Ausgabe Januar 1993

Chronik vom 6. November bis 5. Dezember 1992

8.11. - N a h e r O s t e n. Die israelische Armee setzt ihre Luftangriffe auf Ziele im Südlibanon fort. Die Aktion richtet sich gegen Stellungen arabischer Widerstandsgruppen und gegen Unterkünfte der proiranischen Hizbullah-Miliz in der von Israel beanspruchten "Sicherheitszone". In einer Mitteilung der Armeeführung heißt es, eigene Verluste habe es nicht gegeben. - Vom 9.19.11. findet in Washington ein weiterer Meinungsaustausch der Delegationen Israels, Syriens, Jordaniens, des Libanon, sowie einer Vertretung der Palästinenser aus den besetzten Gebieten statt. Die bilateralen Gespräche waren kurzfristig unterbrochen worden, um das Ergebnis der amerikanischen Präsidentschaftswahlen abzuwarten (vgl. "Blätter", 12/1992, S. 1413). - Am 15.11. empfängt Präsident Mubarak in Kairo den israelischen Außenminister Peres. In Presseberichten heißt es, im Mittelpunkt der vertraulichen Unterredung habe die Bemühung beider Seiten gestanden, Bewegung in die festgefahrenen Nahost-Verhandlungen in Washington zu bringen. Zuvor hatte sich der PLO-Vorsitzende Arafat in der ägyptischen Hauptstadt aufgehalten. Am gleichen Tag vereinbaren die Verteidigungsminister der im Golf-Kooperationsrat (Gulf Cooperation Council/GCC) zusammengeschlossenen Staaten auf einer Zusammenkunft in Kuwait-City eine engere militärische Zusammenarbeit. Die während des Golfkrieges aufgestellte gemeinsame Streitmacht ("Peninsula Shield", die derzeit 10000 Mann umfaßt und die im Nordosten Saudi-Arabiens stationiert ist, soll erhalten bleiben und je nach Bedarf vergrößert oder verkleinert werden. Katar, eines der sechs Mitglieder des Kooperationsrates, nimmt wegen eines Grenzstreits mit Saudi-Arabien an dem Treffen in Kuwait-City nicht teil. - Am 2.12. votiert das israelische Parlament (Knesset mit der knappen Mehrheit von 37 gegen 36 Stimmen in erster Lesung für ein Gesetz über die Aufhebung des Verbots von Kontakten zur Palästinensischen Befreiungs-Organisation (PLO).

9.11. - K S Z E. Der im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zwischen den Mitgliedern der NA TO und der Warschauer Vertrags-Organisation geschlossene "Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa" (KSE-Vertrag) vom 19. November 1990 (Auszüge in "Blätter", 1/1991, S. 116 ff.) tritt in Kraft. Als letzte der jetzt 29 Vertragsstaaten hatten Belarus (Weißrußland) und Kasachstan zehn Tage zuvor die Ratifikationsurhunden hinterlegt. - E G. Der französische Präsident Mitterrand übt Kritik an der Entscheidung des britischen Premierministers Major, die Verträge von Maastricht erst nach einem zweiten dänischen Referendum im Unterhaus zur Ratifizierung vorzulegen (vgl. "Blätter", 12/1992, S. 1414). In einem Fernsehinterview bezeichnet Mitterrand diese Terminverschiebung als inakzeptabel. - Am 30.11. einigen sich die Innenminister der Gemeinschaft bei einer Konferenz in London auf gemeinsame Maßnahmen zur Einschränkung von Asylverfahren. In Presseberichten heißt es, aus den Verfahren sollten künftig Personen ausgeschlossen bleiben, die bereits in Drittländern Asylanträge gestellt haben. Außerdem werde erwogen eine Liste sogenannter Nichtverfolger-Staaten aufzustellen. - Am 3.12. legt der britische Premierminister und EG-Ratspräsident Major einen Plan vor, der Dänemark auch nach dem ablehnenden Votum der Bevölkerung (vgl. "Blätter", 7/1992, S. 774) die Ratifizierung des Vertrages von Maastricht ermöglichen soll. Die in Verhandlungen zwischen verschiedenen EG-Regierungen ausgearbeiteten Vorschläge sichern Dänemark einen permanenten Sonderstatus, nach dem die Regierung in Kopenhagen auf dem Gebiet der Verteidigung, der einheitlichen Währung und der europäischen Staatsbürgerschaft nicht an die Ziele der Gemeinschaft gebunden ist.

- G r o ß b r i t a n n i e n / R u ß l a n d. Der britische Premierminister Major und der russische Präsident Jelzin unterzeichnen in London einen umfangreichen Kooperationsvertrag sowie Vereinbarungen über wirtschaftliche, technische und militärische Zusammenarbeit. Vorgesehen ist u.a. die Einrichtung einer direkten Kommunikationsverbindung zwischen dem Kreml und dem Amtssitz der britischen Premierminister in der Downing Street. In einer Rede vor den Abgeordneten von Unter- und Oberhaus warnt Jelzin am 10.11. vor den Gefahren eines Staatsstreichs in Rußland. Es gebe Kräfte, die an einem solchen Coup interessiert seien.

