Ausgabe März 1994

Chronik vom 6.Januar bis 5.Februar 1994

7.1. - N a h e r O s t e n. Jordanien und die Palästinensische Befreiungs-Organisation (PLO) einigen sich auf Prinzipien für die künftige Kooperation in der Wirtschafts-, Geld- und Währungspolitik. Eine entsprechende Vereinbarung bezeichnet den Gazastreifen und Jordanien als einen gemeinsamen Markt. - Am 10.1. treffen Vertreter Israels und der PLO erneut zusammen, um die Meinungsverschiedenheiten über die Modalitäten des israelischen Truppenabzuges aus dem Gebiet von Gaza und Jericho beizulegen (vgl. "Blätter", 2/1994, S. 135). Die Verhandlungsrunde in Taba bleibt jedoch ohne Ergebnis. - Am 16.1. führt der amerikanische Präsident Clinton in Genf ein Gespräch mit dem syrischen Präsidenten Asad. Auf die Frage eines Journalisten, ob Asad eine "bindende Verpflichtung" zur Normalisierung der Beziehungen zu Israel eingegangen sei, antwortet Clinton: "Die kurze Antwort lautet Ja." Asad wolle den Konflikt mit Israel beenden und einen Frieden mit diesem Staat schließen, der zu normalen und friedlichen Beziehungen führt. - Am 18.1. weist der syrische Außenminister Charea in Amman den Vorschlag Israels zurück, ein Referendum über die Zukunft der Golanhöhen abzuhalten. Israel habe kein Recht, seinen Abzug aus den 1967 eroberten Gebieten von Bedingungen abhängig zu machen. - Am 22.1. setzen der israelische Außenminister Peres und der PLO-Vorsitzende Arafat ihren Meinungsaustausch fort. Die Begegnung findet in Oslo am Rande der Trauerfeierlichkeiten für den am 13.1. verstorbenen norwegischen Außenminister Johan Jorgen Holst statt, der die Vereinbarung zwischen Israel und der PLO vom September 1993 vermittelt hatte (vgl. "Blätter", 10/1993, S. 1163 f. und S. 1280 ff.). - Am 27.1. bestätigt der israelische Ministerpräsident Rabin eine Mitteilung des jordanischen Königs Hussein über mehrere geheime Begegnungen zwischen beiden Politikern in der Vergangenheit. Hussein hatte zuvor in Washington erklärt, er hoffe, schon bald in aller Öffentlichkeit mit dem israelischen Regierungschef zusammenzutreffen.

N A T O. Der amerikanische Außenminister Christopher wendet sich gegen die von verschiedenen Seiten erhobene Forderung, einigen osteuropäischen Staaten die sofortige Mitgliedschaft in der nordatlantischen Allianz anzubieten (vgl. "Blätter", 2/1994, S. 134). Ein solcher Schritt würde die Gefahr neuer Blöcke heraufbeschwören. - Am 8.1. bekräftigt Außenminister Kosyrew die russische Warnung vor einer schnellen Osterweiterung der Allianz und schlägt eine "Strategie der Partnerschaft" mit dem Westen vor. In einem Artikel für die Frankfurter Rundschau schreibt Kosyrew, falls die NATO sich voreilig nach Osten ausdehne, könne in Europa eine gefährliche Lage entstehen. Zur zentralen Organisation der militärischen Zusammenarbeit solle der Nordatlantische Kooperationsrat ausgebaut werden. - Vom 10. bis 11.1. findet in Brüssel ein NATO-Gipfel statt. Präsident Clinton erläutert das von den USA eingebrachte Programm einer 'Partnerschaft für den Frieden' (Partnership for Peace) für die Zusammenarbeit mit den Staaten Ost- und Mitteleuropas (vgl. "Blätter", 1/1994, S. 6). Die Staats- und Regierungschefs verabschieden eine Erklärung und unterzeichnen das Rahmendokument Partnerschaft für den Frieden (Texte in "Blätter", 2/1994, S. 237 ff.). In dem Rahmendokument heißt es u.a.: Die NATO wird mit jedem aktiven Teilnehmer an der Partnerschaft in Konsultationen eintreten, wenn dieser Partner eine direkte Bedrohung seiner territorialen Integrität, politischen Unabhängigkeit oder Sicherheit sieht. In der "Erklärung der Staats- und Regierungschefs" wird festgestellt, die Allianz bleibe "für die Mitgliedschaft anderer europäischer Staaten" offen. Vom 11. bis 12.1. führt Clinton in Prag Gespräche mit den Präsidenten und Regierungschefs der 'Visegrad-Gruppe' (Tschechische Republik, Polen, Slowakei und Ungarn). Von Prag aus reist Clinton in die Ukraine, nach Rußland und Belarus (Weißrußland). Am 26.1. unterzeichnet Rumänien in Brüssel als erstes osteuropäisches Land die Kooperationsvereinbarung "Partnerschaft für den Frieden". Der rumänische Außenminister Malescanu erklärt bei der Zeremonie im NATO-Hauptquartier, sein Land betrachte diesen Schritt als Vorstufe zur Mitgliedschaft in der Allianz.

