Ausgabe Dezember 1999

Glosse: Speed

Die Freiheit der Mobilität und im besonderen der individuellen Mobilität gehört zu den Grundrechten des postmodernen Menschen wie einst die Gewissens- und Religionsfreiheit. Ein eklatanter Anachronismus, dass diese Freiheit noch nicht expressis verbis vom Grundgesetz verbürgt ist. Unbestreitbar träfe der Entzug des Führerscheins die meisten der Heutigen härter als die Unterdrückung religiöser Praxis. Doch die freie Mobilität ist bedroht – nicht durch plumpe Verbote, sondern durch schikanöse Stauerzeugung infolge investiver Askese. Das Verkehrsinvestitionsprogramm des Bundeskabinetts stellt fiskalische Sachzwänge, die immer und überall nachweisbar sein werden, über das staatsbürgerliche Grundrecht auf ein zureichendes Autobahnnetz und vor den Mobilitätstrieb der Epoche. Der grosszügige Bundesverkehrswegeplan der liberalkonservativen Vorgängerregierung verkommt zum Schatten seiner selbst und zur leeren Deklamation weitentrückter Fernziele.

Eine zwischenzeitliche Milderung der vom Autobahnnichtbau erzwungenen Mobilitätskatastrophe böte eine kreative und mutige Geschwindigkeitspolitik. Doch statt Pragmatismus beherrscht auch hier die Ideologie das Feld. So erschallt alle Jahre wieder der Ruf nach Geschwindigkeitsbeschränkung. Unlängst hat sich das Umweltbundesamt zum Sprachrohr jener besorgten Tachophoben gemacht.

Dezember 1999

Sie haben etwa 22% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 78% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo