Ausgabe Juni 1996

Die Recomposition der Welt als Aufgabe einer erneuerten Linken

Frankreich ist anders. Da schreibt einer der führenden französischen Soziologen einen „Lettre à Lionel, Michel, Jacques, Martine, Bernard, Dominique ... et vous“, wendet sich also mit einem „Brief“ an die Köpfe der französischen Sozialdemokratie (Jospin, Rocard, Delors, Aubry u.a.) – und liefert eine hundertseitige Abhandlung über „die Erfindung einer anderen Linken“. Diesen „Brief“ findet man überall in Frankreich, auch in Kaufhausregalen, Ende 1995 und Anfang 1996 erlebt die Schrift (Librairie Arthème Fayard, Paris) kurz hintereinander zwei Auflagen. Ungewöhnlich ist auch, was Touraine als Aufgabe – ausgerechnet? – der Linken identifiziert: „Wiederzuvereinigen, was getrennt wurde“ (S.83). Und das bedeutet? „Einige der besten Köpfe dieses Jahrhunderts, insbesondere Jürgen Habermas, haben die Krise der heutigen Gesellschaft als Zerstörung der Lebenswelt durch das strategische Handeln, das ich lieber als instrumentelle Rationalität bezeichne, definiert. Ich mißtraue dieser einseitigen Verurteilung. Wir brauchen technische Rationalität ebenso wie kulturelles Gedächtnis; vor allem darf man nicht, wie seit Tönnies so oft geschehen, die Gesellschaft der Gemeinschaft und den Wandel der Ordnung entgegensetzen: wir müssen wiedervereinigen, was auseinandergerissen wurde.

Juni 1996

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