9.-10.1. - J u g o s l a w i e n. Auf Einladung der Bundesregierung treffen auf dem Petersberg bei Bonn der kroatische Präsident Tudjman und der bosnische Präsident Izetbegovic zusammen. Präsident Tudjman legt Pläne für eine Wirtschafts-, Währungs- und Zollunion zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina vor, weist jedoch die bosnischen Forderungen nach einem eigenen Zugang zur Adria zurück. Izetbegovic sagt eine Prüfung der Vorschläge zu, Bundesaußenminister Kinkel kommentiert die Begegnung mit den Worten, man habe ein paar kleine Schritte vorwärts registrieren können. - Am 17.1. nehmen die Außenminister von acht Staaten der Islamischen Konferenz-Organisation (OIC) in Genf Beratungen über den Konflikt in Bosnien-Herzegowina auf, an denen auch der bosnische Ministerpräsident Silajdzic teilnimmt. - Am 19.1. unterzeichnen der kroatische Präsident Tudjman und der serbische Präsident Milosevic am Rande der Bosnien-Konferenz in Genf einen Normalisierungsvertrag, der den Austausch ständiger Vertreter vorsieht. Beide Regierungen versichern einander, für eine gerechte und dauerhafte Lösung der Krise in der Region arbeiten zu wollen. - Am 21.11. erklärt UN-Generalsekretär Boutros Ghali, er sei grundsätzlich bereit, Luftangriffe der NATO auf Stellungen der bosnischen Serben zu genehmigen. Einen entsprechenden Antrag müsse sein Jugoslawien-Beauftragter Akashi stellen. - Am 24.1. übernimmt der britische General Michael Rose das Kommando der UNTruppen in Bosnien. Der General unterstreicht bei dieser Gelegenheit das Recht der Blauhelme, Angriffe mit militärischen Aktionen zu beantworten. - Am 2.2. besuchen die Ministerpräsidentinnen der Türkei und Pakistans, Tansu Ciller und Benazir Bhutto, gemeinsam Sarajewo. In Presseberichten heißt es, die beiden Politikerinnen wollten mit ihrer Reise die Unterstützung der islamischen Länder für die bosnische Seite demonstrieren.

11.1. - R u ß l a n d. Das neugewählte Zwei-Kammer-Parlament, die Staatsduma (450 Abgeordnete), und der Föderationsrat (171 Vertreter aus den Regionen), konstituiert sich in Moskau (vgl. "Blätter", 2/1994, S. 135). Stärkste Fraktion in der Staatsduma ist der vom stellvertretenden Ministerpräsidenten Jegor Gajdar geführte Block "Wahl Rußlands" mit 96 Abgeordneten; es folgen die extrem nationalistische Liberaldemokratische Partei Rußlands (LDPR) unter ihrem Vorsitzenden Vladimir Shirinowski mit 70 Abgeordneten sowie die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 65 Abgeordneten. Insgesamt sind in der ersten Kammer zwölf Parteien und eine Gruppe Unabhängiger vertreten. Vor der Duma verliest Ministerpräsident Tschernomyrdin eine Grußbotschaft von Präsident Jelzin und erklärt anschließend, die Regierung werde in Zukunft "ungerechtfertigte Sprünge und nicht durchdachte Schockmethoden" vermeiden: "Wir denken über eine Korrektur unseres Programms und der praktischen Maßnahmen nach." Jelzin kündigt vor dem Föderationsrat eine Fortsetzung der Wirtschaftsreformen an. Es liege jetzt am Parlament, die notwendigen Gesetze zu verabschieden, Gajdar teilt am 16.1. mit, er werde dem neuen Kabinett von Ministerpräsident Tschernomyrdin nicht angehören. Am 18.1. erklärt Außenminister Kosyrew auf einer Konferenz russischer Botschafterin Moskau: "Die Länder der GUS und das Baltikum sind das Gebiet, in dem die grundsätzlichen Lebensinteressen Rußlands konzentriert sind. Die strategische Aufgabe bestehe darin, daß unsere militärische Präsenz in dieser Region erhalten bleibt".

12.-15.1. - R u ß l a n d / U S A. Der amerikanische Präsident Clinton und der russische Präsident Jelzin konferieren in Moskau. In einer "Moskauer Deklaration" der beiden Präsidenten heißt es, man stimme darin überein, "daß es notwendig sei, ein neues System der europäischen Sicherheit zu schaffen, das offen für alle, frei von Diskriminierungen und auf die praktische Zusammenarbeit sowohl im politischen Bereich als auch im Bereich der Sicherheit ausgerichtet ist". Rußland werde sich aktiv an dem in Brüssel beschlossenen Programm einer "Partnerschaft für den Frieden" beteiligen und umfassende Abkommen schließen, "die den Weg für eine breite und intensive Zusammenarbeit Rußlands mit der NATO" eröffnen. Jelzin und Clinton veröffentlichen eine gemeinsame "Erklärung über die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen" sowie eine "Erklärung zu den Menschenrechten".

