Ausgabe Januar 1998

Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zur Frauenförderung in Nordrhein-Westfalen vom 11. November 1997 (Wortlaut)

 Nach dem ersten sogenannten „Quotenurteil“, in dem der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) am 17. Oktober 1995 das Bremer Gleichstellungsgesetz ablehnte (dokumentiert in „Blätter“, 12/1995), war von verschiedenen Seiten schon das Ende aller nationaler Gleichstellungsbemühungen im Bereich Beschäftigung vorausgesagt worden. Mit Spannung erwartet wurde daher das nachfolgende Urteil (in der Rechtssache C-409/95) des – rein männlich besetzten – EuGH zum nordrhein-westfälischen Frauenförderungsgesetz. Demnach verstößt die Quote nicht grundsätzlich gegen EU-Recht, zumindest sofern eine Härtefallklausel (falls „in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen“) die strenge Quotendurchsetzung relativiert. Im Falle eines negativen Urteils aus Luxemburg wären auch die Frauenfördergesetze einer Reihe anderer Bundesländer hinfällig gewesen. – D. Red.

1 Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat mit Beschluß vom 21. Dezember 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Dezember 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 2 Absätze 1 und 4 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABI. L 39, S. 40; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Hellmut Marschall (Kläger) und dem Land Nordrhein-Westfalen (Beklagter) wegen der Bewerbung des Klägers um eine Beförderungsstelle an der Gesamtschule Schwerte.

3 In § 25 Absatz 5 Satz 2 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Mai 1981 ((Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen K)– GVNW –, S. 234), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Siebten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 7. Februar 1995 (GVNW, S. 102; im folgenden: streitige Bestimmung), heißt es: „Soweit im Bereich der für die Beförderung zuständigen Behörde im jeweiligen Beförderungsamt der Laufbahn weniger Frauen als Männer sind, sind Frauen bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt zu befördern, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen...“

4 Nach den vom Beklagten abgegebenen Erklärungen wird durch die in dieser Bestimmung vorgesehene Vorrangklausel ein zusätzliches Beförderungskriterium – die Eigenschaft als Frau – eingeführt, das die Situation der Ungleichheit neutralisieren soll, in der sich die weiblichen Bewerber gegenüber ihren männlichen Konkurrenten befinden. Bei gleicher Qualifikation neige der Arbeitgeber nämlich dazu, in Anwendung bestimmter traditioneller, die Frauen faktisch benachteiligender Beförderungskriterien wie des Lebensalters, des Dienstalters und der Erwägung, daß der Bewerber alleinverdienender Familienvater sei, einen Mann vorrangig vor einer Frau zu befördern. [...]

 

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