Ausgabe September 1993

Sozialdemokratie: weltweit in der Krise

Vor knapp einem Jahr verstarb Willy Brandt, damaliger Präsident der Sozialistischen Internationale (SI) und Ehrenvorsitzender ihres wohl bedeutendsten Mitglieds, der SPD. Im Nachhinein betrachtet erscheint der damit zweifellos verbundene historische Einschnitt um so gravierender, als seitdem immer deutlicher hervortritt, daß auch das "Projekt" dieses historischen Führers der deutschen und internationalen Sozialdemokratie vor dem Zusammenbruch steht. Ich meine damit, daß Brandt in den 70er und wohl mehr noch in den 80er Jahren für den Versuch stand, der Sozialdemokratie eine neue Perspektive im Übergang zum nächsten Jahrhundert zu eröffnen und jene Lügen zu strafen, die das "Ende des sozialdemokratischen Zeitalters" deklamierten. Es ging - kurz formuliert - darum, den Weg vom eurozentrischen Reformismus des keynesianischen Wohlfahrtsstaates zu einem global orientierten Reformismus des ökologisch-sozialen Umbaus der Industriegesellschaft zu finden. Hierfür steht nicht zuletzt das "Berliner Grundsatzprogramm" der SPD, das im Dezember 1989 das berühmte Godesberger Programm ablöste. Brandt erwartete in dieser Perspektive die Impulse von seinen "Enkeln" in Deutschland - aber auch in den westeuropäischen Nachbarländern (an allererster Stelle von Felipe Gonzalez).

September 1993

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