Ausgabe Juli 1999

Chronik des Monats Mai 1999

1.5. - B a l k a n. Der jugoslawische Präsident Milosevic erläutert in einem Interview mit der "Washington Times" einen SechsPunkte-Plan zur Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen auf dem Balkan. Falls die NATO ihre Truppen aus den Nachbarländern abziehe, könnten auch die im Kosovo stationierten jugoslawischen Sicherheitskräfte abgezogen und durch eine leicht bewaffnete UN-Friedenstruppe unter Beteiligung Rußlands ersetzt werden. Milosevic räumt ein, im Kosovo seien "schlimme Dinge" geschehen, die Verantwortung dafür liege jedoch bei undisziplinierten paramilitärischen Einheiten. - Am 2.5. legen Parlamentsabgeordnete der USA und Rußlands in Wien einen gemeinsamen Plan vor. Folgende drei Ziele sollten parallel verfolgt werden: Beendigung der NATOLuftangriffe, Rückzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo, Einstellung der militärischen Aktivitäten der Kosovo-Untergrundarmee UCK. An den Beratungen der Parlamentarier in der österreichischen Hauptstadt hatte auch ein Beobachter von Milosevic teilgenommen. - Am 3.5. setzt der russische Kosovo-Beauftragte Tschernomyrdin seine Vermittlungsmission fort (vgl. "Blätter", 6/1999, S. 644 f.). Während sich Tschernomyrdin in Washington aufhält, gehen die NATO-Luftangriffe auf Ziele in Jugoslawien verstärkt weiter. In Presseberichten ist von 5000 Kampfeinsätzen und dem Abwurf von etwa 15000 Bomben in den vergangenen 41 Tagen die Rede. - Am 5.5. erlaubt die jugoslawische Regierung dem Führer der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, die Ausreise nach Italien. Rugova befürwortet am 6.5. vor der Presse in Rom in Anwesenheit von Ministerpräsident D'Alema die Stationierung einer internationalen Friedenstruppe unter Einschluß von NATO-Kontingenten im Kosovo: "Wir müssen vor allem Sicherheit im Kosovo schaffen, damit die Menschen zurückkehren können." - Am 6.5. einigen sich die Außenminister der G-7-Staaten und Rußlands (G-8) auf einen Prinzipienkatalog zur Beilegung des Kosovo-Konflikts (Text in "Blätter", 6/1999, S. 749). - Am 8.5. werden bei einem nächtlichen Bombardement der NATO die chinesische Botschaft in Belgrad zerstört und vier Personen getötet. Die NATO spricht von einem "tragischen Fehler". Vom 14.-15.5. treffen sich die Präsidenten von zehn mitteleuropäischen Staaten, unter ihnen Bundespräsident Herzog, in der ukrainischen Stadt Lemberg (Lwiw) zu einem informellen Gedankenaustausch. In einer gemeinsamen Erklärung heißt es, nach einem Friedensschluß im Kosovo müsse eine Strategie zur Stabilisierung des Balkans gefunden werden. - Am 17.5. schaltet sich der finnische Präsident Ahtisaari mit einem Mandat der Europäischen Union in die diplomatischen Vermittlungsbemühungen ein. Ahtisaari empfängt in Helsinka den Bundeskanzler und EU-Ratsvorsitzenden Schröder und konferiert am 18.5. mit Tschernomyrdin und US-Vizeaußenminister Talbott. - Am 19.5. erklärt sich Milosovic gegenüber Tschernomyrdin zu Verhandlungen auf der Basis des G-8-Beschlusses bereit, bei der Ausarbeitung von Details verlange Belgrad jedoch ein Mitspracherecht. Künftige Verhandlungen müßten unter dem Dach der Vereinten Nationen geführt werden. Tschernomyrdin setzt die Konsultationen mit Ahtisaari und Talbott am 20.5. in Moskau fort. - Am 27.5. finden auf dem Petersberg bei Bonn Vorbereitungsgespräche über den Entwurf eines Stabilitätspakts für den Balkan ("Draft Stability Pact for South Eastern Europe") statt, der in Anlehnung an die KSZE-Schlußakte von Helsinki (Text in "Blätter", 8/1975, S. 899 ff.) strukturiert werden soll. Grundlage ist eine vom Allgemeinen Rat der Europäischen Union am 17.5. in Brüssel verabschiedete Vorlage, ausgearbeitet unter der deutschen Ratspräsidentschaft. Bundesaußenminister Fischer erklärt dazu, man müsse für den Balkan heute das tun, was nach 1945 für den Westen und nach 1989 für den Osten des Kontinents getan worden sei. Die Ausbreitung von Demokratie, Marktwirtschaft und regionaler Zusammenarbeit sowie die Einbeziehung in die euro-atlantischen Strukturen könne die Region dauerhaft befrieden. Auch Jugoslawien solle Sitz und Stimme haben, wenn es die Bedingungen der internationalen Gemeinschaft erfülle. - Am 28.5. äußert sich Tschernomyrdin nach einer weiteren Zusammenkunft mit Ahtisaari und Talbott in Moskau enttäuscht; ein Durchbruch sei noch nicht erreicht. Tschernomyrdin fordert erneut die Einstellung der NATOLuftangriffe auf Jugoslawien und reist anschließend wieder nach Belgrad, um Milosevic neue Vorschläge zu unterbreiten, über deren Inhalt widersprüchliche Angaben gemacht werden.

