Ausgabe April 1998

Wie europäisch ist die Türkei?

Mit Verwunderung und leichter Befremdung registriert der in Ankara "stationierte" Beobachter die Richtung, in welche die Diskussion um eine EU-Mitgliedschaft der Türkei zu gleiten droht. Seit im März 1997 einige Spitzenpolitiker christdemokratischer Parteien in Brüssel über den christlichen Charakter der Union räsoniert haben, kreist die öffentliche Diskussion mehr und mehr um die Frage, ob denn einem Land mit islamisch geprägter Kultur überhaupt der Zutritt in die EU zu gewähren sei. In der Türkei selbst wächst die Überzeugung, nicht politische und ökonomische Hindernisse, sondern die simple Tatsache ein islamisches Land zu sein, habe dazu geführt, daß die EU in ihrem Luxemburger Beschluß von Mitte Dezember 1997 der Türkei einen Platz in der letzten Reihe zugewiesen hat. Eine innenpolitische Grundstimmung, auf die Ministerpräsident Mesud Yilmaz nicht zuletzt abzielte, als er die EU-Politik der Bundesregierung mit der Nazi-Doktrin vom "Lebensraum im Osten" verglich. 1) Als fast schon grotesk erscheint aus der Perspektive Ankaras, wenn nun auch noch die Befürworter einer türkischen EU-Mitgliedschaft beginnen, ihren Standpunkt mit religiös-kulturellen Argumenten zu untermauern.

April 1998

Sie haben etwa 8% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 92% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Vom Proletariat zum Pöbel: Das neue reaktionäre Subjekt

von Micha Brumlik

Gewiss, es waren keineswegs nur Mitglieder der US-amerikanischen weißen Arbeiterklasse, die Donald Trump an die Macht gebracht haben. Und doch waren es auch und nicht zuletzt eben jene Arbeiter und Arbeitslosen – und genau hier liegt das eigentliche Erschrecken für die Linke.