Verteidigungsminister Heinz Kessler, werden auf Antrag der Staatsanwaltschaft in Haft genommen. Die Beschuldigung lautet auf Mitverantwortung an einem "Schießbefehl" an der innerdeutschen Grenze aus dem Jahr 1974. Mit der gleichen Begründung war ein Haftbefehl gegen den DDR Staatsratsvorsitzenden und SED-Generalsekretär Erich Honecker erlassen worden, der sich zur Zeit in Moskau aufhält (vgl. "Blätter", 5/1991, S. 517 f.).
21.5. - R h e i n l a n d - P f a l z. Der neue Landtag (zur Zusammensetzung vgl. "Blätter", 6/1991, S. 645) wählt mit 54 gegen 47 Stimmen den SPD-Landesvorsitzenden Rudolf Scharping zum Ministerpräsidenten. Scharping steht an der Spitze einer Koalitionsregierung von SPD und FDP, die die bisherige CDU/FDP Koalition ablöst. Im Kabinett ist die SPD mit zehn, die FDP mit zwei Ministern vertreten.
- Ä t h i o p i e n. Staatschef Mengistu Haile Mariam legt nach den schweren Niederlagen der Armee im Kampf gegen die auf die Hauptstadt Addis Abeba vorrückenden Widerstandsorganisationen seine Ämter nieder und geht ins Exil. Zum Nachfolger ernennt der Staatsrat den bisherigen Vizepräsidenten Tesfaye Gebre Kidan. Während die Bürgerkriegsparteien unter Vermittlung des amerikanischen Unterstaatssekretärs Cohen in London über einen Waffenstillstand verhandeln (27.-28.5.), marschieren die Einheiten des Widerstandes in die Hauptstadt ein und besetzen den Präsidentenpalast, das Verteidigungsministerium, den Flughafen und andere öffentliche Gebäude.
- A f g h a n i s t a n. UN-Generalsekretär Perez de Cuellar unterbreitet neue Vorschläge für "eine politische Lösung" zur Beilegung des Bürgerkrieges in Afghanistan. Notwendig sei ein "innerafghanischer Dialog" über die Details einer "Übergangsperiode", die zur Bildung einer Regierung mit breiter Mehrheit führen solle. Das afghanische Volk habe das Recht, "seine eigene Regierungsform zu bestimmen und sein wirtschaftliches, politisches und soziales System frei von äußerer Intervention" zu wählen.
- I n d i e n. Während seiner Wahlkampfreise fällt der Präsident der Kongreßpartei und frühere Premierminister Rajiv Gandhi im südindischen Staat Tamil Nadu einem Bombenanschlag zum Opfer. Die laufenden Parlamentswahlen werden ausgesetzt. Die Frau Gandhi's, Sonia Gandhi, lehnt es ab, den ihr angetragenen Vorsitz der Kongreßpartei zu übernehmen.
28.-29.5. - N A T O. Der Verteidigungs-Planungsausschuß (DPC) und die Nukleare Planungsgruppe (NPG) verabschieden auf einer gemeinsamen Sitzung in Brüssel die "Grundlagen einer neuen Streitkräftestruktur mit Hauptverteidigungs-, Eingreif- und Verstärkungskräften, einschließlich multinationaler Streitkräfte aller Art: zu Lande, in der Luft und zur See". Als Teil der Eingreifkräfte soll ein "Schnelles Eingreifkorps" (Rapid Reaction Corps) unter britischem Kommando mit einem multinationalen Hauptquartier aufgestellt werden. In einem Kommuniqué über die Beschlüsse heißt es an anderer Stelle, die NATO könne "für die vorhersehbare Zukunft" auf Nuklearwaffen nicht verzichten.