4.5. - N a h e r O s t e n. Palästinenserpräsident Arafat hält eine von Rundfunk und Fernsehen übertragene Rede und nennt den 4. 5. einen wichtigen Tag für das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat. Der Zentralrat der Palästinensischen BefreiungsOrganisation (PLO) hatte am 29.4. nach dreitägiger Debatte in Gaza beschlossen, die für den 4.5. geplante Ausrufung eines unabhängigen Staates Palästina zu verschieben. Inoffiziell wurde die Entscheidung mit den Mitte Mai bevorstehenden vorgezogenen Parlamentswahlen in Israel begründet (vgl. "Blätter", 2/1999, S. 134 und 3/1999, S. 261). - Am 27.5. bezeichnet UN-Generalsekretär Annan die Lage in der Region als weiterhin "denkbar gefährlich" (potentially dangerous). Der Rat verlängert das Mandat für die auf dem Golan stationierte Friedenstruppe (UNDOF) bis zum 30.11.1999.

5.5. - E U. Das Europäische Parlament bestätigt auf einer Sitzung in Straßburg den designierten Präsidenten der Europäischen Kommission, den Italiener Romano Prodi (vgl. "Blätter", 5/1999, S. 518). Für Prodi votieren 392 Abgeordnete bei 72 Gegenstimmen und 41 Enthaltungen. - B R D / U S A. Der amerikanische Präsident Clinton besucht in Begleitung von Verteidigungsminister Cohen die US-Luftwaffenbasis Spangdahlem in der Eifel. Clinton erklärt bei dieser Gelegenheit, die Luftangriffe auf Ziele in Jugoslawien im Rahmen der Operation "Allied Force" würden fortgesetzt und verstärkt, bis sie ihr Ziel erreicht hätten.

7.5. - U N O. Generalsekretär Annan gibt die Ernennung des früheren schwedischen Premierministers Carl Bildt und des slowakischen Außenministers Eduard Kukan zu Sonderbeauftragten für den Balkan bekannt. Aufgabe der Sonderbeauftragten (Special Envoys) sei es, mit allen Beteiligten einschließlich der G8-Staaten Kontakt zu halten und an der Suche nach einer dauerhaften Lösung der Kosovo-Krise "durch Diplomatie" mitzuwirken. Annan verweist auf die Erfahrungen und Kenntnisse der beiden Politiker in Balkanfragen, die komplexen Probleme in dieser Region erforderten "ein starkes Team". - Vom 10.12.5. findet vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) der Vereinten Nationen in Den Haag das mündliche Verfahren (Hearing) zu einer Klage der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) gegen zehn der 15 NATO Staaten statt (vgl. die Texte in "Blätter", 6/1999, S. 758 ff.). Die Regierung in Belgrad hatte den beklagten Staaten, darunter der Bundesrepublik Deutschland, in einem am 29.4. eingereichten Schriftsatz eine Verletzung des allgemeinen Völkerrechts und der UN-Charta vorgeworfen und im Hinblick auf die anhaltenden Bombenangriffe auf jugoslawisches Territorium bei Gericht den Erlaß "vorsorglicher Maßnahmen" (provisional measures) beantragt. - Am 26.5. erhebt das UN-Tribunal zur Verfolgung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien in Den Haag öffentlich Anklage gegen fünf jugoslawische Politiker, darunter Präsident Milosevic. Verbunden damit ist ein Haftbefehl. In Belgrad heißt es dazu, der Kosovo Konflikt sei eine innere Angelegenheit der Bundesrepublik Jugoslawien. Im Kosovo werde kein Krieg geführt, und es könne daher auch keine Kriegsverbrechen geben. Das russische Außenministerium bezeichnet in einer Erklärung vom 27.5. die Anklage gegen Milosevic als politisch motiviert.

