Geschichte als Politik
In 10 bis 15 Jahren, das hat uns der Politikwissenschaftler Hans-Peter Schwarz verraten, werden wir auf fundierte Erträge zeitgeschichtlicher Forschung über Einheit und Vereinigung zurückgreifen können. Über Bewertungen hat er sich nicht geäußert. Nimmt man aber die derzeit kursierenden Äußerungen zum Maßstab, kommt man leicht zu dem folgenden Eindruck, der sich in einem Zukunftsbild ausmalen läßt.
Ein Schüler, der um die Jahrtausendwende sein neues Geschichtsbuch aufschlägt, stößt auf eine eigenartig zergliederte Geschichtslandschaft. Den Hauptteil des Buches, das unter dem Titel „Die Rückkehr Deutschlands, 1914-1999" steht, belegt die eingehende Analyse und Darstellung der „40 Erfolgsjahre Westdeutschlands". Gut zwei Drittel des Bandes sind damit gefüllt. Wohnt der Schüler in Ostdeutschland und möchte er wissen, welche geschichtlichen Erfahrungen den Erziehungsstilen seiner Eltern und Großeltern zugrunde liegen, wird er enttäuscht werden, es sei denn, er versteht, zwischen den Zeilen zu lesen. Nur ein schmächtiges Kapitel des Lehrbuchs nimmt sich unter der Überschrift „40 verlorene Jahre im Osten" der Lebenswelt seiner unmittelbaren Vorfahren an. Die restlichen Abschnitte beschäftigen sich exkursartig mit den 12 Jahren der „Heimsuchung" und ihrer Weimarer Vorgeschichte.