10.11. - U N 0. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stimmt in New York der Entsendung von 75 Beobachtern nach Bosnien-Herzegowina zu, um die Einhaltung des Flugverbots für Militärmaschinen der Bürgerkriegsparteien zu überwachen (vgl. "Blätter", 12/1992, S. 1412). Die entsprechende Resolution geht auf einen Lagebericht von UN-Generalsekretär Boutros Ghali zurück und wird einstimmig verabschiedet. Am 16.11. verschärft der Sicherheitsrat (bei Stimmenthaltung Chinas und Simbabwes) die Sanktionen gegen Serbien und Montenegro (vgl. "Blätter", 7/1992 S. 773) und verfügt u.a. eine Kontrolle des Schiffsverkehrs. Zur Durchsetzung der Embargo-Maßnahmen soll künftig auch die Anwendung von Gewalt erlaubt sein. Kriegsschiffe der NATO beginnen am 22.11. mit verschärften Kontrollen in der Adria. An der Aktion, die den Codenamen "Maritime Guard" trägt, sind sieben Flotteneinheiten beteiligt. - Am 19.11. verhängt der Sicherheitsrat einstimmig ein Waffenembargo gegen Liberia, wo seit 1989 ein Bürgerkrieg stattfindet. - Am 24.11. stimmt die Generalversammlung in New York mit 59 gegen drei Stimmen (USA, Israel und Rumänien) einem von Kuba vorgelegten Resolutionsentwurf zu, der sich gegen den von US-Präsident Bush am 23. Oktober d.J. unterzeichneten "Cuban Democracy Act" richtet, der eine Ausweitung des Handelsembargos gegen Kuba vorsieht. Zu den 71 Enthaltungen gehören u.a. die Mehrzahl der EG-Staaten sowie Rußland. - Am 3.12. folgt der Sicherheitsrat einer Empfehlung des UN-Generalsekretärs und stimmt der Aufstellung einer multinationalen Truppe für Somalia zu. Die einstimmig angenommene Resolution räumt den am Militäreinsatz beteiligten Staaten das Recht ein, "alle notwendigen Mittel" einzusetzen, "um ein sicheres Umfeld für die humanitären Hilfsaktionen in Somalia so rasch wie möglich herzustellen". US-Präsident Bush gibt noch am gleichen Tage den Marschbefehl für mehr als 25000 US-Soldaten.

- Z y p e r n. Verhandlungen am Sitz der Vereinten Nationen in New York über die Zukunft der geteilten Mittelmeerinsel werden ohne Ergebnis vertagt. Der Vertreter des türkischen Bevölkerungsteils kündigt eine Fortsetzung für März 1993 an.

12.11. - F r a n k r e i c h / R u ß l a n d. Beide Regierungen schließen einen Vertrag, der die Beteiligung Frankreichs an der Vernichtung von Atomsprengköpfen der ehemaligen Sowjetunion vorsieht. Es geht dabei vor allem um die Zerlegung der Atomladungen und die Lagerung des radioaktiven Materials durch Bereitstellung von Spezialcontainern und Strahlenschutzgerät. Das Abkommen wird von den Außenministers Dumas (Frankreich) und Kosyrew (Rußland) in Paris unterzeichnet.

3.11. - G U S. Die Regierungschefs der Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) können sich bei einer Zusammenkunft in Moskau nicht auf den Text für eine Charta der Staatengemeinschaft einigen. Der ukrainische Ministerpräsident Kutschma erklärt dazu, der Entwurf sei in der vorliegenden Form nicht unterschriftsreif. Die Beziehungen der Republiken untereinander könne man am besten auf bilateraler Ebene weiterentwickeln.

16.11. - U k r a i n e. Präsident Krawtschuk erklärt in Kiew gegenüber NATO-Oberbefehlshaber Shalikashvili (USA), falls der Westen seinem Land keine wirtschaftliche und militärische Hilfe leiste, werde das Parlament den Vertrag mit den USA über die Reduzierung der strategischen Uernwaffen (START II) möglicherweise nicht ratifizieren. Die Ukraine habe ihre taktischen Atomwaffen zur Vernichtung nach Rußland verbracht, dafür jedoch bisher keine Gegenleistungen erhalten. 16.-17.11. - S P D. Die Sozialdemokratische Partei hält in Bonn einen Sonderparteitag ab, um den Kurs in der Frage einer möglichen Grundgesetzänderung zum Asylrecht sowie zum "Blauhelm"-Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen neu zu bestimmen. Der Vorsitzende Engholm fordert die Partei in einem Grundsatzreferat zur "Regierungsfähigkeit" auf. Die von einer Kommission ausgearbeiteten Leitanträge werden mit großer Mehrheit angenommen. Zu Beginn des Parteitages gedenken die Delegierten des am 8. Oktober d.J. verstorbenen SPD-Ehrenvorsitzenden und früheren Bundeskanzlers Willy Brandt.

