Frankreich ist anders. Da schreibt einer der führenden französischen Soziologen einen „Lettre à Lionel, Michel, Jacques, Martine, Bernard, Dominique ... et vous“, wendet sich also mit einem „Brief“ an die Köpfe der französischen Sozialdemokratie (Jospin, Rocard, Delors, Aubry u.a.) – und liefert eine hundertseitige Abhandlung über „die Erfindung einer anderen Linken“. Diesen „Brief“ findet man überall in Frankreich, auch in Kaufhausregalen, Ende 1995 und Anfang 1996 erlebt die Schrift (Librairie Arthème Fayard, Paris) kurz hintereinander zwei Auflagen. Ungewöhnlich ist auch, was Touraine als Aufgabe – ausgerechnet? – der Linken identifiziert: „Wiederzuvereinigen, was getrennt wurde“ (S.83). Und das bedeutet? „Einige der besten Köpfe dieses Jahrhunderts, insbesondere Jürgen Habermas, haben die Krise der heutigen Gesellschaft als Zerstörung der Lebenswelt durch das strategische Handeln, das ich lieber als instrumentelle Rationalität bezeichne, definiert. Ich mißtraue dieser einseitigen Verurteilung. Wir brauchen technische Rationalität ebenso wie kulturelles Gedächtnis; vor allem darf man nicht, wie seit Tönnies so oft geschehen, die Gesellschaft der Gemeinschaft und den Wandel der Ordnung entgegensetzen: wir müssen wiedervereinigen, was auseinandergerissen wurde.
In der Januar-Ausgabe skizziert der Journalist David Brooks, wie die so dringend nötige Massenbewegung gegen den Trumpismus entstehen könnte. Der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies erörtert, ob die Demokratie in den USA in ihrem 250. Jubiläumsjahr noch gesichert ist – und wie sie in Deutschland geschützt werden kann. Der Politikwissenschaftler Sven Altenburger beleuchtet die aktuelle Debatte um die Wehrpflicht – und deren bürgerlich-demokratische Grundlagen. Der Sinologe Lucas Brang analysiert Pekings neue Friedensdiplomatie und erörtert, welche Antwort Europa darauf finden sollte. Die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres erläutern, warum die Abhängigkeit von Öl und Gas Europas Sicherheit gefährdet und wie wir ihr entkommen. Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski erklärt, wie wir im Umgang mit Künstlicher Intelligenz unsere Fähigkeit zum kritischen Denken bewahren können. Und die Soziologin Judith Kohlenberger plädiert für eine »Politik der Empathie« – als ein Schlüssel zur Bekämpfung autoritärer, illiberaler Tendenzen in unserer Gesellschaft.