Ausgabe Mai 1993

BRD: Die Wut der Wähler

1. Ignoranz und Arroganz der politischen Kaste

Die politischen Akteure und der gegenwärtige Zustand der Parteien stellen für die Wähler im Frühjahr 1993 ein größeres Problem dar als der Zustrom von Asylbewerbern, die gewalttätigen Aktionen gegen Ausländer, die ökonomische Lage im Lande oder die Finanzierungsprobleme der deutschen Vereinigung. Nur die Lage am Arbeitsmarkt wird von den Bürgern als problematischer empfunden. Der Unmut über Politiker und Parteien richtet sich sicherlich auch gegen einzelne in Affären verstrickte Akteure. Gemeint aber sind in erster Linie die Politiker insgesamt, die die Sorgen und Nöte, Ängste und Probleme, Interessen und Bedürfnisse der Bürger nicht mehr kennen und auch gar nicht mehr kennenlernen wollen. Da mögen sich Politiker noch so sehr gegen das "Gerede von der politischen Klasse" wehren, es für analytisch "falsch" halten und sich dagegen aussprechen, die "Unterschiede zwischen Politikern und Parteien zu vermischen" 1).

Die Bürger empfinden inzwischen alle politischen Akteure bei allen auch ihnen bekannten Unterschieden zwischen einzelnen Personen und Parteien als eine "politische Kaste", die sich in einem einig ist, nämlich in der Abschottung denen gegenüber, deren Interessen sie eigentlich vertreten sollen.

Mai 1993

Sie haben etwa 7% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 93% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Politik vor Recht: Die Aushöhlung der liberalen Demokratie

von Miguel de la Riva

Als der FPÖ-Chefideologe und heutige Parteivorsitzende Herbert Kickl im Januar 2019 in einem ORF-Interview darauf angesprochen wurde, dass seine Asylpläne an die Grenzen von EU-Recht, Menschenrechtskonvention und Rechtsstaat stoßen, antwortete der damalige österreichische Innenminister, „dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“.

Ernst, aber nicht hoffnungslos

von Thorben Albrecht, Christian Krell

Spätestens seit Ralf Dahrendorfs berühmt gewordener These vom „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ gehören SPD-Niedergangsprognosen zu den Klassikern der parteibezogenen Publizistik. Die Partei hat diese Prognose bisher um 42 Jahre überlebt. Aber das konstituiert keine Ewigkeitsgarantie.