Ausgabe Juni 1996

Chronik des Monats April 1996

1.4. - N a h e r O s t e n. Der israelische Ministerpräsident Peres erklärt auf dem Flug in die Scheichtümer Oman und Katar am Persischen Golf, er wolle den noch ausstehenden Vertrag über eine endgültige Autonomieregelung für die Palästinenser vor Unterzeichnung und Ratifizierung durch Regierung und Parlament dem israelischen Volk zur Abstimmung vorlegen. Die Ankündigung stößt in Israel auf ein geteiltes Echo und wird von der Opposition als ein Wahlkampfmanöver bezeichnet. Kritik kommt auch von Palästinenserpräsident Arafat, der von einem Verstoß gegen bisherige Abmachungen spricht. - Am 9.4. kommt es zu einem militärischen Schlagabtausch zwischen der schiitischen Widerstandsorganisation Hizbollah und der israelischen Armee. Aus der von Israel beanspruchten Sicherheitszone im Südlibanon feuert die Hizbollah Raketen vom Typ "Katjuscha" auf die nordisraelische Stadt Kiriat Schmona. Die israelische Artillerie, unterstützt von F-16 Kampfflugzeugen, antwortet mit Luft-Boden-Raketen. Beide Seiten setzen ihre Angriffe auch an den folgenden Tagen fort. Die israelische Luftwaffe bombardiert erstmals seit 14 Jahren wieder Ziele in Beirut und an der libanesischen Küste. In Tel Aviv heißt es dazu, die Militäraktion richte sich nicht gegen die libanesische Armee, sondern ausschließlich gegen die Hizbollah. Israelische Artilleriegranaten schlagen am 18.4. auf einem Stützpunkt der UN-Friedenstruppen im Libanon (UNIFIL) in Kana bei Tyrus ein und richten ein Blutbad unter den Zivilisten an, die dort Zuflucht gesucht hatten. Der Stützpunkt liegt außerhalb der von Israel beanspruchten Sicherheitszone. Ministerpräsident Peres bedauert auf einer Pressekonferenz in Tel Aviv die Opfer unter den Zivilisten, rechtfertigt den Angriff jedoch als "Selbstverteidigung". Noch am gleichen Tag ruft der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York in einer einstimmig angenommenen Resolution "alle Parteien" dazu auf, die Feindseligkeiten umgehend einzustellen. Ein von 19 arabischen Staaten vorgelegter Gegenentwurf findet mit nur vier Stimmen bei elf Enthaltungen keine Mehrheit. - Am 18.4. erörtert Ministerpräsident Peres mit Palästinenserpräsident Arafat am Übergang zum Gazastreifen die Abriegelung der palästinensischen Gebiete durch die israelische Armee (vgl. "Blätter", 5/1996, S. 516 f). Arafat beschuldigt bei dieser Gelegenheit erneut den Iran, die terroristischen Anschläge der Hamas-Extremisten zu unterstützen. - Am 20.4. beginnt der amerikanische Außenminister Christopher mit einer "Pendelmission" zwischen Israel und Syrien. Die Außenminister Frankreichs, des Iran, Italiens (EU Vorsitz) und Rußlands halten sich ebenfalls in der Region auf. Vom 22.-24.4. tagt der Palästinensische Nationalrat, das höchste Gremium der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), erstmals in den autonomen Gebieten. Auf Antrag des Vorsitzenden Arafat beschließt der Rat in Gaza, die gegen das Existenzrecht Israels gerichteten Passagen aus seiner Charta von 1968 zu streichen. Die Entscheidung fällt mit 504 gegen 54 Stimmen bei 14 Enthaltungen. Der PLO-Zentralrat wird beauftragt, den Entwurf einer neuen Charta auszuarbeiten. - Am 25.4. eröffnet die israelische Arbeitspartei in Tel Aviv ihre Kampagne für die bevorstehenden Parlamentswahlen. In ihrer neuen Wahlplattform verzichtet die Partei auf die früher erhobene Forderung nach Ablehnung eines Palästinenserstaates. - Am 26.4. kündigen US-Außenminister Christopher und Ministerpräsident Peres auf einer gemeinsamen Pressekonferenz einen Waffenstillstand zwischen Israel und der im Südlibanon operierenden Hizbollah an. Das schriftliche Abkommen, das am 27.4. in Kraft treten soll, werde durch die USA und Frankreich überwacht, solle jedoch keinesfalls die noch ausstehenden Friedensverhandlungen zwischen Libanon und Israel sowie zwischen Syrien und Israel ersetzen. - Vom 28.-30.4. hält sich Peres zu einem Kurzbesuch in den USA auf. Präsident Clinton sagt Israel bei dieser Gelegenheit weitere massive militärische Unterstützung zu und spricht von einer strategischen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern.