17.-18.11. - I s r a e l / B R D. Bundesaußenminister Kinkel besucht Israel, wo er u.a. mit Außenminister Peres und Ministerpräsident Rabin zusammentrifft. In Presseberichten heißt es, bei den Gesprächen habe die Besorgnis der israelischen Regierung über die ausländerfeindlichen und antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland eine große Rolle gespielt. Der Parlamentsvorsitzende Weiss fordert gegenüber dem Bundesaußenminister eine Verschärfung der Gesetze, um neonazistische Aktivitäten schärfer ahnden zu können.

18.-20.11. - K o r e a / R u ß l a n d. Bei seiner ersten Asienreise besucht der russische Präsident Jelzin die Republik Korea (Südkorea). Vor dem Parlament in Seoul schlägt Jelzin ein multinationales Gremium für sicherheitspolitische Konsultationen in Asien vor. Rußland sei zur Bekanntgabe aller militärischen Informationen bereit.

19.11. - N o r w e g e n. Das Parlament (Storting) ermächtigt die Regierung mit 104 gegen 55 Stimmen bei sechs Enthaltungen, einen Antrag auf Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften zu stellen. Im September 1972 hatte die Bevölkerung in einem Referendum den EG-Beitritt abgelehnt (vgl. "Blätter, 10/1972, S. 1019). 20.11. - W E U. Die Außen- und Verteidigungsminister der Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union (WEU erörtern in Rom die Erweiterung der Organisation sowie die Stärkung ihrer "operationellen Rolle". Eingeladen sind auch die EG-Präsidentschaft sowie der NATO-Generalsekretär. In einem Kommuniqué heißt es u.a., man habe "die Dokumente vereinbart, die erforderlich sind, damit Griechenland Vollmitglied der WEU, Dänemark und Irland Beobachter sowie Island, Norwegen und die Türkei assoziierte Mitglieder der WEU werden können".

23.11. - R u ß l a n d. Präsident Jelzin erklärt gegenüber führenden Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums, er werde im nächsten Jahr keine Kürzung der Militärausgaben zulassen. Die Nachrichtenagentur ITAR/TASS berichtet, Jelzin habe seine Ankündigung mit der Kriegsgefahr an der russischen Südgrenze begründet.

24.11. - T ü r k e i / B R D. Die Regierung in Ankara protestiert gegen den Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Haus in Mölln (Schleswig-Holstein), bei dem drei Bewohner ums Leben gekommen waren. In einer Erklärung des Außenministeriums heißt es, die Türkei habe die Bundesregierung schon vor einiger Zeit aufgefordert, türkische Bürger vor rassistischen Anschlägen zu schützen. Gegenüber dem deutschen Botschafter wird die Forderung nach "moralischer und materieller Entschädigung der Familien der Opfer" erhoben.

- P h i l i p p i n e n / U S A. Nach fast 100 Jahren beenden die Vereinigten Staaten formell ihre militärische Präsenz auf den Philippinen. Präsident Ramos erklärt dazu, sein Land sei seit der spanischen Besetzung im Jahre 1571 zum ersten Mal frei von ausländischen Streitkräften.

25.11. - L i t a u e n. Auf seiner konstituierenden Sitzung wählt das Parlament in Vilnius den Vorsitzenden der Litauischen Demokratischen Arbeiterpartei (LDAP), Algirdas Brazauskas, zum Parlamentspräsidenten und damit zum amtierenden Staatsoberhaupt. Die von Brazauskas geführte Partei, die aus der Kommunistischen Partei Litauens hervorgegangen ist, hatte bei den Parlamentswahlen am 25.10. und 15.11. die absolute Mehrbeit der Mandate erhalten.

- T s c h e c h o s l o w a k e i. Das Bundesparlament verabschiedet in dritter Lesung das Gesetz über die Auflösung des im Jahre 1918 gegründeten Staates. Der entscheidende Passus lautet: "Die Tschechische und Slowakische Föderative Republik hört nach dem 31. Dezember 1992 auf, zu existieren."

27.11. - B u n d e s r e g i e r u n g. Das Bundesinnenministerium ordnet ein Verbot der rechtsextremen "Nationalistischen Front" an.

2.12. - B u n d e s t a g. Das Parlament ratifiziert auf einer Sondersitzung in Bonn mit 543 gegen 17 Stimmen bei acht Enthaltungen den Vertrag von Maastricht ("Vertrag über die Europäische Union"; vgl. "Blätter", 4/1992, S. 388) und verabschiedet in diesem Zusammenhang eine Reihe von Änderungen des Grundgesetzes, die die Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat an der Ausführung des Vertrages regeln.

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