Ausgabe Dezember 1999

Glosse: Speed

Die Freiheit der Mobilität und im besonderen der individuellen Mobilität gehört zu den Grundrechten des postmodernen Menschen wie einst die Gewissens- und Religionsfreiheit. Ein eklatanter Anachronismus, dass diese Freiheit noch nicht expressis verbis vom Grundgesetz verbürgt ist. Unbestreitbar träfe der Entzug des Führerscheins die meisten der Heutigen härter als die Unterdrückung religiöser Praxis. Doch die freie Mobilität ist bedroht – nicht durch plumpe Verbote, sondern durch schikanöse Stauerzeugung infolge investiver Askese. Das Verkehrsinvestitionsprogramm des Bundeskabinetts stellt fiskalische Sachzwänge, die immer und überall nachweisbar sein werden, über das staatsbürgerliche Grundrecht auf ein zureichendes Autobahnnetz und vor den Mobilitätstrieb der Epoche. Der grosszügige Bundesverkehrswegeplan der liberalkonservativen Vorgängerregierung verkommt zum Schatten seiner selbst und zur leeren Deklamation weitentrückter Fernziele.

Eine zwischenzeitliche Milderung der vom Autobahnnichtbau erzwungenen Mobilitätskatastrophe böte eine kreative und mutige Geschwindigkeitspolitik. Doch statt Pragmatismus beherrscht auch hier die Ideologie das Feld. So erschallt alle Jahre wieder der Ruf nach Geschwindigkeitsbeschränkung. Unlängst hat sich das Umweltbundesamt zum Sprachrohr jener besorgten Tachophoben gemacht.

Dezember 1999

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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