- J u g o s l a w i e n. Die Provisorische Wahlkommission (Provisional Election Commission/PEC) zur Vorbereitung der Wahlen in Bosnien-Herzegowina tritt in Banja Luka zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Vertreten sind mehr als 20 politische Parteien und Repräsentanten internationaler Organisationen, darunter die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die den Ko-Vorsitzenden stellt. - Am 8.4. wird in Belgrad ein "Abkommen über die Regelung der Beziehungen und die Förderung der Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Mazedonien" unterzeichnet. Beide Seiten nehmen volle diplomatische Beziehungen auf. Mazedonien erkennt die "staatliche Kontinuität und internationale Rechtspersönlichkeit der Bundesrepublik Jugoslawien" ausdrücklich an. Nach der Unterzeichnung des Abkommens in Belgrad heißt es am Sitz der Europäischen Union in Brüssel, der Anerkennung der am 27. April 1992 gegründeten Bundesrepublik Jugoslawien (vgl. "Blätter", 6/1992, S. 644) als einer der Nachfolgestaaten der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) durch die Mitgliedstaaten der Union stehe jetzt nichts mehr im Wege. - Vom 12.-13.4. findet in Brüssel eine internationale "Geberkonferenz" (Donors Conference) statt. Die Konferenz stellt weitere 1,23 Mrd. Dollar für den Wiederaufbau des zerstörten Bosnien Herzegowina zur Verfügung. Den größten Anteil bewilligt die Weltbank mit 310 Mio. Dollar, gefolgt von der Europäischen Union mit 260 Mio. Dollar, den USA mit 219 Mio. Dollar und Japan mit 130 Mio. Dollar. Eine erste Konferenz hatte im Dezember v. J. Hilis zu sagen in Höhe von 600 Mio. Dollar erbracht.

2.4. - G U S. Die Präsidenten Jelzin (Rußland) und Lukaschenko (Belarus/Weißrußland) unterzeichnen in Moskau einen Vertrag über engere zwischenstaatliche Zusammenarbeit. Eingesetzt wird ein "Oberster Rat", bestehend aus den Staats- und Regierungschefs sowie den Parlamentspräsidenten. In einem "Interparlamentarischen Kongreß" sollen die Legislativen der beiden Staaten mit der gleichen Anzahl von Abgeordneten vertreten sein. Präsident Jelzin spricht von einer neuen Qualität des beiderseitigen Verhältnisses. Die übrigen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) seien eingeladen, sich an einer vertieften Zusammenarbeit zu beteiligen. - Am 23.2. erklärt der ukrainische Präsident Kutschma vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg, für sein Land komme ein Unionsvertrag mit Rußland nicht in Frage. Die Ukraine habe sich für die Unabhängigkeit entschieden.

3.4. - E U. Nach Abschluß mehrstündiger Gespräche von Diplomaten der EU-"Troika" (Spanien, Italien und Irland) mit der iranischen Regierung heißt es in Teheran, man habe den Iran nicht zu einer öffentlichen und umfassenden Distanzierung vom Terrorismus bewegen können. In einem Rundfunkinterview fordert der iranische Außenminister Velayati die Europäische Union auf, eine unabhängige Politik zu verfolgen und den Dialog mit Teheran fortzusetzen

4.4. - K o r e a. Das Kommando der Volksarmee der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) kündigt in der Hauptstadt Pjöngjang an, man werde die im Jahre 1953 errichtete entmilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea nicht länger respektieren. Kleinere Einheiten der Volksarmee dringen vorübergehend in die Zone ein. - Am 16.4. trifft der amerikanische Präsident Clinton auf der Reise nach Japan auf der südkoreanischen Insel Cheju mit Präsident Kim Young Sam zu einem Meinungsaustausch zusammen. Beide Präsidenten schlagen den Regierungen in Peking (China) und Pjöngjang (Nordkorea) "Vierergespräche" über die Bedingungen eines dauerhaften Friedens auf der koreanischen Halbinsel vor. Der nordkoreanische Botschafter in Moskau erklärt dazu, sein Land wolle Probleme allein mit den USA erörtern. Eine internationale Konferenz sei nicht nötig.

5.4. - R u ß l a n d. Außenminister Primakow erläutert in einem Vortrag im Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen in Moskau noch einmal die russische Haltung zur Osterweiterung der Nordatlantischen Allianz (vgl. "Blätter", 5/1996, S. 514). Man werde die NATO als Teil eines europäischen Sicherheitssystems akzeptieren und "besondere Beziehungen" mit ihr anknüpfen, sofern die militärischen Stützpunkte des Bündnisses sich den Grenzen Rußlands nicht näherten. Rußland werde angemessene Maßnahmen ergreifen, falls seine Vorschläge nicht zu einer Lösung des Konflikts führten. - Am 6.4. betont Präsident Jelzin auf einer Wahlkampfveranstaltung in Moskau seine Bereitschaft zu Verhandlungen über die Beilegung des Tschetschenien-Konflikts, die auch Tschetschenenführer Dudajew einschließe. Er habe Dudajew in einem Telegramm den Befehl zur Feuereinstellung vom 31. März d.J. erläutert (vgl. "Blätter, 5/1996 S. 518). Ministerpräsident Tschernomyrdin weist am 9.4. die Bedingungen Dudajews für direkte Verhandlungen mit Jelzin zurück: "Dudajew ist ein Verbrecher, der den Krieg entfesselt hat." - Am 23.4. melden russische Nachrichtenagenturen aus Moskau den Tod von Dschochar Dudajew; er sei am Vortag bei einem Raketenangriff südwestlich von Grosny ums Leben gekommen. Zum Nachfolger sei Selimchan Jandarbijew ernannt worden.

