Mittlerweile ist es überdeutlich und wird auch kaum noch ernsthaft bestritten: Europa befindet sich in einer tiefen Krise. Gemeint ist nicht mehr nur die Transformationskrise Osteuropas, sondern der bislang strukturierende Kern, der Hoffnungsträger einer neuen, gesamteuropäischen Architektur: die Europäische Gemeinschaft ist in Frage gestellt. Ausgehend von der dänischen Absage an Maastricht schien es sich zunächst lediglich um ein Wahrnehmungs- bzw. ein Darstellungsproblem zu handeln. Die EG-Regierungen hatten es augenscheinlich versäumt, die im Kern scheinbar unangefochtene Integrationspolitik — von dem Binnenmarktprojekt über die Einheitliche Europäische Akte bis hin zum Maastricht-Vertrag — ihren jeweiligen Landsleuten ausreichend zu vermitteln. Zu selbstgefällig hatten die politischen Klassen auf eine bereits hinreichend stabile europäische Identität gesetzt. Spätestens nach dem äußerst knappen Referendum in Frankreich mußten sie einsehen, daß diese Akzeptanz wohl selbst in Kernländern der EG (noch?) nicht vorausgesetzt werden kann. Die Reaktion bestand allerdings nicht in einer Überarbeitung der Integrationspolitik der letzten Jahre, sondern — auch in der Bundesrepublik Deutschland, wo der Ausgang eines Referendums ebenfalls ungewiß wäre — vorwiegend in PR-Erwägungen nach dem Motto „Wie sag ich's meinem Volke?".
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.