Erste Analysen deuten den politischen Erdrutsch vom 27. September als Paradebeispiel einer Persönlichkeitswahl im amerikanischen Stil: Junger, dynamischer Herausforderer schlägt alten, müde gewordenen Amtsinhaber; eine ausgeklügelte und effiziente Kommunikations- und Medienstrategie der SPD trägt einen strahlenden Sieg über halbherzige und eher altbackene Ansätze herkömmlicher politischer Werbung der Union davon. Diese Deutungsversuche erscheinen auf den ersten Blick plausibel. Gerhard Schröder lag während des gesamten Wahlkampfes in allen Popularitätstests weit vor dem Bundeskanzler. Und die SPD eroberte mit ihrer "Kampa" in der Öffentlichkeit früh und zielstrebig die Lufthoheit gegenüber den Parteien des Regierungslagers. Sie konnte alle Versuche der Union und der Liberalen abwehren, einen Stimmungsumschwung in der Wählerschaft herbeizuführen. Als wahlsoziologische Erklärung und politische Bewertung des Wahlausgangs ist die These vom professionell inszenierten Persönlichkeitswahlkampf jedoch nicht überzeugend. Sie haftet zu sehr an kurzfristigen Stimmungen und Kandidatenimages, und sie neigt deshalb dazu, langfristige Grundströmungen und strukturelle Konfliktlagen in der Wählerschaft zu unterschätzen und auszublenden.
In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.