11.4. - A f r i k a. Im Rahmen der Organisation für Afrikanische Einheit (Organization of African Unity/OAU) wird in der ägyptischen Hauptstadt der "Vertrag von Pelindaba" unterzeichnet, der den afrikanischen Kontinent zur kernwaffenfreien Zone erklärt. Der Vertrag untersagt neben Atomtests und dem Besitz von Kernwaffen auch die Einfuhr von Atommüll. In einer "Erklärung von Kairo" werden die afrikanischen Staaten aufgerufen, den Vertrag sobald wie möglich zu ratifizieren und in Kraft treten zu lassen. Der ägyptische Präsident Mubarak fordert in seiner Rede ein ähnliches Vertragswerk für den Nahen Osten.

17.4. - J a p a n / U S A. Der amerikanische Präsident Clinton und der japanische Ministerpräsident Hashimoto unterzeichnen in Tokio eine "Erklärung zur japanisch-amerikanischen Sicherheitsallianz im 21. Jahrhundert" (Common Agenda, Partnership for 21th Century). In Presseberichten heißt es, die USA wollten unverändert mit 100 000 Soldaten in Ostasien präsent bleiben, knapp die Hälfte (47 000 Mann) davon auf japanischem Territorium.

17.-18.4. - N A T O. Generalsekretär Solana hält sich im Rahmen einer Reise durch Osteuropa in Warschau auf. Der Generalsekretär erklärt gegenüber seinen polnischen Gesprächspartnern, es werde in jedem Falle zu einer Erweiterung des Nordatlantik-Vertrages kommen und zwar sowohl im Bereich der politischen wie auch der militärischen Strukturen. Den Vorschlag Rußlands, neue Mitglieder nur auf politischer Ebene aufzunehmen, werde die NATO nicht akzeptieren. Die "Osterweiterung" müsse jedoch mit tiefen, offenen und aufrichtigen Beziehungen zu Rußland einhergehen, das ein wichtiges Land für die Stabilität in Europa sei.

19.-20.4. - W i r t s c h a f t s g i p f e l. Ein Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten und Rußlands befaßt sich in Moskau mit der nuklearen Sicherheit. Verabschiedet werden eine "Erklärung des Gipfeltreffens", eine Erklärung zum Vertrag über einen umfassenden Nuklearen Teststopp" sowie ein gemeinsames "Programm zur Verhinderung und Bekämpfung des unerlaubten Handels mit Kernmaterial". Die Teilnehmer des Gipfeltreffens erörtern am 20.4. auch mit dem ukrainischen Präsidenten Kutschma "Fragen im Hinblick auf die Verbesserung der nuklearen Sicherheit und Sicherung".

21.4. - I t a l i e n. Bei den Parlamentswahlen kann das neue Mitte-Links-Bündnis (Centrosinistra) eine regierungsfähige Mehrheit in beiden - Kammern (Abgeordnetenhaus und Senat) erringen. Zu dem Bündnis "Olivenbaum" (Ulivo) unter seinem Vorsitzenden Romano Prodi gehören Volkspartei und Republikaner, die Linksdemokraten, die Grünen und die Liste des ehemaligen Ministerpräsidenten Dini. Die Wahlbeteiligung liegt bei 82%. Der ehemalige Ministerpräsident Berlusconi (zum Rücktritt vgl. "Blätter", 2/1995, S. 134) erklärt, er werde trotz der Niederlage des von ihm geführten "Pol der Freiheit" (Polo per le Libert…) nicht aus der Politik ausscheiden.

24.-26.4. - C h i n a / R u ß l a n d. Der russische Präsident Jelzin hält sich an der Spitze einer umfangreichen Delegation, der auch Außenminister Primakow und Verteidigungsminister Gratschow angehören, zu einem Staatsbesuch in der Volksrepublik China auf. Jelzin und Präsident Jiang Zemin unterzeichnen in Peking eine "Gemeinsame Erklärung" zum Ausbau der gegenseitigem Beziehungen zu einer "auf das 21. Jahrhundert ausgerichteten Partnerschaft". Rußland anerkennt Tibet und Taiwan als "unveräußerliche Bestandteile Chinas".

25.4. - O S Z E. Der Ständige Rat der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa beschließt in Wien die Aufnahme des Fürstentums Andorra; die Organisation zählt damit 55 Mitglieder. Der Rat setzt außerdem die Daten für das nächste Überprüfungstreffen in Wien (4.-22. November 1996) sowie für das OSZEGipfeltreffen in Lissabon (2.-3. Dezember 1996) fest.

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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