- B u n d e s t a g. Das Parlament stimmt mit großer Mehrheit (566 Abgeordnete) der Entsendung von maximal 1000 weiteren Soldaten der Bundeswehr nach Mazedonien und Albanien zu. Der Einsatz soll sich auf rein humanitäre Hilfe beschränken.

9.5. - C h i n a. Die Volksrepublik China protestiert gegen die Zerstörung ihrer Botschaft in Belgrad durch NATO-Bomben, bezeichnet den Angriff als Kriegsverbrechen und verlangt eine Verurteilung durch den UN-Sicherheitsrat. - Am 12.5. kommt Bundeskanzler Schröder nach Peking, wo er sich gegenüber der chinesischen Führung im Namen der Allianz entschuldigt. Der lange zuvor geplante Besuch des Bundeskanzlers war auf einen Tag verkürzt worden. - Am 24.5. macht Außenminister Tang Jiaxuan in einem Gespräch mit seinem griechischen Kollegen Papandreou in Peking die Zustimmung Chinas zu einer Kosovo-Resolution im Sicherheitsrat von einer vorherigen Einstellung des Luftkrieges gegen Jugoslawien abhängig.

10.-11.5. - W E U. Die Außen und Verteidigungsminister der Westeuropäischen Union erörtern auf einer Konferenz in Bremen Zeitplan und Modalitäten für die geplante Eingliederung der Organisation in die Europäische Union. An der Konferenz nehmen die drei neuen NATO-Mitglieder Polen, Tschechien und Ungarn (vgl. "Blätter", 5/1999, S. 517) erstmals in ihrer Eigenschaft als assoziierte Mitglieder der WEU teil.

11.5. - A b r ü s t u n g. Bei der Eröffnung einer neuen Session der Abrüstungskonferenz in Genf üben die Vertreter Chinas und Rußlands heftige Kritik an den amerikanischen Plänen zur Errichtung eines neuen Raketenabwehrsystems. Der russische Botschafter Sidorow warnt vor einer Verletzung grundlegender sowjetisch-amerikanischer Vereinbarungen, vor allem des Vertrages über die Begrenzung der ABM-Systeme (Text in "Blätter", 6/1972, S. 655 ff.) und vor einem neuen Rüstungswettlauf.

12.5. - R u ß l a n d. Präsident Jelzin entläßt Ministerpräsident Jewgeni Primakow (zum Amtsantritt vgl. "Blätter", 5/1998, S. 518) und ernennt Innenminister Sergej Stepaschin zum neuen Regierungschef. Primakow wird eine zögernde Haltung gegenüber notwendigen Wirtschaftsreformen vorgeworfen. - Am 15.5. scheitert in der Duma ein gegen Präsident Jelzin eingeleitetes Amtsenthebungsverfahren (Impeachment). Keiner der fünf Anklagepunkte findet die in der Verfassung vorgeschriebene Zweidrittelmehrheit. - Am 19.5. wird Stopaschin in der Duma mit 301 gegen 55 Stimmen in seinem neuen Amt bestätigt.

13.5. - I t a l i e n. Eine Wahlversammlung bestimmt in Rom den bisherigen Wirtschaftsminister Carlo Azeglio Ciampi zum neuen Präsidenten der Republik. Ciampi der Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro ablöst, erhält schon im ersten Wahlgang die notwendige Mehrheit mit 707 von 990 Stimmen.