14.1. - A b r ü s t u n g. Die Präsidenten Jelzin (Rußland), Clinton (USA) und Krawtschuk (Ukraine) unterzeichnen in Moskau ein dreiseitiges Abkommen, das die Verlegung der nuklearen Gefechtsköpfe vom Territorium der Ukraine nach Rußland und deren anschließende Vernichtung regelt (vgl. "Blätter", 1/1994, S. 5). Die Vereinbarung sieht technische und finanzielle Hilfe sowie die Lieferung niedrig angereicherten Urans für die Kernkraftwerke der Ukraine vor. Rußland und die USA erklären ihre Bereitschaft, der Ukraine "Sicherheitsgarantien" zu gewähren. Präsident Krawtschuk kündigt den möglichst baldigen Beitritt der Ukraine" zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen an. - Am 18.1. ratifizieren Chile und Argentinien den Vertrag über das Verbot von Kernwaffen in Lateinamerika (Vertrag von Tlatelolco) vom 14. Februar 1967 (Text in "Blätter", 9/1967, S. 964 ff.). Brasilien kündigt ebenfalls seinen Beitritt zu diesem Vertrag an. - Am 25.1. beginnt in Genf eine neue Sitzungspeode der Abrüstungskonferenz (Conference on Disarmament/CD). Auf der Tagesordnung stehen ein umfassendes Verbot für alle Kernwaffenversuche sowie eine Erweiterung des Gremiums von gegenwärtig 37 auf 60 Staaten.

16.1. - I t a l i e n. Staatspräsident Scalfaro löst das Parlament (Senat und Abgeordnetenkammer) auf. Zuvor war die Regierung unter Ministerpräsident Ciampi zurückgetreten. In Presseberichten werden die vorzeitigen Neuwahlen am 27.3. d.J. als ein Versuch bezeichnet, einen Ausweg aus der politischen Krise des Landes zu finden (vgl. "Blätter", 9/1993, S. 1034).

25.1. - U S A. Präsident Clinton erklärt in seinem "Bericht zur Lage der Nation" vor beiden Häusern des Kongresses in Washington, die beste Strategie zur Gewährleistung der Sicherheit der Vereinigten Staaten besteht in der Unterstützung der demokratischen Reformkräfte in Rußland und den anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Sowjetblocks. Die Regierung wolle die amerikanische Führungsrolle in der Welt erneuern und mit Rußland bei der Lösung regionaler Probleme zusammenarbeiten.

26.1. - B e l a r u s. Das Parlament in der weißrussischen Hauptstadt Minsk stimmt für die Absetzung seines amtierenden Präsidenten Stanislaw S. Schuschkewitsch, der gleichzeitig Staatsoberhaupt ist. Das Votum (209 gegen 36) wird mit Korruptionsvorwürfen begründet. In Presseberichten heißt es jedoch, Schuschkewitsch sei wegen seiner marktwirtschaftlichen Reformpolitik gestürzt worden. Das Parlament bestimmt Metschislaw Grib am 28.1. zum neuen Präsidenten. Grib setzt sich für ein enges Verhältnis zum benachbarten Rußland ein.

30.1. - A l g e r i e n. Die kollektive Staatsführung, der Hohe Staatsrat (Haut Comité d'Etat/HCE), der im Januar 1992 die Macht übernommen hatte (vgl. "Blätter", 3/1992, S. 260), ernennt Verteidigungsminister Lamine Zeroual zum neuen Präsidenten für eine Übergangszeit von drei Jahren. Zeroual soll das Amt des Verteidigungsministers beibehalten.

3.2. - U k r a i n e. Das Parlament in Kiew ratifiziert mit großer Mehrheit den Vertrag über die Reduzierung der strategischen Rüstungen (START I) und nimmt entsprechende Vorbehalte vom November 1993 zurück (vgl. "Blätter", 1/1994, S. 5). Der von Präsident Krawtschuk befürwortete Beitritt zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen wird jedoch nicht vollzogen.

G e o r g i e n / R u ß l a n d. Der georgische Präsident Schewardnadse und der russische Präsident Jelzin unterzeichnen in Tiflis ein umfangreiches Vertragswerk, das aus 25 Dokumenten besteht. Rußland erhält u.a. das Recht, auch über das Jahr 1995 hinaus Militärstützpunkte auf georgischem Territorium zu unterhalten. Im Gegenzug verpflichtet sich die russische Regierung zu umfangreicher wirtschaftlicher Hilfe, darunter auch zur Lieferung von Waffen.

U S A / V i e t n a m. Der amerikanische Präsident Clinton hebt das vor 19 Jahren gegen Vietnam verhängte Handelsembargo auf. Clinton, der die Einrichtung gegenseitiger Verbindungsbüros ankündigt, nennt seine Entscheidung "nicht unumkehrbar".

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