28.-31.5. - S P D. Auf dem Bundesparteitag in Bremen gibt HansJochen Vogel den Parteivorsitz ab (vgl. "Blätter", 8/1987, S. 994); Vogel bleibt Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Zum neuen Parteivorsitzenden wird mit 458 von 470 gültigen Stimmen bei sieben Gegenstimmen und fünf Enthaltungen der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm gewählt. Der Parteitag bestätigt die vier bisherigen Stellvertreter Wolfgang Thierse (mit 423 Stimmen), Johannes Rau (408), Oskar Lafontaine (386) und Hertha Däubler-Gmelin (376) in ihren Funktionen und bestimmt Karlheinz Blessing mit 424 Stimmen zum Nachfolger von Anke Fuchs als Bundesgeschaftsführer. Nach kontroverser Debatte verabschieden die Delegierten einen Beschluß zum Einsatz der Bundeswehr innerhalb der NATO, der WEU und im Rahmen der Vereinten Nationen (Text in "Dokumente zum Zeitgeschehen"). In einem gesonderten Votum befürwortet der Parteitag eine Volksabstimmung über den künftigen Sitz von Regierung und Parlament.
31.5. - A n g o l a. Im portugiesischen Außenministerium in Lissabon unterzeichnen der angolanische Präsident Eduardo Dos Santos und Jonas Savimbi, Chef der Widerstandsorganisation UNITA, ein Abkommen über die Beendigung des Bürgerkrieges (zur Paraphierung vgl. "Blätter", 6/1991, S. 646). Gastgeber ist der portugiesische Ministerpräsident Cavaco Silva, anwesend sind außerdem UN-Generalsekretär Perez de Cuellar, der Präsident der Organisation für Afrikanische Einheit Museveni sowie die Außenminister Baker (USA) und Bessmertnych (UdSSR). Die Einhaltung des Vertrages soll von einer Kommission überwacht werden, der Vertreter Portugals, der USA und der UdSSR als Beobachter angehören. Zur Überwachung des Waffenstillstandes wird eine UN-Truppe von 500 Mann aufgestellt.
2.6. - H a m b u r g. Bei den Bürgerschaftswahlen kann die Sozialdemokratie unter Bürgermeister Henning Voscherau die absolute Mehrheit zurückgewinnen. Die Christdemokraten müssen starke Einbußen hinnehmen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis entfallen (Angaben in %) auf die im Landesparlament vertretenen Parteien: SPD 48,0 (1987: 45,0), CDU 35,1 (40,5), Grüne/GAL 7,2 (7,0), FDP 5,4 (6,5). Die Wahlbeteiligung beträgt nur 66,1% (79,5%). Zusammensetzung der neuen Bürgerschaft (121 Abgeordnete, bisher 120 Abgeordnete): SPD 61 (55), CDU 44 (49), Grüne/GAL 9 (8), FDP 7 (8). (Zu den Ergebnissen der Wahl vom 17. Mai 1987 vgl. "Blätter", 2/1988, S. 253.) Nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse erklärt der FDP-Spitzenkandidat und stellvertretende Bürgermeister Ingo v. Murch, seine Partei werde die bisherige Koalition mit der SPD angesichts der geänderten Mehrheitsverhältnisse nicht fortsetzen.
2.-3.6. - E G. Auf Einladung von Bundesaußenminister Genscher treffen sich die Außenminister der Gemeinschaft erstmals in Ostdeutschland. Nach der Zusammenkunft in der sächsischen Hauptstadt Dresden erklärt der Ratsvorsitzende Poos (Luxemburg), die Minister seien sich der Schwierigkeiten bewußt geworden, die die Eingliederung der neuen Bundesländer in die EG und die Bundesrepublik nach sich ziehen werde.
4.6. - A l b a n i e n. Unter dem Druck der Opposition und nach anhaltenden Streikaktionen der Gewerkschaften tritt die Regierung unter Ministerpräsident Fatos Nano zurück (zur Zusammensetzung des Parlaments nach den Wahlen vom März/April d.J. vgl. "Blätter", 6/1991, S. 644). Mit der Bildung eines Übergangskabinetts, das auch Neuwahlen vorbereiten soll, wird der bisherige Ernährungsminister Ylli Bufi beauftragt.
5.6. - A l g e r i e n. Präsident Chadli Bendjedid verhängt den Ausnahmezustand und nimmt den Rücktritt der Regierung unter Ministerpräsident Hamrouch entgegen. Die für den 27. Juni d.J. angesetzten Wahlen werden auf unbestimmte Zeit verschoben. Hintergrund der Maßnahmen sind gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und islamischen Fundamentalisten, die u.a. den Rücktritt des Präsidenten fordern.