- B ü n d n i s 9 0 / D i e G r ü n e n. Die Delegierten eines Sonderparteitags beraten mehrere Anträge zur deutschen Kosovo-Politik. Ein Antrag des Bundesvorstandes, der sich u.a. für einen befristeten Stop der Luftangriffe einsetzt, wird mit Mehrheit angenommen (Texte in "Blätter", 6/1999, S. 750 ff.).

17.5. - I s r a e l. Vorgezogene Parlamentswahlen führen zu einer Veränderung der Mehrheitsverhältnisse in der Knesset (120 Abgeordnete). Der bisherige Premierminister Benjamin Netanyahu (Likud) wird durch Ehad Barak (Arbeitspartei) abgelöst, der innerhalb von 45 Tagen eine neue Regierung bilden muß.

23.5. - B u n d e s p r ä s i d e n t. Die 11. Bundesversammlung (1338 Mitglieder) wählt in Berlin den stellvertretenden SPD-Vorsitzen den Johannes Rau zum neuen Bundespräsidenten. Rau, der am 1.7. den amtierender Bundespräsidenten Roman Herzog ablöst, er halt im zweiten Wahlgang eine Mehrheit von 690 Stimmen (erster Wahlgang 657 Stimmen). Für die Unionskandidatin Dagmar Schipanski werden 572 (588), für die von der PDS aufgestellte Kandidatin Uta Ranke-Heinemann 62 (69) Stimmen abgegeben. (Zur Kandidatur von Rau auf der 10. Bundesversammlung und zum Rücktritt als NRW-Ministerpräsident vgl. "Blätter", 7/1994, S. 777 und 7/1998, S. 776.)

27.5. - G r o ß b r i t a n n i e n. Das höchste Zivilgericht (High Court) weist eine Beschwerde des in London festgehaltenen ehemaligen chilenischen Militärmachthabers Pinochet gegen seine mögliche Auslieferung an Spanien zurück. Innenminister Strow hatte am 15.4. die Zustimmung für die Fortsetzung des Auslieferungsverfahrens gegeben.

28.5. - T ü r k e i. Drei Parteien, die nach den Wahlen vom 18.4. über 351 der 500 Parlamentssitze verfügen, schließen in Ankara eine Koalitionsvereinbarung. An der Regierung beteiligt sind die Demokratische Partei der Linken (DSP), die Nationalistische Bewegung (MHP) und die Mutterlandspartei (ANAP). Designierter Regierungschef ist der amtierende Ministerpräsident Bülent Ecevit (DSP). - Am 31.5. beginnt vor einem Sondergericht auf der im Marmarameer gelegenen Gefängnisinsel Imrali der Prozeß gegen den Führer der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Abdullah Öcalan. Zwei der Verteidiger hatten das Gericht zuvor als nicht zuständig bezeichnet und ihr Mandat aus Protest nieder gelegt. (Zu den Umständen der Festnahme Öcalans im Februar vgl. "Blätter", 4/1999, S. 390.)

29.5. - S l o w a k e i. Nach einer Vakanz von fast 15 Monaten erhält das Land einen neuen Staatspräsidenten. Im zweiten Wahlgang (erster Wahlgang am 15.5.) stimmt die Bevölkerung mit 57,2% für den Kandidaten - der Regierungskoalition, Rudolf Schuster. Für den Gegenkandidaten, den früheren Regierungschef Vladimir Meciar, werden 42,8% der Stimmen abgegeben (vgl. "Blätter", 9/1998, S. 1030 und 12/1998, S. 1414). 3

0.5. - N i g e r i a. Der im Februar als Kandidat der Demokratischen Volkspartei (PDP) gewählte pensionierte General Olusegun Obasanjo wird in der Bundeshauptstadt Abuja als neues Staatsoberhaupt vereidigt. In Presseberichten heißt es, der Amtsantritt von Obasanjo markiere nach 15 Jahren ununterbrochener Militärherrschaft den allmählichen Übergang zu einer Zivilregierung.

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